Ein Paar sitzt auf den Bettkanten eines Ehebettes und wendet sich jeweils die Rücken zu. Zwischen ihnen wurde mit Klebeband eine Trennlinie auf das Bett geklebt.
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Psychologie
Woran scheitert die Liebe?

Das Scheitern in Ehe und Paarbeziehungen ist heute kein Tabu mehr, aber vielen weiterhin ein Rätsel. Fragen an einen Psychologen.

Von Friederike Invernizzi 31.10.2021

Forschung & Lehre: Die berühmte italienische Filmschauspielerin Claudia Cardinale formulierte einmal: Die beste Ehe ist die, wo die Partner ein bisschen unverheiratet bleiben…

Ulrich Schmidt-Denter: Aus psychologischer Sicht liegt Claudia Cardinale durchaus richtig. Sie spricht einen Grundkonflikt in zwischenmenschlichen Beziehungen an, der nicht nur für Ehepartner gilt. Es geht um die Vereinbarkeit zwischen dem Bedürfnis nach Vertrautheit, Nähe, Exklusivität einerseits und dem Bedürfnis nach Autonomie und Individualität andererseits. Zwischen beidem menschlichen Bestreben muss ein Kompromiss gefunden werden. Wie die Forschung zeigt, kann diese Balancierung in verschiedenen Typen ehelicher Beziehungen aber durchaus unterschiedlich aussehen, das heißt, das Ausmaß von "ein bisschen unverheiratet bleiben" kann unterschiedlich dosiert werden.

Portraitfoto von Prof. Dr. Ulrich Schmidt-Denter
Ulrich Schmidt-Denter ist Professor für Entwicklungs- und Erziehungspsychologie an der Universität zu Köln. privat

F&L: Die Scheidungszahlen gehen in Deutschland seit 2008 kontinuierlich zurück. Gleichzeitig wurden im Jahre 2016 etwa 410.000 Ehen geschlossen, so viele wie seit 16 Jahren nicht mehr. Sind die Klagen über die wachsende "Bindungsunfähigkeit" des modernen Menschen unberechtigt?

Ulrich Schmidt-Denter: Einmal abgesehen davon, dass die Interpretation der Zahlen von der Art der statistischen Berechnung abhängig ist, trifft es sicher zu, dass der kontinuierliche Anstieg der Ehescheidungen, der seit den 1970er Jahren zu beobachten war, seit einiger Zeit gestoppt ist. Den früheren Anstieg erklärte man als Modernisierungseffekt, also als Ergebnis eines Wertewandels, der mit einer Enttabuisierung der Scheidung einherging. Im entgegengesetzten Trend lässt sich eine Re-Traditionalisierung erkennen. Wie Umfragen zeigen, messen junge Leute familiären Werten eine zunehmende Bedeutung bei. Gerade in Zeiten erlebter Unsicherheit steigt das Bedürfnis nach Geborgenheit und Zusammenhalt.

F&L: Können Sie erkennen, welchen Einfluss die Corona-Pandemie hat?

Ulrich Schmidt-Denter: Hierzu stehen anspruchsvolle Studien noch aus. Was sich bereits erkennen lässt, ist die Bivalenz einer Situation, die eine höhere Kontaktdichte der Familienmitglieder erzwingt. Es wird sowohl von erhöhter Konfliktanfälligkeit und sogar vermehrter Gewalterfahrung berichtet als auch von der beglückenden Entdeckung eines neuen Gemeinschaftsgefühls.

F&L: Woran lässt sich erkennen, ob eine Ehe beziehungsweise eine Partnerschaft stabil ist?

