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Soziale Netzwerke
Mitdiskutieren oder nicht?

Viele Wissenschaftler sind unentschlossen, ob sie sich in Meinungsdebatten im Netz einbringen sollen. Andreas Schäfer hat sich dafür entschieden.

Von Katrin Schmermund 12.10.2018

Forschung & Lehre: Herr Schäfer, vor ein paar Jahren haben Sie damit begonnen, Posts von Nutzern in sozialen Netzwerken zur Erdbeben-Entwicklung zu kommentieren – warum?

Andreas Schäfer: Ich habe zu dem Zeitpunkt begonnen, Karten auf meiner Seite bei Facebook hochzuladen, die die Erdbeben-Entwicklung in Katastrophen-Regionen aufzeigen. Um die Karten und meine Arbeit in die Öffentlichkeit zu bringen, habe ich mich verschiedenen Diskussionsgruppen auf Facebook angeschlossen und sie dort geteilt. Dort trieben sich in den Kommentarspalten schnell die typischen – wie man so sagt – Verschwörungstheoretiker rum, die meine Ergebnisse und die anderer angezweifelt oder wirre Theorien verbreitet und mich teils übel damit beschimpft haben, dass ich vom Staat gelenkt sei. Das wollte ich so nicht stehenlassen und habe dagegen argumentiert und eingeordnet. In den einen Gruppen bin ich schnell geblockt worden, weil meine Kommentare unerwünscht waren. Schließlich wollte man in Ruhe die eigenen Ideologien verbreiten. In anderen bin ich zum Moderator aufgestiegen, weil meine Einordnungen geschätzt wurden.

"Nur weil sich ein Erdbeben mit der Landung von Barack Obama auf Hawaii überschneidet, ist dieser nicht gleich Auslöser des Erdbebens." Andreas Schäfer

F&L: Wie formulieren Sie Ihre Posts – gehen Sie auf Konfrontation oder bleiben Sie nüchtern?

Andreas Schäfer: Meist schreibe ich recht neutral eine Einordnung zu einem Thema. Manchmal gebe ich auch Literaturhinweise oder Anregungen, wie man sich dem Thema anders nähern könnte. Ich möchte nicht als der "arrogante Experte" gesehen werden, der alles besser weiß. Ich stelle eher beiläufig richtig. Viele Menschen, die da posten, sind wirklich überzeugt von Ihrer Ansicht. Oftmals ist es Randwissen, teils gepaart mit religiösem oder konspirativem Beiwerk. Manche verwechseln auch Korrelation und Kausalität. Nur weil sich ein Erdbeben mit der Landung des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obamas auf Hawaii überschneidet, ist dieser nicht gleich – wie von einigen behauptet – Auslöser des Erdbebens.

F&L: Haben Sie schon einmal einen "Verschwörungstheoretiker" umstimmen können?

Andreas Schäfer: Nein, das ist meiner Meinung nach auch so gut wie unmöglich. Ich habe die "interessierten Mitläufer" im Blick, die auf der Suche nach Antworten auf ihre Fragen sind, etwa nach den Gründen für Erdbeben, und dabei auf Verschwörungsseiten landen. Diesen Personen möchte ich andere Perspektiven aufzeigen und mit etwas Geduld gelingt das auch oft. Es kann aber natürlich auch in die andere Richtung losgehen: Ein Kollege von mir erlebte binnen Sekunden einen regelrechten "Shitstorm", nachdem er einen Essay über die Argumente eines selbsternannten Experten aus den USA geschrieben hatte. Er bekam sogar Morddrohungen.

F&L: Würden Sie aufhören, wenn Sie ähnliche Drohungen erhalten würden?

Andreas Schäfer: Ich denke, ich würde mich davon nicht beeinflussen lassen. Dafür ist mein Fell dann doch zu dick. Die meisten Drohungen im Netz sind heiße Luft. Sie kommen von Menschen, die Angst haben, sich überhört fühlen und die online leicht ihren Ärger loswerden können – oft versteckt hinter einem falschen Namen. Ich kann aber verstehen, wenn heftige Drohungen so stark belasten, dass man sich als Wissenschaftler nicht mehr in den sozialen Netzwerken einbringt. Das dürfte in Deutschland derzeit vor allem Wissenschaftler betreffen, die über Klima oder Impfungen forschen, weil hier die Stimmung gerade besonders aufgeladen ist. Mein Forschungsgebiet ist in Deutschland dagegen nicht so im Diskussionsfokus, weil kaum Erdbeben stattfinden. In Ländern wie Indonesien oder den USA sieht das anders aus.

"Ich finde nicht, dass Wissenschaftler per se eine Verpflichtung dazu haben, sich in öffentliche Debatten einzubringen." Andreas Schäfer

F&L: Ist die Einordnung von falschen Sachverhalten in sozialen Netzwerken eine Aufgabe von Wissenschaftlern oder ist es reines Interesse – wie sehen Sie das?

Andreas Schäfer: Ich finde nicht, dass Wissenschaftler per se eine Verpflichtung dazu haben, sich in öffentliche Debatten einzubringen. Schließlich sollen sie ja Wissen schaffen und nicht gleich überlegen müssen, wie man solches Jedermann vermitteln kann, das geht oft auch gar nicht. Es reicht, wenn einige wenige – mit entsprechender sprachlicher Kompetenz – an die Öffentlichkeit gehen, um viele Menschen für wissenschaftliche Themen zu interessieren und/oder aufzuklären. Prominente Beispiele sind wohl Harald Lesch, Eckhart von Hirschhausen oder auch Alexander Gerst. Aber auch der kleine Wissenschaftler kann, wenn er will, auf offener Bühne kommunizieren, dazu gibt es ja schon fast überall Science Slams, Blogs und vieles mehr. 



F&L: Was haben Sie aus den Diskussionen für sich mitgenommen?

Andreas Schäfer: Vor allem Toleranz und Vorsicht. Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Ansichten, denn gerade Menschen, die ihren subjektiven Fakten folgen, fühlen sich bei Kritik und Aufklärung schnell angegriffen, obwohl man als Wissenschaftler die Sache eigentlich objektiv betrachtet hat. Vorsicht, vor allem, weil die Diskutanten jede Aussage in die Waagschale legen, denn so fadenscheinig ihre eigene Welttheorie aus Expertensicht auch scheinen mag, so kritisch und aggressiv sind sie bei jeder kleinen Vereinfachung – die ich zur besseren Erklärung nutze – und schon ist jede Glaubwürdigkeit verloren. Nach all den Diskussionen bin ich heute viel kritischer geworden, wenn es um Nachrichten und Beiträge in sozialen Netzen geht. Ich überprüfe die Quellen von Artikeln, Videos, Aussagen, egal ob wissenschaftlich oder politisch, viel öfter als früher und habe festgestellt, dass die Menge an subjektiven und Halbwahrheiten erschreckend hoch ist.

Dr. Andreas Schäfer ist Katastrophenforscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Auf Facebook-Seiten und Gruppen, etwa von "Earthquake-Report" oder auf seiner eigenen Facebook-Seite "CATnews" sowie auf Twitter kommentiert er Beobachtungen zur Erdbeben-Entwicklung.