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Wenn Lächeln zur Pein wird
Forschung & Lehre: Herr Brauer, wie zeigt sich die Angst, von Studierenden ausgelacht zu werden?
Kay Brauer: Die Angst vor dem Ausgelachtwerden, auch als Gelotophobie bezeichnet, wird seit 2008 intensiver beforscht. Mittlerweile wissen wir, dass sich Menschen in der Angst ausgelacht zu werden auf einem Kontinuum, welches von keinen bis hohen Merkmalsausprägungen reicht, unterscheiden. Eine hohe Angst ausgelacht zu werden, geht häufig damit einher, dass der Ausdruck von Zuhörenden fehlinterpretiert wird, zum Beispiel, wenn sie von Studierenden angelächelt werden. Menschen mit erhöhter Gelotophobie würden bereits ein Lächeln als Spott interpretieren – unabhängig von der Intention und der Absicht des lächelnden Gegenübers. Wenn Hochschullehrende ständig das Gefühl haben, dass einzelne sie auslachen, führt das dazu, dass sie anfangen, diese Situationen zu vermeiden, um das Erleben unangenehmer Emotionen zu reduzieren. Und damit wächst die Angst vor künftigen Situationen dieser Art. Das führt wiederum dazu, dass Hochschullehrerende immer weniger Freude daran haben, Vorlesungen zu halten, mit Studierenden in Kontakt zu kommen und mit ihnen zu sprechen oder zu diskutieren. Da wird die Lehre zunehmend als unangenehm betrachtet.
F&L: Wo liegen die Ursachen der "Gelotophobie"?
Kay Brauer: Da die Gelotophobie ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet ist, gibt es noch keine zuverlässigen Daten zu den Ursachen. Unsere Hypothese ist, dass eine Kombination aus Anlage, also Vererbung, und Umwelterfahrungen, also Erlebnissen beziehungsweise sozialem Kontext, zur Entwicklung der Merkmalsausprägung beiträgt. Wir wissen beispielsweise, dass Menschen mit erhöhter Gelotophobie vergangene Erlebnisse des Ausgelachtwerdens intensiver erinnern und wahrnehmen, obgleich die Häufigkeit solcher Ereignisse sich nicht von Nicht-Gelotophoben unterscheidet. Somit wird die gleiche Situation des Ausgelachtwerdens von Menschen unterschiedlich erlebt und verarbeitet. Studien in Familien zeigten auch intrafamiliäre Häufungen auf, das heißt, wenn die Eltern erhöhte Angst vor dem Ausgelachtwerden aufweisen, finden wir auch bei Kindern erhöhte Werte in Gelotophobie. Es scheinen also genetische- und Umweltfaktoren gleichermaßen eine Rolle in der Entstehung zu spielen.
F&L: Wie viele Menschen plagt das Gefühl, womöglich Gegenstand der Lächerlichkeit zu sein und ausgelacht zu werden?
Kay Brauer: Es gibt internationale Studien, die Daten aus insgesamt 73 Ländern berücksichtigen. Generell erfolgt die Messung des Merkmals typischerweise über einen standardisierten Fragebogen, der 15 Fragen umfasst. Für den deutschsprachigen Raum kann man sagen, dass circa zehn Prozent der Bevölkerung eine erhöhte Angst vor dem Ausgelachtwerden erreichen. Sie beziehen es zum Beispiel direkt auf sich, wenn in ihrer Umgebung gelacht wird – unabhängig von der tatsächlichen Situation.
F&L: Die Angst, sich vor einem Auditorium lächerlich zu machen, kann selbst gestandenen Schauspielern den Schweiß auf die Stirn treiben. Was passiert, wenn diese Furcht keine Grenzen mehr kennt und Lachen nur noch als Bedrohung wahrgenommen wird?
Kay Brauer: Glücklicherweise treten extreme Ausprägungen in weniger als einem Prozent der Bevölkerung auf und sind somit sehr selten. Es ist eine Art Zyklus. Menschen mit starker Angst vor dem Ausgelachtwerden weisen typischerweise eine sehr verzerrte Wahrnehmung hinsichtlich des Lachausdrucks anderer auf. Dann wird jegliches Lächeln von anderen als bösartig wahrgenommen. Auch körperlich kommt es zu einer inneren Erstarrung, was unter dem Namen "Pinocchio-Syndrom" beschrieben wurde. Der Körper wird steif und die Gesichtszüge verhärten sich. Neben der bereits dargestellten Vermeidungsstrategie kann es auch passieren, dass Betroffene aktiv andere Menschen ansprechen und fragen: "Warum lachen Sie mich denn aus?". Das führt natürlich zu Verwirrung beim Gegenüber, der einfach nur aufmunternd gelächelt hat. Ganz allgemein lässt sich beobachten, dass Gelotophobie mit einem geringeren allgemeinen Wohlbefinden in verschiedenen Bereichen einhergeht. Die Zufriedenheit mit der Arbeit, aber auch im Privaten (zum Beispiel in der Beziehung), ist geringer als bei Menschen mit wenig gelotophoben Ausprägungen. Zudem lässt sich feststellen, dass das Selbstwertgefühl sinkt und mögliche Anzeichen einer Depressivität zu finden sind.
F&L: Wie kann Betroffenen geholfen werden?
Kay Brauer: Zunächst muss erstmal bekannter werden, dass es die Angst vor dem Ausgelachtwerden überhaupt als eigenständiges Persönlichkeitsmerkmal gibt. Wie gesagt sind extreme Ausprägungen einer Angst ausgelacht zu werden eher selten. Für Menschen mit extremer Ausprägung in dem Merkmal ergibt sich bei der Hilfesuche oft eine paradoxe Situation. Denn was man als Therapeut häufig lernt, ist, dass man sich seinem Klienten stets freundlich und zugewandt verhält, das heißt: man lächelt! Das kann im Extremfall dazu führen, dass sich der Klient mit extremer Angst vor dem Ausgelachtwerden vom Therapeuten ausgelacht fühlt und die Therapie direkt nach der ersten Sitzung abbricht. Man weiß noch nicht genau, wie man Betroffenen mit extremen Ausprägungen helfen kann. Man muss zunächst erst herausfinden, an welcher Stelle die Wahrnehmung verändert ist. Ist es ein grundsätzliches Wahrnehmungsproblem, bei dem Lachen-assoziierte Reize fehlerhaft verarbeitet werden oder eventuell ein Attributionsproblem, bei dem Betroffene jegliches Lachen in Ihrer Umgebung einfach auf sich beziehen? Bei Ersterem könnte man ein "Aufmerksamkeitsreattributionstraining" versuchen, gegenüber Reizen, die Lächeln und Lachen beinhalten. Alle weiteren Überlegungen zum wirkungsvollen Umgang mit extremen Ausprägungen dieser Angst sind aktuell leider noch Spekulation. Ganz allgemein gilt, dass das "Sammeln positiver Lacherfahrungen" (also zum Beispiel beim Ansehen von Cartoons, lustigen Filmen oder in humorvoller Interaktion mit Freunden) für viele eine hilfreiche Erfahrung sein kann.
Weitere Informationen
Interessierte können auf der Webseite www.charakterstaerken.org einen Selbsttest zu Ihrem Umgang mit Lachen und Auslachen durchführen und erhalten dort ein Feedback zur eigenen Ausprägung.