Das Foto zeigt eine Professorin vor einer Tafel in einem Hörsaal.
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Rhetorik
Volle Aufmerksamkeit durch die eigene Stimme

Der ganze Körper ist am Sprechen beteiligt. Doch die Stimme bildet den ersten Zugang zur Rede. Wie kann eine "gute" Stimme eingeübt werden?

Von Alberto Gil 07.11.2018

Die Vorlesung beginnt, die Studierenden kommen langsam, allzu langsam zur Ruhe. Ein Professor bemüht sich vergeblich, mit den ersten Sätzen seiner Rede den Lärm im Saal zu übertönen. Der Hals tut weh, die Stimme wird immer belegter, der Professor ist frustriert, denn er weiß: Es wird nicht besser. Ärgerlich ist es dabei, dass ein anderer Kollege nur den Mund aufzumachen braucht, und im Saal herrscht gespannte Aufmerksamkeit und vor allem Ruhe. Wie macht er das bloß?

Den Mund aufzumachen bringt mit sich, die Stimme erschallen zu lassen. Und diese ist der erste Berührungspunkt mit den Zuhörern. Der Stimme schenkt man viel Aufmerksamkeit im Gesang, beim Schauspiel beziehungsweise bei der Vorlesekunst und natürlich in der Rhetorik. Und von allem ein bisschen braucht man in der Lehre. Es seien daher hierzu einige Gedanken zusammengestellt, mit dem Ziel, sich für dieses Thema stärker zu sensibilisieren und eventuell professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Stimme kann nicht isoliert betrachtet werden

Bekannt ist, dass die Stimme nicht isoliert betrachtet werden kann. Sie ist nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Geist eng verbunden. Wir können sie sowohl mit der Tür als auch mit dem Fenster des Sprechenden vergleichen: Sie ist die Tür, weil sie den ersten Zugang zur Rede bildet. Der Klang der Stimme kann einladend, aber auch abstoßend wirken. Sie ist Fenster, durch das die Zuhörer in das Innere des Sprechenden hineinschauen. Philosophisch gesagt: Die Stimme drückt das Unsagbare aus, äußert, was die Rede verschweigt (Sybille Krämer). Im Deutschen stammen nämlich manche Begriffe nicht zufällig vom Wort Stimme ab: etwas stimmt (oder nicht), Stimmung, ein Instrument stimmen.

Aristoteles bringt in seiner Rhetorik die Stimmlage in Zusammenhang mit den Emotionen und Gefühlen. Entsprechend sei die Stimme stark, schwach, hoch, tief. Um dies zu verdeutlichen, rekurrierten die Rhetoriklehrer auf die sogenannte Physiognomika, welche in Analogie zur Tierwelt eingeteilt waren: Eine hohe Stimme sei ein Zeichen der Feigheit, wie es bei "feigen" Tieren der Fall sei, etwa Hirsch und Hase.

Eine tiefe Stimme jedoch symbolisiere Tapferkeit, wie sie bei tapferen Tiere zu erkennen sei, zum Beispiel Löwen, Stieren oder bellenden Hunden. Als guter Rhetoriker empfiehlt Aristoteles für eine gute Stimme die Beachtung des prepon, das in Rom aptum beziehungsweise decorum heißen wird. Es handelt sich um die Angemessenheit beziehungsweise Ausgewogenheit, die es nicht nur zu trainieren gilt, sondern auch aus einer ausgeglichenen Persönlichkeit hervorgeht. Deswegen setzt Cicero das decorum in Beziehung zur Kardinaltugend des Maßes.

Diese Leib-Seele-Relation als Grundlage einer guten Stimme bildet die Basis für die bekannten Prinzipien der modernen Sprecherziehung: Der ganze Mensch ist am Sprechen beteiligt. Zu vermeiden sei also Mehr- oder auch Überspannung. Empfohlen wird hingegen eine natürliche Körperhaltung, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gespannt- und Entspanntheit zu erlangen.

Auf dieser Basis funktionieren dann die Techniken der Atmung, der Lockerung und der Verbesserung der Resonanzräume. Besonders hilfreich für unsere Zwecke sind die komplementären Thesen Hartwig Eckerts, wonach die Stimme Ausdruck der Persönlichkeit sei, und der stimmliche Ausdruck die Persönlichkeit präge.

