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Gesellschafts-Studie
Die kollektive Aufmerksamkeit nimmt ab

Durch die mediale Informationsflut sinkt die Aufmerksamkeitsspanne unserer Gesellschaft. Das zeigt eine Studie zur "sozialen Beschleunigung".

15.04.2019

Die Zeitspanne, in der die Gesellschaft ihre Aufmerksamkeit einem Thema widmet, wird immer kürzer. Der Effekt lässt sich sowohl in der Online Welt der Sozialen Medien, Eilmeldungen und Push-Nachrichten als auch in der Offline-Welt beobachten. Nur bei Wikipedia und bei wissenschaftlichen Publikationen zeigt sich dieser Trend nicht. Dies liegt vermutlich daran, dass diese Medien eher mit Wissen statt mit Neuigkeiten arbeiten.

Dies geht aus einer Studie eines internationalen Forscherteams hervor, an der unter anderem die Technische Universität Berlin und das Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung beteiligt waren. Die im Journal Nature Communications veröffentlichte Studie untermauert somit die These einer "sozialen Beschleunigung".

Immer mehr Informationen konkurrieren um Aufmerksamkeit

Das Maß der Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft bleibt dabei an sich gleich, wie das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung mitteilte. Was sich jedoch verändert, ist die dichtere Packung der Themen und Inhalte, die um diese Aufmerksamkeit konkurrieren. Demnach sei es tatsächlich immer schwieriger geworden, "auf dem Laufenden" zu bleiben.

Gleichzeitig springe das gesellschaftliche Interesse immer schneller von einem Thema zum nächsten. Der Grund für die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne lasse sich anhand eines mathematischen Modells erklären, so die Wissenschaftler, die das Modell auf Hashtags genauso wie auf Kinokartenverkäufe anwandten. Die Annahme: Jedes Thema ernährt sich von der begrenzten kollektiven Aufmerksamkeit. Wenn immer mehr Themen ein Stück davon haben wollen, bleibt für ein einzelnes Thema weniger übrig.

Die Wissenschaftler haben für die Studie verschiedene Medien analysiert. Dabei untersuchten sie, wie lange ein Thema, ein Hashtag oder auch ein bestimmter Film besonders beliebt waren. Die Daten dazu stammen aus Büchern der letzten 100 Jahre, aus Kinokartenverkäufen der letzten 40 Jahre, aus wissenschaftlichen Publikationen der letzten 25 Jahre sowie von Twitter, Google Trends, Reddit und Wikipedia aus verschiedenen Zeitspannen der 2010er-Jahre.

Modell-Systeme für Aufmerksamkeit: Twitter und Google

Besonders gut lasse sich die immer stärkere Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne anhand der sozialen Medienplattform Twitter erklären: Während 2013 ein Hashtag durchschnittlich 17,5 Stunden in der Top-50-Liste war, blieb er dort 2016 nur noch durchschnittlich 11,9 Stunden. Auch anhand der Suchbegriffe bei Google lasse sich der Effekt über die Jahre feststellen: Die Zeitspanne, in der ein Begriff besonders oft gesucht wird, wird immer kürzer.

Die negativen Auswirkungen der sozialen Medien und des ständigen Nachrichtenstroms auf unsere Aufmerksamkeit wurden in den letzten Jahren immer wieder diskutiert. Im Raum steht seitdem die These der "sozialen Beschleunigung", wonach ein ständiger Informationsfluss und die Angst, etwas zu verpassen, zu einer sinkenden Aufmerksamkeitsspanne führen. Bislang standen jedoch keine empirischen Daten zur Verfügung.

Die Studie zeige jedoch nur, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Gesellschaft als Ganzes sinkt, so die Mitteilung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Der nächste Schritt wäre demnach, genauer zu untersuchen, ob die Informationsflut auch die Aufmerksamkeitsspanne jedes Einzelnen verkleinert.

ckr