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Plagiate
KI-gestützte Textproduktion an Hochschulen

Studierende und Wissenschaftler verwenden softwaregestützte Tools und Techniken zur Plagiatsprüfung zunehmend auch beim Schreiben. Ein Überblick.

Von Doris Weßels 20.12.2021

"Turnitin möchte Studierende und Autoren wissenschaftlicher Arbeiten beim Schutz ihrer akademischen Integrität unterstützen. Dazu bietet das Unternehmen unter anderem das Tool Similarity, das auf die umfassendste Datenbank an studentischen und wissenschaftlichen Arbeiten zurückgreift, um potenziell ähnliche Textstellen aufzuzeigen. So stellen Universitäten und Lehrende sicher, dass ihre Studierenden höchste Standards akademischer Arbeit einhalten und können ihnen bei aufkommendem Fehlverhalten rechtzeitig Feedback geben."

Effizientes Rewriting

Bei diesem Angebot von Turnitin, einem weltweit führenden Anbieter von Plagiatserkennungssoftware, zeigen sich beide Seiten der Medaille nur zu deutlich. Die Ähnlichkeitsprüfung über das oben genannte Tool Similarity lässt sich nicht nur am Ende des Schreibprozesses nutzen, wenn Studierende den Lehrenden ihre schriftlichen Arbeiten zur Verfügung stellen und diese eine Plagiatsprüfung durchführen. Softwaregestützte Werkzeuge zur Ähnlichkeitsprüfung werden viel mehr zu einem Schreib­begleiter im studentischen oder auch wissenschaftlichen Schreibprozess. Stehen thematisch passende Dokumente beim Start bereits zur Verfügung, können mit Werkzeugen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), hier dem Teilgebiet des Natural Language Processing (NLP), sehr schnell und effizient vermeintliche Unikate produziert werden, die für Außenstehende wie eigenständig angefertigte Schriftstücke wirken und von Plagiatserkennungs-Softwarelösungen in der Regel nicht enttarnt werden können. Hierzu werden KI-gestützte Werkzeuge zur Paraphrasierung, häufig als Artikel-Spinner oder auch als Rewriting-Tool bezeichnet, in Kombination mit Similarity-Checkern eingesetzt.

"Unverhohlen wird auf der Website des kalifornischen Anbieters Speedwrite erläutert, wie Wikipedia-Texte plagiatserkennungssicher umformuliert werden können."

Auf der Website des kalifornischen Anbieters Speedwrite heißt es bezeichnenderweise: "Unique text, instantly". Unverhohlen wird dort erläutert, wie Wikipedia-Texte plagiatserkennungssicher umformuliert werden können. Die Anleitung erklärt Schritt für Schritt das Rewriting von Wikipedia-Texten – nicht nur attraktiv für die primäre Zielgruppe der amerikanischen Schüler und Schülerinnen.
Für anspruchsvollere Rewriting-Aufgaben bieten sich die vielfältig konfigurierbaren Werkzeuge von QuillBot an, zu denen neben dem Paraphraser auch der Summarizer gehört. Speziell der Summarizer ist ein hilfreiches Tool, wenn per Knopfdruck ohne eigenständiges Lesen eine Zusammenfassung einer vorhandenen Textpassage oder auch eines längeren Zitats aus einer externen Quelle erstellt werden soll. Selbstverständlich lässt sich über diese Funktionalität auch die eigene Zusammenfassung der Arbeit mit einem Klick erstellen.

Ein weiteres, schnell wachsendes Unternehmen mit großer Leistungspalette ist Grammarly. Auch dort findet sich das Angebot zur kontinuierlichen Plagiatsprüfung im Schreibprozess. Als Prüfbasis werden nach den Grammarly-Aussagen die Datenbanken von ProQuest und mehr als 16 Milliarden Webseiten genutzt.

Die norwegische Lösung Keenious bietet sich als Ergänzung für Textverarbeitungssysteme wie zum Beispiel Microsoft Word oder Google Docs an. Nach ihrer Integration erscheint sie als Seitenleiste und zeigt für ausgewählte Textpassagen vermeintlich passende Zitate und Quellen an. In der Praxis könnte der Ein­satz dieses Werkzeugs dazu führen, dass die eigenständige Literaturrecherche entfällt und weitgehend ungeprüft die vorgeschlagenen Keenious-Quellen gewählt werden. Beim Rewriting bietet Keenious darüber hinaus die Möglichkeit, die vorhandenen Originalquellen mit wenigen Klicks zu ersetzen und damit einen höheren Plagiatsschutz zu erzielen.

