Resilienzforschung
Wen die Corona-Krise widerstandsfähiger macht
Die über den Jahreswechsel 2019/2020 in China ausgebrochene Epidemie mit dem Sars-CoV-2-Virus und der daraus resultierenden Erkrankung Covid-19 hat sich zu einer Pandemie bisher unbekannten Ausmaßes über fast alle Länder der Erde erstreckt. Mit Stand 24. April 2020 wurden weltweit 2,7 Millionen Infektionen bestätigt und 191.000 Tote registriert. Die in vielen Ländern verhängten Ausgangssperren und der Lockdown der Industrie und des gesellschaftlichen Lebens haben zu bisher unbekannten Folgen und Einschränkungen für die Bevölkerung geführt. Die finanziellen Risiken für die Staaten, aber auch Einzelpersonen sind jetzt schon erkennbar größer als die der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008.
Es nimmt daher kein Wunder, dass die Krise auch zu einer erheblichen psychischen Belastung der Bevölkerung führt. Die mit Stand 16. April 2020 veröffentlichten 21 Umfrage-Studien zu psychischen Belastungen durch die Corona-Pandemie in der chinesischen Bevölkerung mit mehr als 70.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigen, dass Angst und Sorgen, depressive Symptome und Stress in einem erheblichen Teil der Bevölkerung zu finden sind, auch wenn die exakten Prävalenzen schwer anzugeben sind, da es sich nicht um repräsentative Befragungen handelt. Risikogruppen wie Gesundheitspersonal, das einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt ist und unter verstärkter Arbeitsbelastung leidet, zeigen durchgehend höhere Werte für psychische Belastung.
"Insgesamt sind die psychischen Reaktionen auf die erheblichen psychosozialen Belastungen nachvollziehbar."
Die Ursachen sind vielfältig. Am besten untersucht wurden bisher die psychischen Folgen von Quarantänemaßnahmen, bei denen sich erhöhte Raten von posttraumatischen Belastungssymptomen, Ängstlichkeit und Depressivität sowie Wut und Ärger zeigten. Weitere allgemeine Ursachen für psychische Belastungen reichen von finanziellen Sorgen über die Ungewissheit, wie es weitergeht, und ob die Situation zu beherrschen ist bis hin zu Ängsten, sich zu infizieren, Langeweile und Schwierigkeiten, den Alltag in der besonderen Situation und den veränderten familiären Rahmenbedingungen zu strukturieren und Routinen aufrechtzuerhalten. Insgesamt sind die psychischen Reaktionen auf die erheblichen psychosozialen Belastungen nachvollziehbar. Bei dem hochansteckenden Virus ist die Angst, sich oder andere (ohne Maske) zu infizieren eine realistische Angst, auch die Sorge über den Zusammenbruch des Gesundheitssystems ist eine noch nicht ganz gebannte realistische Sorge, betrachtet man die Situation etwa in Italien und Spanien. Auch die Sorge, geliebte Angehörige zu verlieren, ist angesichts der weltweiten Letalitätsrate von im Durchschnitt 6,3 Prozent durchaus nachvollziehbar.
Was wir bisher nicht wissen, ist, ob es infolge der Pandemie und ihrer Auswirkungen zu einer Häufung psychischer Erkrankungen kommen wird. Es gibt zwar Hinweise dafür, dass es nach der Sars-Epidemie im Jahr 2014/2015 auch zu langanhaltenden psychischen Folgeerkrankungen gekommen war, die psychischen Langzeitfolgen der aktuellen Corona-Pandemie werden wir aber erst in den nächsten Monaten bewerten können. Die Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 lassen gleichwohl nichts Gutes erwarten: Damals kam es in Europa zu einem Anstieg der Suizide von circa vier Prozent. Wenn man annimmt, dass die finanziellen Auswirkungen durch die Corona-Pandemie noch erheblicher ausfallen dürften, ist hier mit noch stärkeren Anstiegen zu rechnen. Bei einer durchschnittlichen Suizidrate von etwa 10.000 pro Jahr in Deutschland wäre das ein nicht unerheblicher Anteil an der Mortalität. Umso wichtiger sind staatliche Hilfen, um finanzielle Katastrophen auch für die einzelnen so weit wie möglich abzufedern.
Bei allen Hinweisen auf die besonderen psychischen Belastungen durch Krisen wie die aktuelle Corona-Pandemie wird häufig übersehen, dass insgesamt die Fähigkeit der Bevölkerung, Krisen gut zu überstehen und darin sogar eine Chance zu sehen, ausgeprägt ist. Wir bezeichnen die Fähigkeit, trotz Stresssituationen psychisch stabil zu bleiben, als Resilienz.
Erste eigene Untersuchungen, die wir zusammen mit Professorin Cornelia Betsch von der Universität Erfurt (COSMO-Studie) in der aktuellen Krise an mehr als 3.000 Personen der deutschen Bevölkerung durchgeführt haben, haben gezeigt, dass der größere Teil der Bevölkerung der Meinung ist, sich in der aktuellen Krise nicht unterkriegen lassen zu wollen und in der Lage zu sein, für sich Wege zu finden, mit der Krise umzugehen. Auch die eigene Einschätzung der Resilienz, nämlich sich schnell nach Krisen wieder zu erholen und einen Zustand der psychischen Stabilität zu erreichen, wird in der gegenwärtigen Krise allgemein nicht als geringer eingeschätzt als sonst. Am ehesten scheinen noch Menschen unter 40 Jahren in ihrer Resilienz beeinträchtigt zu sein, während ältere Menschen über 70 Jahren ihre Fähigkeit der Stressbewältigung sogar noch höher einschätzen als in früheren Studien vor der Krise. Über die psychischen Faktoren, die in der gegenwärtigen Krise Stabilität vermitteln, wissen wir noch zu wenig. Erste Hinweise haben wir allerdings aus einer eigenen Befragung an 5.000 Personen der europäischen Bevölkerung erhalten. Hier zeigt insbesondere die Fähigkeit, in der aktuellen Krise etwas Positives zu sehen, für die Resilienz der Personen entscheidend zu sein. Dies bestätigt die bisherige Resilienz-Forschung, die zeigte, dass ein sogenannter positiver "Reappraisal-Stil" ein relevanter Resilienzfaktor zu sein scheint.
Resilienz ist nichts, was einem mit einer genetischen Ausstattung einfach in die Wiege gelegt ist, sondern etwas Plastisches, Dynamisches, ein modifizierbares Verhalten, das man lernen und wieder verlernen kann. Ob in der gegenwärtigen Pandemie spezifische Resilienzfaktoren relevant sind und entsprechend trainiert werden können, ist allerdings noch weitgehend unklar. Unsere aktuellen Analysen zu psychosozialen Interventionen bei der Bewältigung psychischer Folgen von vergangenen Pandemien haben gezeigt, dass die Vermittlung von Coping- und Stressmanagement-Fertigkeiten, Entspannungstrainings, die Förderung der Selbstwirksamkeit und Förderung sozialer Kontakte wirksame Ansätze sein können.
Ob die Corona Pandemie für den Einzelnen und die Gesellschaft auch eine Chance war, wird sich in der Zukunft zeigen. Die Förderung von IT, online-Kommunikation und neuen Formen der Kommunikation in Lehre und Forschung, ein Erstarken der Solidarität, der Stimmenverlust für populistische Parteien und viel freigesetzte Energie bei gleichzeitiger Entschleunigung lassen Positives erhoffen.
Hilfe in der Krise
Auf der Webseite des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung haben die Autoren Informationen und Online-Trainings zusammengestellt, die bei der Bewältigung der aktuellen Krise hilfreich sein können.