Frau mit Regenbogenballon hebt sich von anderen mit dunklen Wolken ab (Symbolbild "Hoffnung").
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Gesellschaft gestern und heute
Ziel unserer Hoffnungen

Menschen hegen Hoffnungen, als Gemeinschaft und allein. Wie veränderten sich unsere Wunschvorstellungen im Laufe der Jahrhunderte?

Von Andreas M. Krafft 26.12.2022

In den letzten Jahren hat das Phänomen der Hoffnung im alltäglichen Leben der Menschen und damit auch in den Medien sowie im wissenschaftlichen Diskurs kontinuierlich an Präsenz und Bedeutung gewonnen. Je stärker sich Menschen mit Krisen wie der weltweiten Pandemie, Kriegen und den Folgen von Umweltkatastrophen konfrontiert sehen, desto wichtiger wird für sie die Hoffnung. In Zeiten des Krieges hoffen Menschen auf Frieden und in Zeiten der Pandemie wünschen sie sich Gesundheit.

"Hoffnung gründet auf dem Glauben an eine bessere Zukunft, die zwar schwer zu erreichen, aber nicht unmöglich ist."

Im weitesten Sinne gründet Hoffnung auf dem Glauben an eine bessere Zukunft, die zwar schwer zu erreichen, aber nicht unmöglich ist. Zudem benötigt sie das Vertrauen in Fähigkeiten, Ressourcen und gegenseitige Hilfsbereitschaft der Menschen zur Erfüllung des erwünschten Ziels. Auch wenn wir diese Fähigkeiten noch nicht besitzen, können wir weiterhin daran glauben und darauf vertrauen, dass es uns in Zukunft gelingen kann, unsere Ziele zu erreichen und Wünsche zu erfüllen.

Individuelle Hoffnungen der Menschen

Wünsche und Ziele sind so vielfältig wie das Leben selbst. Einzelne Menschen richten ihre Hoffnungen auf unterschiedliche Dinge. Mit der jährlichen Umfrage des Hoffnungsbarometers untersuchen wir an der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit "swissfuture", der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung, seit 13 Jahren die verschiedenen Zukunftserwartungen und Wünsche der Menschen sowie die Quellen der Hoffnung, auf die sich die Menschen beziehen, um besonders in schwierigen Situationen zuversichtlich zu bleiben. Inzwischen wird die Umfrage neben der Schweiz auch in Zusammenarbeit mit renommierten Universitäten in Australien, Frankreich, Indien, Israel, Italien, Kolumbien, Nigeria, Polen, Portugal, Spanien, Südafrika und der Tschechischen Republik durchgeführt.

Auf individueller Ebene richten sich die wichtigsten Hoffnungen vorwiegend auf eine gute Gesundheit, auf eine glückliche Ehe, Familie oder Partnerschaft, auf vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen, auf Harmonie im Leben sowie auf eine sinnerfüllende Aufgabe. Diese Wünsche sind für die meisten Menschen viel wichtiger als Reichtum, Karriere und romantische Beziehungen.

Zu den wichtigsten Quellen von Hoffnung zählen an erster Stelle die Verbindung zur Natur und die Unterstützung von Familie und Freunden, gefolgt von der Erfahrung, schwierige Probleme gelöst und etwas Gutes für einen sinnvollen Zweck getan zu haben. Diese jährlich wiederkehrenden Ergebnisse zeigen, wie wichtig die Natur, liebevolle Beziehungen sowie gegenseitige Hilfsbereitschaft zusammen mit der eigenen Selbstwirksamkeit für die Hoffnung sind.

Kollektive Ziele für die Menschheit

Nebst den individuellen Hoffnungen gibt es auch kollektive Hoffnungen oder Ziele, die in gewissen Zeiten von der gesamten Gesellschaft verfolgt werden. Kollektive Hoffnungen bestehen aus dem gemeinsamen Wunsch nach einer besseren Zukunft nicht nur für sich selbst, sondern für die gesamte Menschheit, dem Glauben daran, dass eine bessere Zukunft für alle möglich, aber nicht unbedingt garantiert oder gar wahrscheinlich ist, und dem Vertrauen in die menschliche Fähigkeit, durch gemeinsames Handeln eine bessere Welt zu schaffen.

"Kollektive Hoffnungen bestehen aus dem gemeinsamen Wunsch nach einer besseren Zukunft für die gesamte Menschheit."

Die aktuellen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Entwicklungen stellen allerdings große Herausforderungen für uns dar. In den reicheren Ländern Europas glauben die meisten Menschen, dass die allgemeine Lebensqualität in Zukunft (in 20 Jahren) schlechter sein wird als heute. Besonders kritisch sehen die Menschen die Verschlechterung der mentalen Gesundheit, die zunehmende Kluft zwischen Armen und Reichen, die verstärkte Kriminalität und Gewalt sowie die fortschreitende Umweltzerstörung.

Für knapp zwei Drittel der Bevölkerung war es schon vor den aktuellen Krisen eher bis ziemlich unwahrscheinlich, dass der bisherige Weg der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung ein neues Zeitalter der Nachhaltigkeit, des Friedens und des Wohlstandes ermöglichen würde. Dagegen erwarten nahezu 80 Prozent der Menschen, dass Umweltzerstörungen, neue Krankheiten sowie ethnische und regionale Konflikte die Welt in eine schwere Zeit von Krisen und Problemen stürzen werden.

Menschen können auf ein besseres Leben hoffen, wenn sie Bilder einer wünschenswerten Zukunft entwickeln und daran glauben können, dass diese nicht lediglich Wunschdenken darstellen, sondern auch erreicht werden können. Ohne diese Hoffnung würden sich weder der Einzelne noch die Menschheit als Ganzes sinnerfüllende Ziele und Aufgaben vornehmen, für die es sich zu engagieren lohnt.

