Ausstellungsansicht aus "Das Gehirn. In Kunst & Wissenschaft", im Vordergrund ein menschliches Profil, das Fächer wie ein Regal hat, in diesen liegen Gegenstände.
P. P. Weiler/Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Bundeskunsthalle
Die geheimnisvollen Windungen des Gehirns

Das Gehirn ist eines der letzten großen Rätsel des menschlichen Körpers. Die Bundeskunsthalle widmet ihm eine neue Ausstellung.

30.01.2022

Das Gehirn ist nicht nur Ort des Denkens, sondern war und ist der Fokus vieler Theorien, Spekulationen und Darstellungsversuche: Ist das Gehirn ein Kühlschrank für unser Blut? Die Schaltzentrale unseres Körpers oder ein Supercomputer? Die Heimstatt des Ichs oder etwa der Seele? Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet diesem bis heute nicht letztgültig in seiner Funktionsweise erforschten Organ ihre am Freitag eröffnete Ausstellung "Das Gehirn. In Kunst & Wissenschaft".

In fünf Räumen werden über 300 Exponate gezeigt, die Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft aufeinandertreffen lassen. So soll laut Museum zwischen Hirnforschung, Neurologie, Philosophie, Religionswissenschaft, Medizingeschichte und Psychologie ein interdisziplinärer Dialog entstehen, der sich dem Gehirn aus unterschiedlichen Richtungen annähert.

Fünf Fragen über das Gehirn

Jeder der fünf Ausstellungsräume ist einer Leitfrage gewidmet. Der erste Raum geht unter der Frage "Was habe ich im Kopf?" der Anatomie des Gehirns nach und verfolgt die Geschichte der Erforschung über mehr als 2.000 Jahre. So habe Aristoteles das Gehirn als eine Art Kühlschrank für das Blut gesehen, erläutert Kuratorin und Ausstellungsleiterin Henriette Pleiger. Die moderne Hirnforschung begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts sich nicht mehr hauptsächlich für die anatomische Struktur des Gehirns, sondern auch für seine funktionalen Prozesse zu interessieren, etwa die Rolle der Nervenbahnen.

Die Ausstellung klärt auch Mythen auf, wie die Vorstellung, dass die linke Hirnhälfte die "logische" und die rechte die "kreative" sei. Diese Vorstellung gehe auf die gekreuzte Organisation des Gehirns zurück, entsprechend derer die rechte Gehirnhälfte zwar die linke Körperseite steuert und umgekehrt, aber für alle geistigen Aktivitäten beide Hälften zusammenarbeiten. Auch wenn es eine gewisse Spezialisierung der Hirnhäften gebe, seien Zuschreibungen falsch, wie die, dass Mathematikerinnen und Naturwissenschaftler eher mit der linken Hirnhälfte denken würden und Maler und Dichterinnen eher die reche Hälfte nutzten.

Das Denken und die Frage "Wie stelle ich mir die Vorgänge im Gehirn vor?" bestimmen den zweiten Raum. Moderne Techniken wie die Elektro-Enzephalografie (EEG) und Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) können darauf Antworten geben, wie die Ausstellung zeigt. Die Hirnforschung habe in den letzten 30 Jahren massive Fortschritte dabei gemacht hat, das Gehirn bei seiner Arbeit zu beobachten, ohne in diese einzugreifen, wie der wissenschaftliche Kurator Professor John-Dylan Haynes von der Charité in Berlin erläutert. Auch Künstlerinnen und Künstler suchen nach Erklärungen und Darstellungsformen, wie die Ausstellung verdeutlicht. Der Arzt Fritz Kahn etwa stellte den menschlichen Körper 1926 als Fabrik dar, in der jede Körperfunktion symbolisch dargestellt wird: Verstand und Vernunft sitzen ganz oben und stellen die Chefetage der Fabrik dar.

Die weiteren Ausstellungsräume widmen sich den Fragen "Sind ich und mein Körper dasselbe?", "Wie mache ich mir die Welt?" und "Soll ich mein Gehirn optimieren?". Es geht um Begriffe wie "Seele", "Geist" oder – wie die heutige Hirnforschung bevorzugt – "Bewusstsein". Die Bundeskunsthalle wartet dazu mit einem ganz besonderen Ausstellungsstück auf: Sie hat aus Paris den Schädel von René Descartes geliehen, dem Erfinder des "Cogito", des "Ich denke, also bin ich".

Die Ausstellungsobjekte reflektieren auch Sinneseindrücke und ihre Verlässlichkeit: Nehmen Menschen alle das Gleiche wahr? Die Hirnforschung arbeitet am Verständnis der Verknüpfung unserer Sinnesorgane mit dem Gehirn und betrachtet dabei etwa Sinnestäuschungen und besondere Fähigkeiten, wie die Synästhesie. Die Bundeskunsthalle zeigt dazu ein Gemälde von Wassily Kandinsky, der selbst Synästhetiker war.

Wird der Mensch bald zum optimierten Cyborg werden, und überhaupt: Was macht den Menschen im Kern aus? Diesen Fragen widmet sich der letzte Raum der Ausstellung. Dabei geht es jedoch nicht nur um Zukunftsmusik. Schon jetzt gibt es Implantate im Gehirn, die etwa die Symptome einer Parkinson-Erkrankung lindern können. Medikamentös kann die Gehirnleistung verändert werden – eine Stelle, an der die Grenzen von Nutzen und Missbrauch verschwimmen.

Die Ausstellung "Das Gehirn. In Kunst & Wissenschaft" kann bis zum 26. Juni in der Bundeskunsthalle in Bonn besichtigt werden. Parallel dazu gibt es eine 3D-Ausstellung im Internet, die mit einigen Augmented-Reality-Experiences in der analogen Ausstellung vernetzt ist. Die im virtuellen Raum frei begehbare Ausstellung interpretiert die fünf Themenräume der "realen" Ausstellung künstlerisch. Besucher können dort ebenfalls unterschiedliche Räume betreten und spielerische Elemente ausprobieren. Sogenannte Info-Bites zum Gehirn können als virtuelle Ausstellungsobjekte entdeckt und gesammelt werden.

cpy/dpa