Eine Aufnahme eines Weihnachtssterns vor einer Kirche
mauritius images / Stephan Hastreiter

Frohe Weihnachten
Weihnachten ist für alle da

Warum es wichtig ist, christliche Ideen, aber auch Überzeugungen anderer Religionen in die Öffentlichkeit zu tragen.

Von Manfred Pirner 12/23

Weihnachten übersetzen? Geht das? Gemeint ist nicht einfach, den Begriff in einer anderen Sprache wiederzugeben; dass das möglich ist, zeigt eine ganze Liste von angebotenen Übersetzungen des Wunsches "Frohe Weihnachten" in verschiedenen Sprachen im Internet – von Afrikaans ("Geseende Kerfees") bis Zulu ("Sinifesela Ukhisimusi Omuhle!"). 

Aber wie steht es mit dem Inhalt, dem christlichen Gehalt von Weihnachten? Lässt der sich so übersetzen, dass auch "religiös Unmusikalische" oder Menschen anderer Religionen etwas damit anfangen können? Erst dann könnte Weihnachten als christlicher Beitrag zum Gemeinwohl unserer Gesellschaft verstanden werden und im eigentlichen Sinn "Weihnachten für alle" sein. 

Gibt es möglicherweise bereits erfolgreiche Übersetzungen des christlichen Weihnachtens in die allgemeine Kultur hinein? Immerhin gilt Weihnachten auch in weniger bis gar nicht religiösen Kreisen als "Fest der Liebe und des Friedens", "Fest der Familie" oder "Fest der Geschenke" sowie als "Zeit der Besinnlichkeit und des Mitgefühls". In all diesen populären und tendenziell säkularen Verständnissen von Weihnachten lässt sich noch der christliche Tiefensinn wahrnehmen – oder zumindest freilegen: Gott wird aus Liebe zu uns Menschen selber Mensch, damit wir Menschen menschlicher werden. Gott schenkt sich selbst, damit wir Menschen als immer schon Beschenkte auch andere beschenken – und uns darauf besinnen, dass die wirklich wichtigen Dinge im Leben nicht käuflich sind. Gott kommt in der Armut einer Obdachlosenfamilie zur Welt, damit wir uns auf die Seite der Armen, Schwachen und Heimatlosen stellen. 

Wird aus Säkularisierung Nivellierung?

Daneben gibt es allerdings auch eine Säkularisierung von Weihnachten, die nicht von der Übersetzung, sondern der Nivellierung der christlichen Gehalte lebt. Das gilt nicht nur im Hinblick auf die ungebremste Kommerzialisierung und Partyisierung von Weihnachten, sondern leider auch hinsichtlich des Umgangs mit Weihnachten vor dem Hintergrund unseres religiös-weltanschaulichen Pluralismus. So heißt der jahreszeitliche Markt in Berlin-Kreuzberg nicht mehr "Weihnachtsmarkt", sondern "Wintermarkt", weil – so die Sprecherin des Marktes – "alle Bevölkerungsgruppen" dort "willkommen" sein sollen. Und in einer multireligiösen Berliner Kita werden statt Weihnachtsliedern Winterlieder gesungen und statt einem Krippenspiel "Rollen- und Bewegungsspiele" mit den Kindern gemacht. Der religiöse Hintergrund von Weihnachten bleibt bewusst ausgespart. Das erinnert daran, dass in Teilen der DDR Weihnachtsengel als "geflügelte Jahresendfiguren" bezeichnet wurden. 

An der Frage des öffentlichen Umgangs mit Weihnachten konkretisiert sich exemplarisch die Frage nach dem Umgang mit Religion in unserer immer pluraleren Gesellschaft: Soll das religiöse Erbe zunehmend in dem Sinn säkularisiert werden, dass es nivelliert und aus der Öffentlichkeit verdrängt wird? Oder sollen religiöse Traditionen und deren humanisierende Gehalte weiterhin eingebracht werden, zum Wohl aller und für alle?

