Das Slawistik-Institut der Universität Greifswald.
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Russischer Angriffskrieg
Wie ergeht es den Slawistik-Instituten in Deutschland?

Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf deutsche Slawistik-Institute sind gravierend. Forschende hoffen auf ein baldiges Ende.

Von Friederike Invernizzi 13.09.2023

Vor mehr als einem Jahr, am 24. Februar 2022, begann die Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Seitdem dauert der Angriffskrieg Russlands an. Die Nato- und EU-Staaten beschlossen rasch umfangreiche Sanktionen gegen Russland, die auch die Wissenschaftslandschaft des Westens und der russischen Föderation betreffen. Forschung & Lehre hat bei 24 von 31 Slawistik-Instituten an deutschen Hochschulen nachgefragt: Wie machen sich die Sanktionen an den einzelnen Instituten konkret bemerkbar? Wie gehen die Professorinnen und Professoren an den Lehrstühlen mit den Konsequenzen der Sanktionen um? Wie schätzen sie persönlich die Auswirkungen der Sanktionen im Wissenschaftsbereich ein? 15 Institutsprofessorinnen und -Professoren haben geantwortet.

Deutlich wird zunächst, dass die konkreten Folgen für die Lehre und Forschung, abseits der grundsätzlichen allgemeinen Zustimmung zu den Maßnahmen, als gravierend und weitreichend eingeschätzt werden. "Es gibt fast keine administrativen und wissenschaftlichen Kontakte mit Russland mehr. Unser Institut war mit einer Reihe von Universitäten und anderen Institutionen in Russland in Forschung und Lehre vernetzt. Diese Netzwerke sind weitestgehend zerstört", so Slawistik-Professor Matthias Freise, Universität Göttingen. Teilweise jahrzehntelange Kooperationen, gemeinsame Forschungs- und Partnerschaftsprogramme sind ausgesetzt. "Unendlich viele Vorarbeiten laufen nun ins Leere", sagt Professorin Henrieke Stahl, Universität Trier. Weiterhin sind Doppel-Abschlussprogramme auf Eis gelegt bzw. ausgesetzt. "Dies betrifft unter anderem das traditionsreiche Rossicum, einen Sommersprachkurs, der über Jahrzehnte in enger Kooperation mit der Staatlichen Universität Petersburg organisiert wurde", erzählt Professorin Marion Krause, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Slawistik in Hamburg.

Was sind konkrete Folgen des russischen Angriffskrieges für Lehre und Forschung?

Als eine der gravierendsten Folgen werden das Verbot von Forschungskooperationen und die daraus entstehenden Dilemmata genannt. Professor Daniel Bunčić, Universität zu Köln, nennt ein Beispiel: "Eine Mitarbeiterin des Instituts hatte vor dem 24. Februar 2022 einen Projektantrag über die Russische Gebärdensprache bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht, in dem sie die Kooperation mit einer Kollegin in Russland angekündigt hat, die dazu umfangreiche Sprachdaten besitzt. Nach dem 24. Februar 2022 wurde ihr gesagt, dass der Antrag nicht bewilligt werden könnte, weil Kooperationen mit Russland unmöglich seien. Daraufhin hat sie eine schriftliche Versicherung abgegeben, dass sie auf jegliche Kooperation mit russischen Kolleginnen und Kollegen verzichten werde. Der Antrag wurde bewilligt, jedoch hatte sie dann keine Datengrundlage für ihre Forschung". In Folge der Sanktionen sind zudem Forschungsreisen nach Russland nur eingeschränkt bis gar nicht möglich. Unter anderem kann dadurch auf das Material in russischen Archiven und Bibliotheken nicht mehr zugegriffen werden.

Die spärlichen Reisen seien zudem um ein Vielfaches teurer, da meistens Umwege über die Türkei nötig wären, so Bunčić. Der wissenschaftliche Austausch auf Konferenzen sei nahezu völlig zum Erliegen gekommen, so Professorin Katrin Schlund, Universität Halle. Eine weitere Frage stellt sich nach der Zukunft internationaler slawistischer Fachzeitschriften, eine unverzichtbare Möglichkeit, sich wissenschaftlich auf internationaler Ebene auszutauschen. "Die Beiträge russischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler [werden] immer weniger. Wenn doch noch Kolleginnen und Kollegen Beiträge einreichen, herrscht Unsicherheit, unter welchen Umständen man diese annehmen oder ablehnen kann", so Bunčić. Neben Fachzeitschriften betrifft dies auch Lehrbücher, Jahrbücher und andere wissenschaftliche Fachliteratur, die von den slawistischen Lehrstühlen nicht oder nur sehr eingeschränkt herausgegeben werden können. "Die Bücher und andere Publikationen werden sofort anachronistisch", bringt Professorin Mirja Lecke von der Universität Regensburg das Problem auf den Punkt. Zudem seien Bücher aus Russland nicht mehr bestellbar. Didaktisches Material veralte sehr schnell, neues könne man schlecht einschätzen. 

