

Interview mit Jacopo Pasotti
Eingetaucht in die Wissenschaft der Urlaubswelt
Forschung & Lehre: Herr Pasotti, Sie haben als Fotograf und Autor schon alle Kontinente bereist und waren in zahlreichen Ländern. Was macht Reisen für Sie aus?
Jacopo Pasotti: Es begeistert mich, möglichst viele Orte zu sehen, die Menschen dort und ihre Kulturen kennenzulernen. Privat bleibe ich aber trotzdem meist relativ nah in meiner Umgebung, um nicht fliegen oder lange Strecken mit dem Auto fahren zu müssen. Wenn ich weit reise, dann mit viel Zeit und bestenfalls an nur einen Ort.
F&L: In ihrem Buch "Wohin weht der Wind? Wissenschaft für unterwegs" drehen sich viele Themen um das umweltbewusste Reisen. Wollen Sie Ihre Leserinnen und Leser bekehren?
Jacopo Pasotti: Das Thema liegt mir am Herzen, aber ich möchte nicht für eine bestimmte Art des Urlaubs werben. Das Buch soll die Fragen aller Urlauber beantworten; sei es, wo sie die entferntesten Kulturen kennenlernen, wie die Taschenkontrolle am Flughafen funktioniert oder wie sich die Zeitzonen entwickelt haben.
F&L: Woher kam die Idee für das Buch?
Jacopo Pasotti: Wie auch bei anderen Themen ist beim Reisen alles mit Wissenschaft verknüpft. Wir verdanken es Wissenschaft und Technik, dass wir innerhalb weniger Stunden in Neu-Delhi sein können. Hinter all den Erkenntnissen über Landschaften und Kulturen stecken Wissenschaftler, die diese untersuchen. Durch meine ganzen Reisen habe ich so viele Eindrücke gewinnen können und hatte gleichzeitig noch so viele Fragen, die ich mir erklären lassen wollte. Herausgekommen ist ein bunter Gedankenstrom aus Fächern wie Geografie, Technik und Ökonomie, Biologie wie Psychologie, den ich versucht habe, möglichst geordnet aufzuschreiben.
"Wissenschaft für unterwegs" von Jacopo Pasotti
Einige Wissenschaftler sehen den Grund für die Unterschiede in der Evolutionsbiologie: Männer hätten gejagt und sich auf großen Distanzen zurechtfinden müssen. Frauen seien dagegen darauf gepolt gewesen, beim Sammeln in kürzerer Entfernung Dinge zu erkennen. Darin seien sie laut Studien auch heute noch besser. Es deutet sich an, dass sich der Orientierungssinn durch den zunehmenden Einsatz von GPS-Geräten insgesamt verschlechtert.
Ein ICE komme im Vergleich pro Fahrgast und Kilometer im Schnitt auf gerade mal 10 Gramm, ein Bus auf circa 30 und ein Auto mit vier Insassen auf 40 bis 50 Gramm. Fahre man alleine mit einem Dieselauto seien es circa 245 Gramm, bei einem Benziner 300 Gramm. Nicht eingerechnet ist bei diesen Berechnungen zum Beispiel der produzierte Feinstaub. Insgesamt sind Flugverkehr und Schifffahrt für etwa drei Prozent der Schadstoffemissionen weltweit verantwortlich. Etwa die Hälfte davon entfallen auf die Luftfahrt – zu 80 Prozent Tourismus-Flüge.
F&L: Was ist Ihnen von der Recherche für Ihr Buch besonders im Gedächtnis geblieben?
Jacopo Pasotti: Ich habe mich zum ersten Mal genauer mit der Psychologie des Reisens beschäftigt. Zum Beispiel kennt jeder das Gefühl, dass die Heimreise gefühlt kürzer ist als die Hinreise. Dazu gibt es verschiedene Studien. Lange Zeit wurde in der Wissenschaft von einem sogenannten "Heimreise-Effekt" gesprochen – man kenne die Route von der Hinreise und bereitet sich auf deren Länge vor. Niederländische Psychologen haben die Studie dann vor einiger Zeit mit unterschiedlichen Routen für Hin- und Rückfahrt durchgeführt und festgestellt, dass auch dann die Rückreise als rund 20 Prozent kürzer empfunden wird. Erklärt haben sie das dann mit der Erwartungshaltung der Menschen an die Reise selber: die Ungeduld auf dem Hinweg, das lang ersehnte Urlaubsziel zu erreichen, und die mentale Vorbereitung auf eine kräftezehrende Tortur auf dem Rückweg.
F&L: Sie schreiben, dass das Schönste am Reisen die Planung ist, warum?
Jacopo Pasotti: Ich finde es wichtig, mit einem Motiv zu verreisen. Wo möchte ich hin? Was möchte ich sehen? Was muss ich dafür mitnehmen und auf welche Risiken muss ich mich gegebenenfalls einstellen? Viele Menschen brechen, auch berufsbedingt, in Hektik in den Urlaub auf und reisen nach vorgegeben Touren, bei denen sie in möglichst kurzer Zeit möglichst viel sehen. Das muss natürlich jeder selbst entscheiden, aber ich bin überzeugt davon, dass man mehr vom Reisen für sich mitnimmt, wenn man sich vorher mit seinem Ziel auseinandersetzt und dann auch ausreichend Zeit hat, Land und Kultur wirklich kennenzulernen.
F&L: Gibt es einen Ort, den Sie auf jeden Fall noch entdecken wollen?
Jacopo Pasotti: Ich würde mir gerne die Korallenriffe rund um Bunaken, ein Teil der indonesischen Insel Sulawesi, anschauen. Dort soll es die größte marine Biodiversität geben. Ich stelle es mir sehr beeindruckend vor. Die meisten Biogeografen, die sich mit der Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten beschäftigen, reisen mindestens einmal in ihrem Leben dorthin.