Physik-Nobelpreisträger Professor Klausz Ferenc auf dem Falling Walls Science Summit in Berlin 2023
Falling Walls Foundation

Falling Walls Science Summit
Weniger Angst vor Fakten

Physik-Nobelpreisträger Ferenc Krausz und Neurowissenschaftler Thomas Gasser erläutern in Berlin, wie Wissenschaft das Leben besser macht.

Von Katharina Finke 10.11.2023

Auf der Wissenschaftskonferenz "Falling Walls Science Summit" kamen auch dieses Jahr wieder führende Personen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Medien und Zivilgesellschaft zusammen, um über wissenschaftliche Durchbrüche und die Rolle der Wissenschaft in der Bekämpfung der größten Herausforderungen unserer Zeit zu sprechen. So auch Professor Ferenc Krausz, der dieses Jahr den Physik-Nobelpreis für die Begründung der Attosekundenphysik erhielt, die neue Einblicke in das Verhalten von Elektronen erlaubt. Und der Neurowissenschaftler Professor Thomas Gasser, der für seine bedeutende Forschung zu genetischen Risikofaktoren der Parkinson-Krankheit mit dem diesjährigen "Breakthrough Prize in Life Science" ausgezeichnet wurde. 

Noch bevor beide die Bühne betreten, verkündet der Moderator Professor Jürgen Mylnek, Vorsitzender der Falling Walls Foundation, der gemeinnützigen Organisation, welche seit 2009 jedes Jahr (vom 7. bis 9. November) die renommierte Wissenschaftsveranstaltung anlässlich des Berliner Mauerfalls ausrichtet, eine erfreuliche Nachricht: Beim gemeinsamen Frühstück hätten sich Krausz und Gasser entschieden ihre Forschungen zusammenzubringen, um Menschen mit Parkinson zu helfen und so die Wissenschaft zu nutzen, um die Herausforderungen der heutigen Zeit anzugehen. Denn die beiden ausgezeichneten Forscher sind sich einig: "Die Wissenschaft spielt eine Schlüsselrolle bei der Lösung der Probleme der Menschheit", so Krausz. "Ohne sie geht es gar nicht", sagt Gasser. 

Wie der Mauerfall und Parkinson zusammenhängen

Gasser hat seine eigene Erinnerung an den Tag des Mauerfalls: Damals hatte er seinen ersten Parkinson-Patienten. Der Forscher erzählt, dass er sich nie entscheiden konnte zwischen Biochemie und Medizin, studierte dann letzteres, aber verlor die Biochemie nie aus den Augen. Heute ist er Vorstandvorsitzender des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen und erklärt, dass bei der Parkinson-Erkrankung bestimmte Nervenzellen im Gehirn, die Dopamin produzieren, zerstört werden. Der Dopaminmangel verursacht Bewegungsstörungen und kann auch zu Demenz führen.

Obwohl die Krankheit zuvor nie als genetisch eingestuft wurde, entdeckte Gasser und sein Team Mutationen der Gene LRRK2 und GBA1, die das Risiko für Parkinson erhöhen und die Krankheit auch auslösen können. Dafür erhielt Gasser, den diesjährigen "Breakthrough Prize in Life Science". Mit drei Millionen US-Dollar ist es der höchstdotierteste Wissenschaftspreis weltweit.

Gasser, der seit zehn Jahren auch die klinische Forschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) leitet, stellt seine bahnbrechenden Erkenntnisse in Berlin weiter vor: Die entdeckten Mutation ist nicht nur für die durchschnittlich zehn Prozent vererbbare Form von Parkinson verantwortlich, sondern auch für die mit neunzig Prozent weitaus häufigere "sporadische" Version der weltweit am schnellsten wachsenden neurologischen Erkrankung.

Entscheidend für die zukünftige Therapie sei die Prodomalphase, so Gasser. Diese Vorphase der Krankheit ist laut ihm das entscheidende: "Window of Opportunity - es kann genutzt werden, um den Ausbruch von Parkinson so stark zu verlangsamen und hinauszuzögern, vielleicht um zehn bis zwanzig Jahre, dass die Patientinnen den Ausbruch gar nicht mehr miterleben." 

Eine Welt ohne Parkinson? 

Gasser glaubt zwar nicht, dass Parkinson jemals heilbar sein wird. Denn "wenn die Krankheit ausgebrochen ist, dann ist zu viel kaputt", erläutert er. Zuversichtlicher ist er, dass sie verhindert werden kann. Das Rezept dafür: die verschiedenen Kenntnisse aus der Genetik mit denen aus der Prodomalphase kombinieren. Und dafür könne er möglicherweise eine von Physiker Ferenc Krausz entwickelte Methode nutzen.

