Eine Forscherin taucht an einer Seegraswiese.
picture alliance/dpa | Axel Heimken

Natur- und Klimaschutz
Suche nach klima-resistentem Super-Seegras

Seegraswiesen speichern Kohlenstoffdioxid und sind Lebensraum für viele Meeresbewohner. Forschende bemühen sich um einen Wiederaufbau.

23.04.2023

Das Wasser in der Kieler Förde ist im April mit gut sieben Grad noch kalt. Die Sicht der Taucher des Geomar Helmholtz Zentrums für Ozeanforschung ist für Ostseeverhältnisse mit gut zwei Metern aber ganz gut. Die Wissenschaftlerin Dr. Angela Stevenson und ihr Kollege Tadhg O Corcora haben in diesem Jahr erstmals selbst geerntete Samen ausgesät – mit Erfolg. "Da ist Rasen", jubelt Stevenson beim Auftauchen von den Versuchsfeldern. Im Februar hatten sie an dieser Stelle erste Samen ausgebracht.

"Seegräser sind unsere Korallenriffe – sie erhöhen die Biodiversität und speichern Kohlenstoff im Boden", sagt der Biologe Professor Thorsten Reusch. Er leitet die Marine Evolutionsökologie in Kiel. Der Nutzen für den Klimaschutz sei je Quadratmeter ähnlich groß wie der von Hochmooren. "Ein Hektar Seegraswiese speichert pro Jahr etwa zwei Tonnen Kohlendioxid." In Seegraswiesen in deutschen Gewässern seien insgesamt etwa zehn Megatonnen CO2 gespeichert.

In der deutschen Ostsee gibt es Reusch zufolge derzeit nur noch weniger als 300 Quadratkilometer Seegraswiesen. Etwa 60 Prozent der Wiesenfläche vom Anfang des 19. Jahrhunderts seien verlorengegangen. Hauptursache sei die intensive Landwirtschaft: Nitrat-Einträge über das Grundwasser oder über Bäche direkt aus Feldern fördere das Wachstum von Planktonalgen in der Ostsee. Die nähmen Licht weg und erstickten das Seegras im Extremfall.

Erwärmung der Meere schadet Seegras: Forschende suchen nach hitzebeständigeren Varianten

Auch die Erwärmung der Meere gefährdet die Seegraswiesen. "Die Ostsee erwärmt sich sogar dreimal schneller als der Weltozean", sagt Reusch. "Sie hat das Pariser Klimaziel, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, längst gerissen". Seit Jahren beobachten Reusch und sein Team in zwölf Behältern, wie sich hiesige Seegräser bei unterschiedlichen Temperaturen entwickeln. Das Wasser in den Tanks ist stets jeweils um eine bestimmte Gradzahl wärmer als die Förde.

Das Team hat dabei herausgefunden, dass der Schwellenwert für hiesiges Seegras bei 25 bis 26 Grad liegt. "Wenn diese Temperatur in sommerlicher Hitze länger überschritten wird, sterben die Wiesen ab", sagt Reusch. Im kommenden Sommer will sein Team in Flachwasser-Bereichen der Kieler Bucht nach Pflanzen suchen, die bereits höheren Temperaturen ausgesetzt waren. "Wir hoffen, dass die genetische Variation in unseren Beständen bereits solche Individuen enthält, die dem zukünftigen Klimawandel gewachsen sind. Wir wollen also das Super-Seegras finden, das schon angepasst ist an die Klimaänderung." Es könne aber auch sein, dass keine Pflanzen den Hitzestress in den lagunenartigen Bereichen etwa zwischen Sandbänken länger überstehen. Reusch ist optimistisch – auch bei Korallenbänken, die unter Hitzestress Korallenbleiche entwickelten, gebe es einzelne Überlebende, sogenannte Super-Corals.

Die Kieler Forschenden haben durch Modelle errechnet, dass sich die Zahl der Wiesen in deutschen Gewässern allein durch eine dauerhafte Senkung der Schadstoffeinträge deutlich steigern ließe. "Durch verbesserte Wasserqualität könnten langfristig etwa 50 Quadratkilometer entstehen", sagt Reusch. "Mit einem Wiederaufbau können wir einen Beitrag leisten zur deutschen Bilanz beim CO2-Ausstoß."

3.000 Quadratmeter Seegraswiesen neu aufgebaut

Seit zwei Jahren pflanzen die Kieler zudem Seegras an. Rund 3.000 Quadratmeter haben sie bislang geschafft. "Innerhalb von einem Jahr konnten wir an zwei Standorten am Ende des Sommers Dichten feststellen, die auch eine natürliche Wiese in der näheren Umgebung aufgewiesen hat", sagt Reusch. Im vergangenen Sommer haben die Kieler von "ihren" Wiesen erste 70.000 Samen geerntet. "Das ist wie Blumenpflücken an Land", sagt Stevenson. Die Kanadierin ist für die Arbeit aus British Columbia nach Norddeutschland gekommen. "Unser Ziel für diesen Sommer ist es, eine Million Samen zu ernten", sagt Reusch.

Mit Hilfe von Amateuren sollen auch in der Schleimündung Ableger ausgebracht werden. Der erste von zwei mehrtägigen Trainingskursen für diese Taucher startet Anfang Mai an der Schlei. Das Interesse ist groß, beide sind ausgebucht. Bis vor etwa 15 Jahren gab es in der Schlei großflächige Seegraswiesen. "Wir wissen nicht, warum sie verschwunden sind", sagt Reusch. 2021 pflanzte sein Team dort erste Pflanzen wieder an.

André Klohn (dpa)