Ein aufgeschlagenes Buch
Monticellllo/Fotolia

Buchtipps
Welche Bücher sich lohnen

Die dunklen Monate laden zum Schmökern in guten Büchern ein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler teilen ihre Empfehlungen.

30.12.2023

Birgitt Röttger-Rössler empfiehlt: Ocean Vuong: On Earth We’re Briefly Gorgeous. 2019 Penguin. Deutsch: Auf Erden sind wir kurz grandios. Übersetzt von Anne-Kristin Mittag. Carl Hanser 2019.

Portraitfoto von Prof. Dr. Birgitt Röttger-Rössler
Birgitt Röttger-Rössler ist Seniorprofessorin am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität Berlin. Miriam Klengel

Ma,
ich schreibe, um Dich zu erreichen – auch wenn jedes Wort auf dem Papier ein Wort weiter weg ist von dort wo Du bist (11)
. Mit diesem Satz beginnt der amerikanisch-vietnamesische Lyriker Ocean Vuong seinen autofiktionalen Debütroman. In Form eines Briefes an die Mutter, die diesen als Analphabetin niemals wird lesen können, setzt Ocean Vuong in kurzen Szenen kaleidoskopartig sein Leben bzw. das des Hauptprotagonisten zusammen. Mich berühren an diesem in einer eindrucksvollen Sprache geschriebenen Roman vor allem zwei Aspekte: zum einen die klare Aufdeckung des Zusammenwirkens von Klasse, Herkunft, Sprache, Geschlecht, Alter, Sexualität, Wohnort und in diesem Fall, den Spuren eines durch koloniale Ordnungen geprägten Krieges. Ocean Vuong zeigt, wie stark diese Kategorien Leben determinieren und wie unentrinnbar sie (meist) sind. Zum anderen bewegen mich die starken Bilder, mit denen Vuong diese nicht nur von Krieg und Flucht, sondern auch von einer komplexen Sprachlosigkeit geprägte Familie beschreibt. Um den Titel dieses wunderbaren Buches zu verstehen, muss es gelesen werden.


Stefan Kühl empfiehlt: Horst Bosetzky alias ky (1983): Aus der Traum. Roman. Verlag Bärenklau Exklusiv, eBook 2023.

Portraitfoto von Prof. Stefan Kühl
Stefan Kühl ist Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld. privat

Öffentliche Bücherschränke geben überraschend präzise Auskunft über die Sozialstruktur eines Stadtviertels. Bei diesem Buch handelt es sich um einen Zufallsfund in einem Bücherschrank in einem gutbürgerlichen Viertel in München. Der vor einigen Jahren verstorbene Soziologe Horst Bosetzky webt in seinem kurzen Buch über den Selbstmord eines Studenten an einer Hochschule für die Beamtenausbildung immer wieder kleine lesenswerte Beobachtungen über Verwaltungen in den frühen achtziger Jahren ein. Bosetzky ist sicherlich kein überragender Stilist, aber vermutlich hat er mit diesem Buch den allerersten Campus-Roman geschrieben, der in einer Fachhochschule spielt.


Angelika Nußberger empfiehlt: Lea Ypi, Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte, Suhrkamp 2021.

Portraitfoto von Prof. Dr. Angelika Nußberger
Angelika Nußberger ist Direktorin der Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz an der Universität zu Köln. Pascal Bünning

Kaum ein Buch schildert die Perspektive "der anderen" auf die großen Umbrüche Anfang der 90er Jahre in Osteuropa so eindringlich wie die autobiographische Schrift der 1979 in Tirana geborenen Professorin für Politische Philosophie an der London School of Economics Lea Ypi. Sie erlebt den Sturz des kommunistischen Regimes und die Öffnung für Europa als Kind mit 12 Jahren und lässt uns Anteil haben an ihrem Lernen und Erkennen. Auf diese Weise entlarvt sie nicht nur die propagandistischen Lügen der Vergangenheit, sondern auch die naiven Illusionen einer demokratischen Zukunft am scheinbaren "Ende der Geschichte". 


Diese und weitere Buchempfehlungen lesen Sie in der Dezember-Ausgabe von Forschung & Lehre 12/23.