Man kann also sagen, dass die Stimme für die Persönlichkeitsbildung seismographisch und therapeutisch zugleich sei. Im Folgenden seien einige für unsere Zwecke ausgewählte Gedanken Eckerts zusammengestellt und weitergeführt. Vielsagend ist seine Empfehlung zur Findung der mittleren Sprechstimmlage, die bekanntlich am angenehmsten klingt. Man stelle sich eine schöne entspannte Situation vor, man schließe die Augen und sage genüsslich: Hmmmmm, das war gut! Diese Stimmlage gilt es, im Gedächtnis zu speichern und immer wieder darauf zurückzukommen. Will man also eine schöne Stimme haben, suche man zunächst die innere Ausgeglichenheit.

Das Verhalten als "Ausdruck unserer Persönlichkeit"

In seiner These, die ich das "Tugendprinzip" nennen würde, betrachtet Eckert unser Verhalten als Ausdruck unserer Persönlichkeit, und diese entwickele sich mit dem entsprechenden Verhalten. Schon seit Aristoteles wissen wir, dass die Bemühung zur Erlangung einer Tugend nicht nur ihre Ausübung immer leichter macht, sondern sie verändert auch unsere Natur, das heißt zum Beispiel, häufig die Wahrheit zu sagen macht ihre Verrichtung immer leichter, man wird aber dadurch auch ein ehrlicher Mensch.

Funktioniert es auch so mit der Stimme? Wenn ich mich um Entspannungsübungen bemühe, werde ich auch entspannter? Wenn ich mich in Lächeln übe, werde ich auch fröhlicher? So einfach ist das sicherlich nicht, und so auch nicht von Eckert intendiert, aber einiges stimmt schon. "Übung macht den Meister" sagt der Spruch. Wissen, Reflexion und die Arbeit an einer positiven Einstellung sind aber für eine erfolgreiche, vor allem mündlichen Kommunikation in jedem Fall erforderlich.

Wenn aber schon Übungen, welche? Eckert legt auf das Zuhören großen Wert. Wenn man diese Fähigkeit mit der von Walter Jens als die rhetorische Tugend par excellence empfohlenen Empathie verbindet, haben wir die Basis für jene Einstellung, auf deren Boden die Stimmübungen gedeihen können.

In der Hochschuldidaktik sähe es so aus: Eine hohe, unangenehme Stimme im Unterricht entsteht durch innere Spannung, das heißt, man hat Angst, kritisiert zu werden, nicht anzukommen. Oder man will unbedingt die Zuhörer in eine konkrete Richtung lenken. Raue Stimme entsteht auch, wenn wir uns ärgern, wozu die Studierenden hin und wieder einen dezidierten Beitrag leisten. Zuhören hieße hier, zunächst die Studierenden anzuschauen, suchen zu erkennen, was in ihnen vorgeht, das heißt, sind sie sehr passiv, uninteressiert oder eher hyperaktiv, fühlen sie sich im Raum wohl oder ist Stress in der Luft.

Diese von Eckert genannten "Zuhör­rituale" bewirken außerdem, dass die Ich-Zentriertheit des Lehrenden in eine Servicehaltung umschlägt, in der das Wichtigste in der Didaktik erreicht werden kann, nämlich, die Studierenden zu motivieren. In dieser Lenkung der Aufmerksamkeit des Sprechers auf die Sache beziehungsweise auf die Zuhörer kann die Atmosphäre für eine stressfreie, ja ruhige, mittlere Stimme entstehen, die angenehm klingt, weil sie als Lautsprecher eine ruhige und wohlwollende Haltung zum Ausdruck bringt.

Auf dieser Basis sind bestimmte Sprechübungen empfehlenswert. Allen voran die Atemübungen, die erlauben, dass man längere Passagen sprechen kann, ohne dauernd Luft zu holen. Dazu kommen viele Entspannungsübungen im Kehlkopfbereich, Schultermuskulatur und Mundbereich. Schließlich bilden die Resonanzübungen im Mund die Vollendung der Erzeugung einer schönen angenehmen Stimme. Hierfür ist professionelle Hilfe empfehlenswert, bis eines Tages das Erlebnis wahr wird: In meiner Lehrveranstaltung ist Ruhe und interessiertes Mitarbeiten kein utopischer Traum.