Im November 2019 bewerteten rund 10.000 Menschen in 14 Ländern wie wünschenswert mögliche Zukunftsszenarien sind. Eine überwältigende Mehrheit von knapp 90 Prozent der Bevölkerung wünschte sich eine grünere, harmonischere Gesellschaft, in der der Schwerpunkt auf Zusammenarbeit, Gemeinschaft und Familie, einer gleichmäßigeren Verteilung des Reichtums und einer größeren wirtschaftlichen Selbstversorgung liegt. Angesichts der düsteren Prognosen stellt sich allerdings die Frage, ob dieses Bild lediglich ein Wunschdenken ist oder ob wir an die Möglichkeit (wenn auch nicht Wahrscheinlichkeit) einer solchen Zukunft glauben können und uns dementsprechend auch dafür einsetzen wollen.

Gesellschaftliche Hoffnungen durch die Jahrhunderte

Wenn wir über die großen Ziele, Wünsche und Hoffnungen der Menschen und deren Erfüllung nachdenken, lohnt es sich, einen Blick auf die Geschichte zu werfen. Die Menschheit hat immer wieder vor Herausforderungen und Transformationen gestanden, die Geduld und Ausdauer verlangten. Wie langsam, turbulent aber auch unaufhaltsam die zentralen Entwicklungen sind, zeigen uns die Ereignisse der letzten 300 bis 400 Jahre. Jedes Jahrhundert scheint von bestimmten übergreifenden Hoffnungen gekennzeichnet zu sein. Selbstverständlich fanden in verschiedenen Weltregionen unterschiedliche Entwicklungen statt und die großen Ziele wurden von vielen individuellen Hoffnungen begleitet oder gar überlagert. Nichtdestotrotz lassen sich im Verlauf der letzten Jahrhunderte, zumindest in den westlichen Ländern des Nordens, gewisse Muster eines sich wandelnden Zeitgeistes und einer positiven Entwicklung erkennen.  

Was können wir von den Hoffnungen der Vergangenheit lernen? Das 18. Jahrhundert war von der großen Hoffnung auf Freiheit gekennzeichnet. Die Menschen wollten frei sein von den erdrückenden sozialen Verhältnissen einer absolutistischen Kirche und eines despotischen Adels des Mittelalters. Bezeichnend für diese Zeit waren die humanistischen Entwicklungen an den Universitäten – etwa durch Immanuel Kant – sowie die Französische Revolution und die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung.

Im 19. Jahrhundert hatten viele Menschen die Freiheit erlangt, litten aber an Hunger und Krankheiten. In diesem Jahrhundert richtete sich die Hoffnung der Gesellschaft auf den materiellen Wohlstand. Es ist das Jahrhundert der Industrialisierung, des Merkantilismus und des Aufbaus städtischer Infrastrukturen. Ein bis dahin nie dagewesener Wohlstand wurde durch diese Faktoren möglich. Allerdings haben damalige Fehlentwicklungen Wirtschaft und Gesellschaft in eine tiefe Krise gestürzt.

Für das 20. Jahrhundert stand nun die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Gleichbehandlung auf der Tagesordnung. Die beiden Weltkriege sowie die russische und die chinesische Revolution waren eine Folge davon. Schließlich war dies auch das Jahrhundert der sozialen Marktwirtschaft, der Menschenrechte, der Frauenbewegung, der Rassengleichstellung, der Vereinten Nationen und Ähnlichem mehr. Vieles konnte erreicht werden und die Welt (nicht nur die westliche) erlangte mehr Demokratie und Gleichberechtigung.

Welche Ziele visiert das 21. Jahrhundert an?

Im Verlauf der Zeit konnten die großen Hoffnungen der Menschheit zwar nicht vollkommen erfüllt, aber doch Schritt für Schritt verwirklicht werden: Mehr Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit. Nun stellt sich die Frage, was die großen Ziele und Hoffnungen des 21. Jahrhunderts sind. Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit bleiben nach wie vor wichtige Ziele, die nicht aus den Augen verloren werden dürfen. Die Errungenschaften jeder vorangehenden Epoche stellen sogar die Bedingungen für die Bewältigung kommender Herausforderungen dar.

"Wenn wir die Hoffnung auf eine nachhaltige Welt in Harmonie und Frieden aufgeben, dann ist das Scheitern sicher."

Die zentralen Aufgaben des 21. Jahrhunderts, für die Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit als Voraussetzungen dienen, sind Frieden, Harmonie, Nachhaltigkeit und Wohlbefinden. Nun kann zu Recht gesagt werden, dass wir in diesen Bereichen zurzeit genau das Gegenteil erleben. Ja, das ist so. Aber gerade aus diesem Grund sind diese Hoffnungen so bedeutsam. Wir sind erst am Anfang des 21. Jahrhunderts. Denken wir nochmals an das 20. Jahrhundert zurück und vergleichen die Zustände im Jahr 1922 mit denen im Jahr 1992. Zwischen dem Anfang und dem Ende des 20. Jahrhunderts liegen Welten. Diese Erfahrungen lassen uns wieder an die vor uns stehenden Möglichkeiten glauben und vertrauen, dass wir auch die Hoffnungen und Ziele des 21. Jahrhunderts Schritt für Schritt verwirklichen werden können. Es wird nicht einfach sein und die Wahrscheinlichkeit zu scheitern ist hoch. Wenn wir aber die Hoffnung auf eine nachhaltige Welt in Harmonie und Frieden aufgeben, dann ist das Scheitern nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher. Solange wir aber unsere Hoffnung hochhalten, werden wir etwas dafür unternehmen und die Erfüllung unserer sehnlichsten Wünsche wieder möglich erscheinen lassen.