Der früher eher religionskritische Philosoph Jürgen Habermas hat in den vergangenen Jahren immer stärker dafür plädiert, die Sinnpotenziale der religiösen Traditionen wertzuschätzen, weil sie auch "religiös Unmusikalischen" wie ihm selbst etwas zu sagen haben. Und er hat die Überzeugung gewonnen, dass diese Sinnpotenziale noch nicht ausgeschöpft sind. Dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Nächstenliebe und Fürsorge für die Schwachen grundlegende Werte sind, ist – nicht nur, aber zu einem guten Teil – die Folge von erfolgreichen Übersetzungen christlicher Vorstellungen in allgemeine Werte. Dabei sind nach Habermas’ Sicht die christlichen Ideen nicht lediglich die Leiter, die man nicht mehr braucht, wenn man ein gutes Werteniveau erklommen hat. Sie enthalten vielmehr nach wie vor anregende und differenzierte Vorstellungen vom guten Leben, auf die unsere Gesellschaft auf ihrer Suche nach mehr Menschlichkeit und bei der Lösung aktueller ethischer Problemstellungen nicht leicht verzichten kann. 

Aber auch Bürgerinnen und Bürger mit anderen religiösen und nicht-religiösen Überzeugungen sollen sich in unsere gemeinsame gesellschaftliche Suche nach dem "Gemeinwohl" einbringen können, statt diese Überzeugungen an der Garderobe des Diskursraums Öffentlichkeit abgeben zu müssen. Dafür plädiert neben Habermas vor allem der Harvard-Professor Michael Sandel. Er hat an zahlreichen Beispielen gezeigt, wie sehr öffentliche, ethische bis hin zu juristischen Urteilen auf solche Überzeugungen und deren Klärung angewiesen sind – etwa, wenn es um gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder um Sterbehilfe geht. Wir brauchen demnach einen gesellschaftlichen Pluralismus, der "starke" Überzeugungen nicht einfach ausschließt, sondern sie einbringt und miteinander ins – durchaus auch konflikthafte und streitbare – Gespräch bringt. In ähnlicher Weise hat sich Jürgen Habermas dafür ausgesprochen, dass religiöse und nicht-religiöse Menschen in einen komplementären Lernprozess eintreten, um durch das Voneinander Lernen auf dem Weg zu einer menschlicheren Gesellschaft und Welt voranzukommen.

Die Bedeutung religiöser Bildung 

Diesen Einsichten entspricht es nicht, Weihnachten in ein vollständig säkularisiertes Winterfest zu überführen oder seinen religiösen Hintergrund auszublenden. Vielmehr wäre immer neu danach zu fragen, was der religiöse Gehalt dieses Festes auch Nichtreligiösen und Andersreligiösen zu sagen hat. Auch bei Weihnachtsmärkten und sogar in Weihnachtsgottesdiensten sind bekanntlich "alle Bevölkerungsgruppen" willkommen. Das gilt aber nicht nur für Weihnachten und nicht nur für christliche Feste. Es gehört beispielsweise ebenfalls zur Tradition des islamischen Fests des Fastenbrechens am Ende des Ramadans, dass auch Nicht-Muslime eingeladen werden. Und so wie es möglich ist, dass Nicht-Christen etwas vom Weihnachtsfest lernen, können auch Nicht-Muslime etwas vom Ramadan und dem Fest des Fastenbrechens lernen. Dazu aber ist es nötig, dass in Kindertagesstätten, Schulen und anderen öffentlichen Bildungseinrichtungen das Religiöse nicht ausgeklammert oder totgeschwiegen wird. Gerade die religiösen Feste sollten als Chance für eine religiöse Bildung begriffen werden, die als wichtiger Teil der Allgemeinbildung zur Verständigung über das Gemeinwohl in einer pluralistischen Gesellschaft dringend gebraucht wird. In diesem Sinn ist Weihnachten für alle da.