Ulrich Schmidt-Denter: Die Stabilität einer Ehe lässt sich natürlich durch äußeren Druck erzeugen, also durch religiöse oder gesellschaftliche Tabuisierung der Scheidung oder durch ökonomische Abhängigkeit. In unserer Gesellschaft stehen jedoch psychologische Faktoren im Vordergrund, das heißt, Ehestabilität hängt mit Ehezufriedenheit zusammen. Zufriedene Paare zeigen in Untersuchungen ein hohes Maß an Verständnis für einander, positive Gefühle und ein konstruktives Kommunikationsverhalten. Die Beziehung wird aber nicht nur durch bewusste Investitionen in Kohäsion und Nähe gestützt, sondern auch durch reibungsloses Routineverhalten in Alltagssituationen, zum Beispiel bezüglich der Aufgabenverteilung. Die Stabilität einer Ehe lässt sich somit auch an den Formen der Stressbewältigung ablesen. Effiziente beziehungsweise ineffiziente Coping-Strategien entscheiden darüber, ob Belastungen (wie beruflicher Stress, kindbezogener Stress, Freizeitstress oder sonstige tägliche Widrigkeiten) die Beziehungsqualität und -stabilität entscheidend verringern oder nicht. 

F&L: Der amerikanische Mathematiker und Psychologe John Gottman hat über Jahrzehnte Tausende von Paaren in seinem Labor beobachtet und analysiert. Er fragte sich: Was genau bewirkt das Scheitern einer Beziehung? Geringschätzung, so ist seine These, sei der wichtigste Trennungsgrund...

Ulrich Schmidt-Denter: Gottman konnte nachweisen, dass die Erosion einer Paarbeziehung einsetzt, lange bevor den Partnern das Scheitern der Beziehung bewusst wird. Die destruktiven Kommunikationsformen auf dem Weg zur Trennung/Scheidung nannte er "apokalyptische Reiter":

  • Kritik (ständige Vorwürfe, Anklagen, Nörgeln)
  • Verachtung/Herabwürdigung (Beleidigungen, abwertende zynische und sarkastische Bemerkungen)
  • Rechtfertigung (Abwehr, Gegenvorwürfe, Schuldabweisungen)
  • Mauern/Abblocken (Kommunikation verweigern, typischerweise Rückzugsverhalten bei Männern, bei gleichzeitiger physiologischer Erregung beider Partner)
  • Provokative Machtdemonstration

Man muss hinzufügen, dass solche negativen Verhaltensweisen auch in intakten Beziehungen vorkommen können. Entscheidend ist, wie typisch sie für die Paarkommunikation sind. Gottman meinte, dass das Verhältnis von positiven zu negativen Äußerungen mindestens fünf zu eins betragen muss, damit die Beziehungsqualität nicht leidet ("Gottman-Konstante").

F&L: Sie haben sich mit den Folgen von Trennung und Scheidung bei den Familien beschäftigt. Wie berechtigt sind die Ängste, dass insbesondere die Kinder sehr unter den Folgen leiden?

Ulrich Schmidt-Denter: Eine Trennung/Scheidung ist für die betroffenen Kinder eine belastende Situation, in der es auch zu Verhaltensauffälligkeiten kommen kann. Die Eltern können aber wesentlich dazu beitragen, dass die Belastungen so gering wie möglich gehalten werden. In unserer Kölner Langzeitstudie mit Trennungs-/Scheidungsfamilien zeigte sich, dass die Symptombelastung von Kindern verringert wird, wenn es den Eltern gelingt, ihre Konflikte zu begrenzen und sich ihrer Verantwortungsgemeinschaft bewusst zu werden. Als stabilisierend erwies sich, wenn Kontakte zu beiden Elternteilen und zu den Verwandten, insbesondere den Großeltern, beider Seiten fortgeführt wurden. Unsere Ergebnisse trugen dazu bei, dass in Deutschland die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall eingeführt wurde, während vorher meistens nur einem Elternteil das Sorgerecht und dem anderen lediglich ein Umgangsrecht zugesprochen wurde.

F&L: Vor welchen Herausforderungen stehen Familien bei einer Trennung? Wie sind sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen betroffen?

