Das Foto zeigt mehrere Schüler an Tischen bei der Abiturprüfung.
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Hochschulreife
Es sollte ein "Kernabitur PLUS" sein

Vor kurzem hat Ludger Wössmann hier pointiert für ein Kernabitur plädiert. Die Vorsitzende des Philologenverbandes übt konstruktive Kritik.

Von Susanne Lin-Klitzing 11.12.2018

100 Prozent Zustimmung zu Ludger Wößmanns Forderung nach mehr Vergleichbarkeit bei allen Schulabschlüssen! ABER: Deutschland braucht mehr Vergleichbarkeit bei allen Schulabschlüssen auf inhaltlich hohem, nicht auf niedrigem Niveau!

100 Prozent Zustimmung zur Forderung nach bundesweit hinreichender Studierfähigkeit und für einen fairen Studienzugang! ABER genau deshalb greift der Vorschlag eines Kernabiturs, das für diesen Zweck ausschließlich auf eine einmalige schriftliche Kurzzeitmessung in Mathematik, Deutsch und Englisch und nur auf zehn Prozent (!) der Abiturnote fokussiert, nicht weit genug.

Denn: Die jetzige Konstruktion der Abiturnote ist gut, aber noch nicht gut genug umgesetzt! Empirisch belegt ist, dass die Abiturnote, egal in welchem Bundesland erworben, die höchste Prädiktionskraft für Studienerfolg hat. Dies vermutlich auch deshalb, weil die Abiturnote sowohl Langzeit- als auch Kurzzeitmessungen enthält: Zwei Drittel der Abiturnote stammt aus der Langzeitmessung über die gesamte Oberstufenzeit, ein Drittel basiert auf den Abiturprüfungen.

Gerade die strukturelle Ähnlichkeit von Langzeitmessung und Kurzzeitmessung in der Abiturnote mit den geforderten Leistungserbringungen während des Studiums und in den jeweiligen Studienabschlussprüfungen ist wahrscheinlich einer der wesentlichen Gründe, weshalb die jetzige Abiturnote die bisher höchste Prädiktionskraft für Studienerfolg hat. Das kann ein Zehn-Prozent-Kernabitur eben nicht leisten.

Das Abitur wird mittlerweile an den Oberstufen vieler verschiedener Schularten in den Ländern erworben. Dazu konstatiert Dr. Ulrich Heublein, Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, 2017: "Gute Erfolgschancen im Studium gehen mit dem Erwerb einer gymnasialen Hochschulreife einher. (...) Andere schulische Zugangswege zum Studium, wie der Besuch von Abendgymnasien beziehungsweise Kollegs, von Fachgymnasien sowie von Berufs- und Fachoberschulen, sind häufiger von Studienabbrecherinnen und Studienabbrechern durchlaufen worden." Genau deshalb brauchen wir eine Niveausteigerung mit höherer Vergleichbarkeit von drei Drittel aller Leistungen, nicht nur von zehn Prozent.

Konkrete Vorschläge

Erste Schritte wären:

Die aktuelle Notenverordnung der Kultusministerkonferenz (KMK) für die gesamte Gymnasiale Oberstufe (2018) verpflichtet die Lehrkräfte aller Länder, für 45 Prozent Leistung 5 Punkte gleich "Bestanden", für 90 Prozent Leistung 14 Punkte gleich "Sehr gut" zu vergeben. 50 Prozent wären und waren angemessener, um eine Prüfung oder einen Kurs zu bestehen; ebenso wären und waren mindestens 95 Prozent für ein "Sehr gut" sicherlich adäquater als 90 Prozent.

Für den Zwei-Drittel-Bereich brauchen wir eine geringere erlaubte Gesamtzahl von nicht bestandenen Kursen, die aus der Oberstufe in die Abiturwertung eingebracht werden: Aktuell dürfen bis zu 20 Prozent der einzubringenden Kurse "durchfallene Kurse" sein, also Kurse unter 5 Punkten. Hier wäre in der Tat weniger mehr: Es sollten maximal zehn Prozent Kurse unter 5 Punkten eingebracht werden können. Andererseits sollten mehr als 40 Kurse aus der gesamten Oberstufenzeit eingebracht werden, damit die Gesamtleistung der Schüler über die Oberstufenzeit vergleichbarer ist.

Deutsch, Mathematik, eine fortgeführte Fremdsprache und eine Naturwissenschaft sollten durchgängig belegt und eingebracht und eben nicht ersetzt werden können. Für die fortgeführte Fremdsprache im Abitur sollte gelten, dass den Abiturienten in der Abiturprüfung ein einsprachiges Lexikon und nicht ein zweisprachiges zur Verfügung gestellt wird, damit in der Abiturprüfung nicht hinter das gängige Niveau des Fremdsprachenunterrichts zurückgefallen wird. Die derzeitigen Regelungen für den jetzigen Abiturprüfungspool sehen das zweisprachige vor...

Alles in allem: Wir sind auf einem guten Weg. Es müsste allerdings eher ein "Kernabitur PLUS..." sein, das ein Mehr an Vergleichbarkeit auf einem  höheren inhaltlichen und formalen Niveau in allen Bundesländern und für jede Schulart, die zum Abitur führt, abbildet: Ein PLUS an Niveau und Vergleichbarkeit im Ein-Drittel- wie im Zwei-Drittel-Bewertungsbereich des Abiturs, das sicherlich eher die Forderung nach "bundesweit hinreichender Studierfähigkeit und zu einem fairen Hochschulzugang" abdeckt als nur eine Kurzzeitmessung im Zehn-Prozent-Kernabitur.