Wissenschaftler hält einen violetten Laserkristall in die Höhe
picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Kernfusion
Münchner Kernfusions-Forscher gehen in die USA

Der Gründer von "Marvel Fusion" nennt als Grund das Engagement privater Geldgeber in den USA. Europäische Investoren hätten abgewunken.

11.08.2023

Von der LMU an die University of Colorado: Das Münchner Energie-Start-up Marvel Fusion will die Entwicklung eines Kernfusion-Kraftwerks jetzt in den USA vorantreiben.  Das Unternehmen und die Universität gaben gemeinsam bekannt, dass auf dem Gelände der Colorado State University bis 2026 "die leistungsstärkste Kurzpuls-Laseranlage der Welt" entstehen wird. "Durch diese neue Anlage kann das Unternehmen seine eigene Fusionskonzept-Entwicklung hin zu einem kraftwerkstauglichen Stadium erheblich beschleunigen."

Die Anlage ermögliche neue Experimente und erfülle "alle Voraussetzungen für den Nachweis eines kraftwerkstauglichen Betriebs", teilte Marvel Fusion in der Pressemitteilung mit. Amy Parsons, Präsidentin der University of Colorado, betonte die wirtschaftliche Bedeutung der Kooperation: "Dieses Projekt wird langfristig sowohl Fort Collins als auch dem Bundesstaat Colorado beträchtliche wirtschaftliche Vorteile und Ansehen bringen."

Eine umweltfreundliche Technologie

Bei der Kernfusion werden Atomkerne nicht gespalten, sondern wie auf der Sonne miteinander verschmolzen. Theoretisch kann in einem Fusionskraftwerk klimafreundlich Energie ohne Atommüll wie in einem Atomkraftwerk und ohne Gefahr einer Reaktorkatastrophe erzeugt werden – praktisch ist das aber noch sehr schwierig. Trotzdem weckt die saubere Energiequelle Begehrlichkeiten in der Forschung und der Politik. Das Bundesministerium für Forschung betonte in einem Positionspapier im Juni: "Fusionsenergie ist umweltfreundlich." Der erzeugte Strom wäre CO2-neutral. "Zudem entstehen bei der Fusion nur kurzlebige und schwach radioaktive Abfälle, die keine Endlagerung erfordern würden." Diese Abfälle wären nach Angaben von Marvel Fusion vergleichbar mit denen aus Röntgenanlagen oder medizinischer Strahlentherapie.

Ende des vergangenen Jahres meldeten Forscher des Lawrence Livermore National Laboratory in den USA einen Durchbruch: Zum ersten Mal wurde bei einem Fusions-Experiment mehr Energie erzeugt als verbraucht. Die US-Energieministerin Jennifer Granholm sprach damals von der "beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistung des 21. Jahrhunderts" und dem Beginn einer neuen Ära der Energiegewinnung.

Noch viele Hürden auf dem Weg zur Energiegewinnung

Der Teufel steckt aber im Detail: Rechnete man den gesamten Versuchsaufbau mit ein, war die Energiebilanz weiterhin deutlich negativ. "Um also wirklich Energie zu gewinnen, müssten die Laser um ein Vielfaches effizienter werden", teilte Christian Linsmeier dem GEO-Magazin mit. Der Direktor am Institut für Energie- und Klimaforschung in Jülich sagte gegenüber GEO, eine solche technologische Entwicklung sei derzeit nicht absehbar. 

Der Gründer von Marvel Fusion, Moritz von der Linden, zeigte sich gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" jedoch überzeugt, dass die Anlage in Colorado belegen wird, dass Kernfusion eine effiziente, saubere und groß angelegte Energiequelle sein kann. Insgesamt 150 Millionen Euro soll die Anlage kosten – Geld, dass in Deutschland offenbar nicht zu finden war.

"Wir hätten die Anlage gerne auch in Deutschland errichtet", so von der Linden, jedoch hätten europäische Investoren abgelehnt. "In den USA engagieren sich neben staatlichen Stellen auch Personen wie Bill Gates, der Gründer von Salesforce Marc Benioff und Jeff Bezos von Amazon mit erheblichen Investitionen in die Fusionsforschung", erklärt von der Linde und kritisierte: "Hierzulande schaut man immer nur auf den Staat!"

Europa verfolgt eine andere Technologie

Das mag auch daran liegen, dass in Europa ein anderer Ansatz zur Kernfusion verfolgt wird: Seit dem Jahr 2007 arbeitet ein Forschungsteam in Südfrankreich am Versuchs-Kernfusionsreaktor ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor). Im Unterschied zu dem Experiment in Kalifornien setzt das ITER-Projekt auf eine Methode, die ohne den Einsatz von Lasern auskommt: Ausreichend heißes  Plasma soll eingeschlossen werden, sodass es nicht abkühlt und somit die Fusionsreaktion dauerhaft aufrechterhalten werden kann. Linsmeier ist an diesem Projekt beteiligt und zeigte sich gegenüber GEO optimistisch, dass innerhalb von 15 Jahren ein Prototyp-Kraftwerk ans Netz gehen könne.

Auch Marvel Fusion plant, in etwa einem Jahrzehnt einen Prototyp eines kommerziellen Fusionskraftwerks zu entwickeln. Das soll voraussichtlich mehrere Milliarden Euro kosten und möglicherweise von ersten Kunden mitfinanziert werden. Einen bedeutenden Beitrag zur Energieversorung erwartet Marvel Fusion ab dem Jahr 2045.

cle/dpa