"Microsoft 365 bietet bei Word über die Editor-Funktion moderne KI-gestützte Features wie 'Ähnlichkeit' und 'Textvorhersagen' an."

Aufschlussreich ist der Blick auf die führenden Textverarbeitungssysteme und deren Weiterentwicklung. Microsoft 365 bietet bei Word über die Editor-Funktion moderne KI-gestützte Features wie "Ähnlichkeit" und "Textvorhersagen" an, die in Kürze auch für deutsche Anwender verfügbar sein dürften. Während sich hinter dem ersten Feature der Similarity-Checker verbirgt, bietet das zweite Feature die Textfortführung an, analog zur Auto-Complete-Funktion bei der Google-Suche oder den Messenger-Diensten der Smartphones. Vergleichbar zur Textvorhersagefunktion von Microsoft Word bietet Google Docs das KI-basierte Smart Compose an, derzeit allerdings nur eingeschränkt für die Sprachen Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Französisch. Die Fülle der angebotenen Erweiterungen, sogenannte Add-ons bei Google Docs und Add-Ins bei Microsoft Word, ist beeindruckend. In beiden Fällen sind weitere Plagiatserkennungs-Softwarelösungen integrierbar, so zum Beispiel PlagiarismCheck.org, PlagiarismSearch.com bei Google Docs und das australische Werkzeug Outwrite, das neben der Plagiatserkennung auch das Rewriting unterstützt.

Neben diesen etablierten Textverarbeitungssystemen sind mächtige KI-Plattformen wie Copy.ai oder auch Head­lime.com auf dem Vormarsch, die vielfältigste Einsatzgebiete rund um die Texterstellung und -verarbeitung abdecken. Diese Systeme sind zwar vorrangig ausgerichtet an Aufgaben im Marketing und Vertrieb, aber Funktionen wie zum Beispiel die Erstellung von Gliederungsvorschlägen, Einleitungstexten oder auch Zusammenfassungen werden von Studierenden sehr geschätzt. Werden zusätzlich KI-Textgeneratoren wie zum Beispiel Text Synth oder InferKit eingesetzt, entwickelt sich der Schreibprozess zu einer privaten Schreibfabrik.

Ghostwriting

Wer mit diesen Tools und Plattformen (noch) nicht eigenständig arbeiten möchte, kann auch weiterhin auf professionelle Dienstleister zurückgreifen. Für den Bildungsbereich hat sich die Ghostwriter-Problematik laut Aussage von Turnitin mit Zunahme der Online-Lehre noch weiter verstärkt. Nach deren Aussagen sollen bis zu 16 Prozent der Studierenden weltweit diese Form der Täuschung bei Online-Prüfungen oder schriftlichen (Abschluss-)Arbeiten einräumen. Für diesen Fall versagen naturgemäß herkömmliche Plagiatserkennungs-Softwarelösungen. Das wachsende Ausmaß des Ghostwriting hat der Journalist Mirko Droschmann alias "MrWissen2Go" in seinem im Juli 2021 erschienenen Youtube-Video "Das schmutzige Geschäft mit Ghostwriting" bestätigt. Wie im Video zu erkennen, kommen in diesen Agenturen offensichtlich leistungsstarke Werkzeuge zum Einsatz, die den Schreibprozess beschleunigen. Es darf vermutet werden, dass gerade Ghostwriting-Anbieter die technologische Speerspitze bei der Anwendung KI-gestützter Textgeneratoren und Rewriting-Tools darstellen.

Zukunftsaufgabe für die Hochschulen

Eine schriftliche Haus- oder auch Abschlussarbeit, für deren Bewertung die geleistete Literaturarbeit maßgeblich ist, droht im Hinblick auf die "verführerisch" wirkenden Werkzeuge für die Textproduktion zu einem Opfer des technologischen Fortschritts zu werden. Für die Hochschulen besteht die Zukunftsaufgabe nicht nur darin, das neue Substitut einer Prüfungsleistung zu finden. Es geht um weit mehr: die schonungslose Analyse der disruptiven Wirkung der KI-Werkzeuge auf den Schreib- und Prüfungsprozess im Bildungsbereich – in all ihren Facetten.

Die Autorin leitet die Themengruppe "KI und Academic Writing" des KI ExpertLab Hochschullehre.