CRISPR
Das ethische Problem der Scientific community
Ist He Jiankui, der chinesische Forscher, der behauptet, an Embryonen einen Eingriff mit dem noch sehr jungen Verfahren Crispr/Cas9 durchgeführt zu haben, ein Hasardeur? Hat er seine eigene Karriere und die Gesundheit von Kindern verantwortungslos aufs Spiel gesetzt? Um was zu gewinnen? Sein Ziel sei es gewesen, die Kinder resistent gegen HIV zu machen. Man könne definitiv auch anders vor HIV schützen, sind die meisten Kritiker überzeugt.
Eine geprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung zu den Eingriffen gibt es noch nicht. "Bei dieser Geschichte läuft alles falsch. So darf Wissenschaft, wenn sie auch nur ansatzweise das Label 'Verantwortung' vor sich herzutragen gewillt ist, nicht vorgehen", sagte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock. Das Ganze sei ein "Bärendienst" gegenüber allen ernsthaften Wissenschaftlern, die sich als Teil der Gesellschaft begreifen wollten. Die weltweite Front der Ablehnung dieses Eingriffs scheint komplett. Auch die zwei Entdeckerinnen der Crispr-Methode, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, kritisierten He deutlich.
Dabei sind zwei Punkte bedenkenswert: Es gibt keine Stellungnahme, die solche Eingriffe kategorial ausschließt. Meist ist davon die Rede, dass die Methode "noch nicht" sicher sei, es im Falle der Anwendung einen Konsens in der Gesellschaft geben müsse. Dazu kommt der Rekurs auf die Menschenwürde. Diese sei "Grundlage jeder Forschung", ja es müsse einen "internationalen Pakt für die Menschenwürde – mit verbindlichen und harten Sanktionen" geben, fordert eine Politikerin.
Eine ethische Verwirrung
Was aber bedeutet dies für ethisches Verhalten? Sören Kierkegaard hat das Überlegen und Analysieren über ethische Fragen einmal sehr pointiert kritisiert: Von klein auf das Räsonieren gewohnt, fragten wir bei allem und jedem: Was ist das? Warum ist das so? Ist das erlaubt? Sollte es gar verboten sein? Also fragen wir unverdrossen: Was ist das Ethische? Und nicht nur wir fragen danach, sondern alle anderen auch, in Ethik-Kommissionen, Ethikräten usw. Das Ergebnis sei "etwas einigermaßen Schauderhaftes": Man müsse sich einmal "die ganze Menge von Buchbindern, Buchhändlern, Journalisten, Verfassern vorstellen – und alle diese arbeiten Tag und Nacht im Dienste der Verwirrung."
Die Verwirrung bestehe nämlich genau darin, diese Frage zu stellen: Was ist nämlich das Ethische? Damit frage man unethisch nach dem Ethischen. Das Ethische beginne nicht mit Unwissenheit, die in Wissen verwandelt werden solle, sondern beginne mit einem Wissen und fordere ein Realisieren. Wer hier erst nach einem Wissen forsche, der sei, so Kierkegaard, ein "Schlingel", der Ausflüchte mache und Ausflucht suche. "Es gilt hier, unbedingt konsequent zu sein, eine einzige Unsicherheit in der Attitüde, dann hat die moderne Verwirrung uns erfaßt." Wenn z.B. jemand sage: "Vom Ethischen gibt es ja ganz verschiedene Begriffe in verschiedenen Ländern und verschiedenen Zeiten." Wie werde dann dieser Zweifel aufgelöst werden können? "Wissenschaftlich werde er zu Folianten führen und doch nicht zum Stehen gebracht werden." Aber das Ethische fasse, ethisch konsequent, den Zweifler und sage: "Was geht Dich das an, Du sollst in jedem Augenblick das Ethische tun, und bist für jeden Augenblick, den Du vergeudest, ethisch verantwortlich."
Die Menschenwürde ist kein Höchstwert
Warum gibt es hier nichts zu räsonieren? Weil es um etwas Unbedingtes geht. Das ist heute allerdings schwer vermittelbar. Denn die unbedingte moralische Forderung hat ihren Ursprung in der zur Zeit vielbeschworenen Menschenwürde und diese ist keine Kategorie der Moralität, sondern die Bedingung der Möglichkeit von Moralität. Als Bedingung der Möglichkeit ist sie aber dem Räsonieren, dem auf Begründung abzielenden und am richtigen Orte notwendigen ethischen Argumentieren, vorausgesetzt und nicht zugänglich. Die Menschenwürde ist damit, positiv gesagt, ein Metaphysicum und Absolutum, polemisch, eine "bloße Behauptung", eine Setzung, außerhalb des argumentativen Vollzuges.
Kant formuliert es so: "Allein der Mensch als Person betrachtet, d.i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d.i. er besitzt eine Würde (einen absoluten inneren Wert), wodurch er allen anderen vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt, sich mit jedem anderen dieser Art messen und auf den Fuß der Gleichheit schätzen kann." Diese Einsicht Kants bedeutet: Der Mensch ist um seiner selbst willen interessant, er hat Würde, die absolut und kein "Höchstwert" in einer Wertehierarchie ist.
Das bringt eine Gemeinschaft von Forschern verständlicherweise in die Bredouille, führt es doch zu der Frage: Wieviel Metaphysik will sich die Wissenschaft zumuten? Die Frage wird nicht gestellt. Vielleicht, weil man nur die Fragen hört, auf welche man im Stande ist, eine Antwort zu finden? Wenn die Forschung ihre Grenze an der Menschenwürde hat, wie viele noch immer sagen, muss man konstatieren, dass diese Grenze der Forschung von ihren eigenen Voraussetzungen her nicht zugänglich ist. Welchen Status hat aber das der Forschung nicht Zugängliche?
Die "scientific community" scheint die Antwort implizit schon längst gegeben zu haben: Keinen. Man sagt "Jetzt noch nicht" mit der Perspektive, dass es später gemacht wird, wenn eine Mehrheit zustimmt.
aktualisiert am 29.11.2018 um 9.48 Uhr