Medienkompetenz
Maßnahmen gegen "Fake News" erhöhen Skepsis
Initiativen zur Bekämpfung von sogenannten "Fake News" wie Faktenchecks oder Medienkompetenz-Programme erhöhen zwar das Misstrauen gegenüber Falschinformationen. Sie mindern aber auch das Vertrauen in eine faktenbasierte, korrekte Berichterstattung sowie in Politik und Wissenschaft. Dies zeigt ein von der Universität Zürich (UZH) geleitetes Forschungsteam mit einer Serie von Umfrageexperimenten in Polen, Hongkong und den USA, deren Ergebnisse diese Woche auf bei "nature.com" veröffentlicht wurden.
Obwohl Untersuchungen zeigten, dass nur wenige Menschen in ihrem Alltag effektiv mit Falschinformationen konfrontiert seien, habe die Sorge über den Schaden, den sie potenziell anrichten könnten, in den letzten Jahren stark zugenommen. Verstärkt würden die Bedenken durch Ereignisse wie der Sturm auf das Kapitol in Washington, die Impfskepsis während der COVID-19-Pandemie oder der Ukraine-Krieg.
Gleichzeitig erlebten Initiativen zur Überprüfung von Fakten einen Aufschwung. Nachrichtenplattformen würden das "Fact Checking" in ihr Angebot aufnehmen und Kampagnen zur Medienkompetenz florierten mit Programmen, die der Öffentlichkeit vermitteln sollen, wie man korrekte Informationen von falschen unterscheidet.
Neuere Untersuchungen zeigten jedoch, dass die Aufmerksamkeit der Nachrichtenmedien für Fehlinformationen das Vertrauen in Wissenschaft und Politik generell verringere. "Darüber hinaus kann die Berichterstattung über Fehlinformationen durch die Wiederholung von Unwahrheiten das Risiko mit sich bringen, Fehlwahrnehmungen zu fördern, indem sie sie vertrauter machen, leichter aus dem Gedächtnis abrufbar und daher leichter zu verarbeiten", formuliert die Studie weitere negative Effekte.
Unerwünschter Nebeneffekt: Übermaß an Skepsis?
In drei Online-Umfrageexperimenten mit insgesamt 6.127 Teilnehmenden in Polen, Hongkong und den USA testeten die Forschenden unbeabsichtigte Nebeneffekte von drei aktuell verbreiteten Strategien im Kampf gegen Falschinformationen:
- Faktenchecks,
- Programme zur Förderung von Medienkompetenz und
- verstärkte Berichterstattung über Fake News
Sie verglichen diese mit drei alternativen Maßnahmen. Letztere zielen darauf ab, eine kritische, aber nicht übermäßig skeptische Auseinandersetzung mit Informationen zu fördern.
Das Forschungsteam testete unter anderem als alternativen Ansatz das Vorgehen, die Aufmerksamkeit nicht nur auf Falschinformationen ("Falschinformationsfokus") zu beschränken, sondern sich auch auf das Erkennen parteiischer Voreingenommenheit zu konzentrieren ("Bias-Fokus"/"Vorurteils-Fokus"). Die Rezipierenden sollten dazu veranlasst werden, darüber nachzudenken, wie Informationen präsentiert und formuliert würden und ermutigt werden, die zugrunde liegenden Annahmen und Motivationen zu bewerten.
Es zeigte sich, dass sowohl die traditionellen wie auch die alternativen Instrumente zur Entlarvung von Falschinformationen bei den Teilnehmenden ein generelles Gefühl des Zweifels hervorriefen – auch gegenüber faktenbasierten Informationen. Die adaptierten alternativen Strategien schnitten zwar leicht besser ab als die herkömmlichen, verbesserten aber die Fähigkeit, Fakten von Fiktion zu unterscheiden, nicht wesentlich.
