Dreidimensionales Atomsymbol und Binärcode
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Physik
Quanten-Technologien und das "Tal des Todes"

Wie funktioniert ein Quantencomputer? Der Physiker Professor Dieter Meschede im Gespräch über Chancen und Risiken der Quantentechnologie.

Von Vera Müller 28.09.2019

Forschung & Lehre: Die Bundesregierung hat für die laufende Legislaturperiode 650 Millionen Euro für die Erforschung von Quantentechnologien bereitgestellt. Einer der Schwerpunkte ist der Quantencomputer. Was macht ihn so attraktiv?

Dieter Meschede: Der Quantencomputer kann zum Beispiel bei großen Datenmengen Dinge tun, die unseren normalen Rechnern nicht gelingen. Die Probleme sind dafür zu komplex. Gerade bei Suchfunktionen und –operationen könnte solch ein Quantenrechner neues Terrain beschreiten. Ich mache das an einem Beispiel deutlich: Wir suchen in einem gedruckten Telefonbuch die Nummer eines anderen Menschen. Aber probieren Sie es einmal umgekehrt: Sie haben die Telefon-Nummer und wollen wissen, wem sie gehört. Das geht fast nicht. Da müssen Sie, wenn ein Telefonbuch eine Million Einträge hat, im Durchschnitt 500.000 Mal nachschauen, bis Sie diese Nummer gefunden haben. Der Quantenrechner müsste die Einträge nur 1.000 Mal durchlaufen.

"Der Quantenrechner führt viele Rechnungen parallel aus, ein normaler Computer hintereinander."

Das Besondere an der Quantenphysik oder Quantenmechanik ist, dass man nicht nur die Zahl Null oder Eins in ein einzelnes Atom einschreiben kann, sondern beide gleichzeitig. Diese Quantenbits befinden sich dann in einem sogenannten Überlagerungszustand. Wenn Sie fünf normale Bits haben, können Sie die Zahlen Null, Eins, Zwei bis 31 darstellen. Wenn der Rechner eine Operation ausführt, nimmt er sich eine dieser Zahlen, führt seinen Algorithmus durch und liefert ein Ergebnis. Der Quantenrechner wiederum kann diese fünf Bits in dem Überlagerungszustand von allen Zahlen auf einmal packen und ein Ergebnis produzieren, das man auslesen kann. Er führt also viele Rechnungen parallel aus, während das ein normaler Rechner sequenziert hintereinander machen muss.

Portraitfoto von Prof. Dr. Dieter Meschede
Dieter Meschede ist Professor für Physik an der Universität Bonn und Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Claus Meschede

F&L: Welche Risiken sind mit dem Quantencomputer verbunden?

Dieter Meschede: Eine der meistzitierten potenziellen Eigenschaften des Quantencomputers ist, dass er in der Lage wäre, unsere bisherigen Verschlüsselungssysteme zu entschlüsseln. Die typische Entschlüsselung, zum Beispiel bei medizinischen Daten und anderen – auch persönlichen – Daten, die über Bits gespeichert werden, beruht auf bestimmten mathematischen Algorithmen. Die Komplexität dieser Mathematik ist aber so groß, dass unsere herkömmlichen Computer die Entschlüsselung nicht in einer überschaubaren Zeit schaffen.

Konkret heißt das: Wenn ich eine Entschlüsselung vornehmen will, muss ich letztlich ein mathematisches Gleichungssystem lösen. Das ist aber so komplex, dass unsere heutigen Computer das nicht lösen können. Der Quantencomputer könnte das aber. Bereits existierende Daten, die wir für verschlüsselt halten, wären in Zukunft eher offen und diesen Entschlüsselungsmechanismen, obwohl wir es nicht wollen, zugänglich.

F&L: Der Prozess, die Ergebnisse der Grundlagenforschung in verwertbare Anwendungen umzusetzen, soll verbessert beziehungsweise beschleunigt werden. Wie groß ist der Druck für Sie als Forscher, wo hakt es noch?

Dieter Meschede: Die Frage lautet, welche Ressourcen und welche Mittel für die Grundlagenforschung und für die angewandte Forschung eingesetzt werden. Man kann das Druck nennen. Ich würde es als Wunsch formulieren: Natürlich wünschen wir uns, dass Ergebnisse, die aus der Grundlagenforschung mit der Perspektive kommen, dass Anwendungen in Sicht sind, auch weiter verfolgt werden können. Dafür sind wir in Deutschland aber nicht so gut aufgestellt. Da gibt es dieses berühmte "Tal des Todes".

Wir haben eine ausgezeichnete Förderung in der Grundlagenforschung. Zumindest in den Universitäten ist aber nach diesen Förderungen, die aus fördertechnischen Gründen typischerweise nicht länger als sechs oder sieben Jahre dauern können, Schluss. In der Regel ist das Forschungsprojekt dann aber für die Anwendung noch nicht ausgereift genug. Man bräuchte noch eine etwas verstetigte Forschungszeit, in der nicht mehr die ganz großen Ergebnisse im streng wissenschaftlichen Sinn zu erwarten sind, aber der Schritt in die Anwendung gemacht werden könnte. Hier fehlt es einfach an Zeit, deshalb nennen wir das das "Tal des Todes".

"Man bräuchte eine verstetigte Forschungszeit, in der der Schritt in die Anwendung gemacht werden könnte."

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Universitäten und die Großforschungseinrichtungen, die das Potenzial haben, längerfristig daran zu forschen, nicht gut genug miteinander verknüpft sind und nicht intensiv genug kooperieren. Natürlich gibt es immer Risiken. Auch wenn wir der Meinung sind, dass das Forschungsprojekt für die Anwendung geeignet ist, kann sich am Ende herausstellen, dass das nicht die richtige Linie war. Dafür gibt es viele Beispiele. Speziell für die Quantentechnologien existiert ein sehr großes Potenzial und auch ein sehr hohes Risiko. Die Frage, wie wir von der Grundlagenforschung in die Anwendung kommen, ist dabei ganz zentral.