Gasser hatte zuvor zwar schon mit Biologen zusammengearbeitet, aber noch nie mit jemanden auf einem vermeintlich ganz anderen Gebiet wie der Physik. "Das war wirklich eine Überraschung heute", freut er sich , "und es ist tatsächlich das erste Mal, dass ich dachte: Das könnte wirklich funktionieren", so der Mediziner.

Auch Krausz ist begeistert von ihrer neuen Idee: "Dass wir ein Team aufbauen, zusammenarbeiten, unsere Ideen sich befruchten und uns gemeinsam für etwas begeistern und voranbringen können", findet er den schönsten Aspekt der Forschung. 

So gut es auch sei Entscheidungen kollektiv zu treffen, so wichtig sei es laut Krausz auch sich nicht zu verzetteln. Sein Rat für erfolgreiche Forschung lautet daher: "Ziele klar definieren, am besten mit der Findung der richtigen Frage, den richtigen Fragen. Sie sind der Kompass und diese dann sehr konsequent und mit Disziplin verfolgen."

Das sei selbst für den Nobelpreisträger, der seit zwanzig Jahren das Max-Plank-Institut für Quantenphysik leitet, auch nicht immer leicht. Nachdem er mit seinem Team viele Jahre lang Grundlagenforschung betrieben hat, um unter anderem mithilfe ultraschneller Lichtpulse die Bewegung von Elektronen in Echtzeit zu untersuchen – wofür er dieses Jahr den Physik-Nobelpreis erhielt, stellten die Wissenschaftler sich die Frage: "Wollen wir weiter Grundlagenforschung betreiben oder die Erkenntnisse auch für praktische medizinische Anwendungen nutzen?"

Sein Team entschied sich – auch wenn das die Wichtigkeit von Grundlagenforschung laut Krausz nicht schmälern soll, für Letzteres. "Wir wollen nicht nur Erkenntnisse sammeln, sondern auch etwas hervorzubringen, was dem Menschen unmittelbar zu Gute kommen kann", so Krausz.

Wunsch nach mehr Vertrauen in die Wissenschaft 

Das ist auch die große Hoffnung für das gemeinsame Projekt mit Gasser. Doch beide sehen nicht nur die Chancen, sondern auch Schwierigkeiten dabei. Allen voran: der Zugang zu Daten. "Sie sind enorm wichtig für die Forschung", so Krausz.

"Deutschland ist da nicht besonders gut", findet Neurowissenschaftler Gasser. Das sei laut beiden Wissenschaftlern auch der Grund, weswegen viele klinische Studien nicht in Deutschland stattfänden. Obwohl sich die Daten auch hierzulande in zwei Stufen anonymisieren lassen könnten und die zentrale Erfassung von Gesundheitsdaten ein doppelter Gewinn sei: optimale Behandlung plus Weiterentwicklung der Medizin, so Krausz. Er richtet einen großen Appell an die Politik: "Das endlich mal anzupacken!"

Eine weitere Schwierigkeit sieht Gasser in einer ängstlichen Geisteshaltung: "Herausforderungen werden nicht als Chance gesehen." Als Grund dafür nennt er die massive Ungleichheit auf der Welt. "Wissenschaft wird auf der Seite der Mächtigen verortet", erklärt er, "und wenn man sich selbst auf der anderen Seite sieht, fühlt man sich von den Wissenschaftler nicht abgeholt und glaubt nicht, dass sie für einen mitdenken."

Die meisten Menschen hätten vielmehr Angst davor, dass sie durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse etwas in ihrem Leben ändern müssen, was sie nicht wollen. "Zum Beispiel sich angesichts der Klimakrise vom privaten Autoverkehr zu verabschieden. Wie schön wäre die Welt ohne die ganzen Blechkisten", so Gasser. Doch das werde so nicht wahrgenommen. Stattdessen gehe das Vertrauen in die Wissenschat bei vielen Leuten weiter verloren. 

Das sieht auch Krausz genauso. "In der Wissenschaft startet alles mit neuen Erkenntnissen und stellt sich die Frage, was wir damit anfangen", so der Physiker. Die Problematik bei einer der größten, wenn nicht sogar der größten Herausforderungen unserer Zeit führe einem das sehr gut vor Augen: die Klimakrise. Es gäbe nach wie vor viele, die das gar nicht richtig glauben wollen, dass die sie Menschen gemacht ist.

"Da hat die Wissenschaft eine entscheidende Aufgabe", findet Krausz, "Zweifler, leider manchmal auf ganz hoher Ebene zu überzeugen, dass die Fakten vorhanden sind und sie absolut keinen Spielraum für Interpretationen lassen." Doch da es im Leben nicht immer nur um Wissenschaft geht, stößt diese hier an ihre Grenzen. Das bedauern die beiden Preisträger Krausz und Gasser sehr. Für eine bessere Zukunft wünschen sie sich: mehr Vertrauen in die Wissenschaft und weniger Angst vor Fakten.