Falschinformationen erkennen und Vertrauen stärken
"Der öffentliche Diskurs über Fake News steigert nicht nur die erwünschte Skepsis gegenüber Falschinformationen, sondern untergräbt auch das Vertrauen in zuverlässige Nachrichtenquellen. Diese spielen in funktionierenden Demokratien jedoch eine zentrale Rolle", resümiert Erstautorin Dr. Emma Hoes. Die potenziellen Vorteile, die sich aus den Maßnahmen gegen Falschinformationen ergeben, müssten laut der UZH-Politologin sorgfältig gegen die Nachteile einer generellen Skepsis abgewogen werden: "Denn gerade in westlichen demokratischen Gesellschaften sind zuverlässige, faktenbasierte Nachrichten zum Glück immer noch wesentlich häufiger als Falschinformationen."
"Denn gerade in westlichen demokratischen Gesellschaften sind zuverlässige, faktenbasierte Nachrichten zum Glück immer noch wesentlich häufiger als Falschinformationen."
Dr. Emma Hoes, Politologin UZH
Hoes und ihr Forschungsteam plädieren deshalb dafür, den Umgang mit Fehlinformationen tiefgreifend zu überarbeiten und differenzierte Strategien zu entwickeln. "Ziel ist es, die Öffentlichkeit darin zu schulen, Falschinformationen mit kritischem Blick zu erkennen, und zugleich das Vertrauen in Medien, die der Wahrhaftigkeit verpflichtet sind, zu erhalten." Sie kommen in ihrer Untersuchung zum Schluss, dass die Entwicklung solcher Strategien ausgesprochen herausfordernd ist und weiterer Studien bedarf: "Zukünftige Forschung sollte sich auf die Untersuchung der spezifischen Strategien und Techniken konzentrieren, die das Vertrauen in zuverlässige Quellen am besten wahren und gleichzeitig Unwahrheiten bekämpfen".
Fake News verstehen und eindämmen
- Deepfakes und KI-generierte Inhalte stellen ein erhebliches Risiko für Wahlen dar, so der "Global Risks Report 2024" des Weltwirtschaftsforums.
- "Die Erkennung von KI-generierten Texten stellt eine besondere Herausforderung dar", erklärte Dr. Nicolas Müller vom "Department Cognitive Security Technologies" am Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit gegenüber "Forschung & Lehre".
- Im Vorfeld der Europawahl hat ein Expertengremium des Auswärtigen Amtes eine russische Desinformationskampagne über 50.000 gefälschte Nutzerkonten auf "X" aufgedeckt.
Online-Plattformen verbreiten gefälschte, erdachte und gezielt manipulierte Inhalte, die teils kaum als solche zu erkennen sind.
Nach Meinung von 81 Prozent der Menschen in Deutschland stellen vorsätzlich verbreitete Falschinformationen im Internet eine Gefahr für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar – so lautet ein Ergebnis der Studie "Verunsicherte Öffentlichkeit" (Bertelsmannstiftung). Demnach sind 25 Prozent der US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner der Meinung, der Begriff "Desinformation" würde genutzt, um alternative Meinungen zu diskreditieren (in Deutschland: 13 Prozent).
Motive für die Verbreitung von Desinformation sind laut Studie:
- Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft,
- das Untergraben des Medienvertrauens,
- politische Motive (Meinungsmanipulation, Beeinflussung von Wahlen) und
- wirtschaftliche Motive.
Um Online-Falschinformationen Einhalt zu gebieten, sollten Soziale Netzwerke "verpflichtet sein, Faktenchecks und Vertrauensbewertungen einzubinden", findet Cathleen Berger, die Co-Autorin der Bertelsmann-Studie.
Zumindest in Europa will der "Digital Services Act" (DSA) dahingehend etwas bewirken. Dazu gehört auch der Zugang zu Daten wichtiger Plattformen für Forschende zwecks Untersuchung der Funktionsweise zum besseren Verständnis der Risiken für die Gesellschaft und die Grundrechte. Das Gesetz gilt seit dem 17. Februar für alle Online-Plattformen und wird nun von den nationalen Behörden umgesetzt.
cva