Die Institute stehen außerdem vor einem weiteren großen Dilemma: Anträge auf die entsprechenden DAAD-Programme und Ostpartnerschaften dürfen nicht mehr gestellt werden. Das Aussetzen der Austauschprogramme hat massive Folgen für die Möglichkeiten des Spracherwerbs, die für ein Slawistik-Studium unabdingbar sind. "Alle Austauschprogramme sind ausgesetzt, was für Studierende des Russischen sehr problematisch ist, da sie ihre Sprachkenntnisse unbedingt in einem russischsprachigen Land verfestigen müssen," schildert Schlund das Problem. Der Verlust von authentischen Kenntnissen des Landes aus eigener Anschauung sei die Folge, meint Lecke. 

Was in den Slawistik-Instituten gerade vor sich geht: Reflexion und Emotionen

Auf einer anderen Ebene lägen Auswirkungen, die eine Reflexion über politische, ideologische und ethische Rahmenbedingungen in Gang gesetzt hätten. "Dies hat (…) zu einer kritischen Rückschau geführt und einen gehörigen Mangel an wissenschaftspolitischer als auch innerfachwissenschaftlicher Aufmerksamkeit und damit auch ethischer Verantwortung sichtbar gemacht", merkt Professor Jurij Murasov, Universität Konstanz, an. Neben der eher bedrückten Stimmung an den Slawistik-Instituten wird immer wieder die Trauer der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über zerbrochene Freundschaften und den Verlust jahrzehntelang aufgebauter gemeinsamer Forschungsarbeit deutlich. Es herrscht auch Sorge darüber vor, welche Folgen die Maßnahmen für die russischen Kolleginnen und Kollegen haben werden. "[Wir wissen], wie schwierig die Isolation für die in Russland verbliebenen Kolleginnen und Kollegen ist, waren es doch in den vergangenen Jahrzehnten der Sowjetzeit bis in die Ära Putin immer wieder gerade Vertreterinnen und Vertreter der russischen Intelligenzija, die autoritäre, antidemokratische Tendenzen in der russländischen Gesellschaft zur Sprache gebracht haben", so Krause. Dass Deutschland regimekritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu wenig unterstütze und kaum Überlegungen anstelle, wie Netzwerke erhalten werden können, wird vielfach angemerkt. "Dazu könnte auch eine stärkere Förderung von Einladungen russischer Gastforschender zu Kurzaufenthalten zählen, durchaus unter bestimmten Bedingungen, (…), auch sollte es eine finanzielle Unterstützung geben, wenn wichtige russische Forschende um Hilfe suchen, die die Russische Föderation zeitweise verlassen oder emigrieren möchten," schlägt Stahl vor. "Es wäre wünschenswert, studentischen Austausch trotz des Krieges in reduziertem Rahmen und mit flankierenden Maßnahmen zu ermöglichen," fordert Professorin Meyer-Fraatz, Universität Jena. 

Welche Wege gehen die Slawistik-Institute in Deutschland?

Im Umgang mit den Einschränkungen versuchen die Slawistik-Institute, das Beste aus der Situation zu machen. "Ich habe mich dazu entschlossen, im Bereich Russische Literatur keine russländische Literatur mehr zu lehren, sondern nur noch russischsprachige Literatur von Autoren aus den ehemaligen Kolonien Kasachstan, Ukraine, Kirgistan, Belarus und Turkmenistan," sagt Freise. Die Universität Hamburg baut ähnlich wie andere deutsche Slawistik-Institute bestehende Partnerschaften mit anderen Ländern aus und sucht sich neue Partner. "Dabei rücken neben den slawisch sprechenden Ländern wie Polen, Tschechien oder Bulgarien auch die Staaten des Baltikums wieder in den Fokus. Sie erfüllen politisch, kulturell und sprachlich eine wichtige Brückenfunktion", beschreibt Bunčić die Umorientierung. Weiterhin wird vielfach versucht, die Kontakte zu den russischen Kolleginnen und Kolleginnen auf inoffizieller Ebene zu halten, bei gleichzeitiger Vorsicht, diese dadurch nicht unnötig zu gefährden. Teilweise entschließen sich die Institute, Kooperationen und andere Projekte ohne finanzielle Unterstützung zu stemmen, so beispielsweise an der Universität Jena.

Wie steht es um die Zukunft der Slawistik-Institute in Deutschland?

Die Institute hoffen auf ein baldiges Ende des Krieges. Wie könnte es dann weitergehen? "Es wird nicht einfach möglich sein, nach Ende des Krieges auch unter bestmöglichen Bedingungen an das jahrzehntelang Aufgebaute wieder anzuknüpfen. Vertrauen muss wiedergewonnen werden, auf beiden Seiten," beschreibt Bunčić. Persönliche Kontakte und Wertschätzung seien die Basis, um einen Neustart in den Beziehungen zu wagen, wenn es soweit sei.