Ulrich Schmidt-Denter: Die Scheidung als sogennantes kritisches Lebensereignis erfordert zahlreiche Anpassungsleistungen an veränderte Bedingungen. Die Herausforderungen liegen sowohl im emotionalen als auch im instrumentellen Bereich. Die Betroffenen haben mit seelischen Verwirrungen und Verletzungen, Ängsten, Enttäuschungen, Verzweiflung und Wut zu kämpfen und müssen gleichzeitig zahlreiche Probleme wie Sorgerechtsregelungen, finanzielle Konsequenzen sowie gegebenenfallsWohnungs-, Berufs- oder Schulwechsel bewältigen. In dieser kritischen Übergangsphase kann eine Scheidungsmediation hilfreich sein.

F&L: In welchen Lebensphasen trennen sich Paare? Trennen sich (Ehe-)Partner auch im fortgeschrittenen Alter (ab 60 und älter)?

Ulrich Schmidt-Denter: Früher sprach man vom "verflixten siebten Jahr", laut Statistik müsste man heute besser vom verflixten vierten Jahr sprechen, dann ist nämlich die Scheidungsrate am höchsten. Danach sinkt sie kontinuierlich ab. Dies bedeutet, dass in der Hälfte aller Fälle keine Kinder betroffen sind. Kinder wirken ehestabilisierend. Dies erkennt man auch an der zweiten (wenn auch nicht so deutlichen) Aufgipfelung in der Scheidungsrate, der sogenannten Scheidung nach der Silberhochzeit. Häufig haben dann die Kinder das Elternhaus verlassen, die Paare sind wieder stärker auf sich selbst bezogen, ziehen eine Bilanz der Ehe, bewerten die Verwirklichung ihrer Lebenspläne und entscheiden sich gegebenenfalls dafür, eigene Wege zu gehen.

F&L: Wird das Ende einer Ehe/Beziehung heutzutage gesellschaftlich als Scheitern betrachtet? Was hat sich verändert?

Ulrich Schmidt-Denter: Eine Ehescheidung hat keinen Seltenheitswert mehr. In Deutschland wird jede dritte Ehe geschieden, in den Großstädten sogar jede zweite. Ein gesellschaftlicher Wertewandel hat zudem dazu geführt, dass die Stigmatisierung nachgelassen hat. Die Kinder müssen beispielsweise in der Schule nicht mehr befürchten, gehänselt zu werden. Andererseits erhalten sie aber vielleicht auch nicht die zusätzliche sozial-emotionale Unterstützung, die sie benötigen. Aus diesem Grunde werden Gruppeninterventionsprogramme angeboten, in denen Scheidungskinder zusammen mit anderen betroffenen Gleichaltrigen psychologische Hilfe in Anspruch nehmen können.

F&L: Bitte abschließend Ihre Gedanken zu: "Gegensätze ziehen sich an" – "Gleich und gleich gesellt sich gern"…

Ulrich Schmidt-Denter: Beide Prinzipien spielen für die Attraktivität sozialer Kontakte eine Rolle. Für die Stabilität langfristig angelegter Beziehungen, wie einer Ehe, ist jedoch das zweite das wichtigere. Dies gilt insbesondere für grundlegende Überzeugungen und Wertvorstellungen, wie sie zum Beispiel im Kinderwunsch zum Ausdruck kommen. Gegensätzlichkeiten mögen dagegen in anderen Bereichen stützend wirken, so lange sie nicht zu Konflikten führen, etwa wenn sie die Arbeitsteilung erleichtern oder das Interessenspektrum des Paares erweitern.

"Scheitern" – Schwerpunktthema der November-Ausgabe von "Forschung & Lehre"

Man kann alles geben und doch – scheitern. Nicht nur in Beziehungen muss man sich Niederlagen eingestehen, sondern natürlich auch im beruflichen Kontext. Was machen Projekte und Vorhaben, die uns nicht gelingen, mit uns? Wie wichtig ist es, zu stolpern, hinzufallen und wieder aufzustehen, insbesondere in den Wissenschaften? Was ist vom "erfolgreichen Scheitern" zu halten? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die aktuelle Ausgabe von Forschung & Lehre – jetzt lesen!