schematische Darstellung des Aufbaus einer tierischen Zelle
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Neurodegenerative Erkrankungen
Defekte Zell-Logistik führt zu Krankheiten

Menschliche Zellen haben ein komplexes Transportsystem, zu dem das Endoplasmatische Retikulum gehört. Wenn diese Logistik versagt, erkranken Menschen.

29.05.2023

Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung mehrerer deutscher Forschungseinrichtungen hat untersucht, wie sich neurodegenerative Erkrankungen entwickeln. Offenbar ist bei der Entstehung der Krankheiten der Abbau des sogenannten Endoplasmatischen Retikulums (ER) gestört, einem Membransystem innerhalb von Zellen, das kontinuierlich auf- und abgebaut wird. Die Ergebnisse wurden vergangenen Mittwoch in zwei Studien in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht.

Die röhren- und taschenförmigen Membranstrukturen des ER durchziehen demnach die Zellen von Lebewesen wie Tieren, Pflanzen und Pilzen. In ihnen werden unter anderem Proteine und Fettstoffe hergestellt. Außerdem ist das ER für den Transport innerhalb der Zelle zuständig und entsorgt dabei etwa fehlerhaft gefaltete Proteine oder Giftstoffe. Angesichts seiner vielfältigen Aufgaben wird das ER ständig umgebaut. Für seinen sich selbst verdauenden Abbau, die sogenannte ER-Phagie, sind bestimmte signalempfangende Proteine (Rezeptoren) zuständig, die sich an einer Stelle der Membran in Clustern sammeln und dadurch zu deren Krümmung und Ablösung führen.

Wie das Wissenschaftsteam um Professor Ivan Đikić von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Professor Christian Hübner vom Universitätsklinikum Jena in verschiedenen Experimenten herausfand, wird diese Clusterbildung und dadurch die ER-Phagie durch das weitverbreitete Steuerungsprotein Ubiquitin gefördert. Sind die Membrankrümmungsrezeptoren defekt, kommt es zu neurodegenerativen Erkrankungen.

Warum Nervenzellen absterben

Im Falle des Rezeptorproteins FAM134B ist es laut den Studien die sehr seltene erbliche sensorische und autonome Neuropathie (HSAN), im Fall des Rezeptors ARL6IP1 eine ähnliche neurodegenerative Störung. Bei diesen Krankheiten sterben sensorische Nerven ab, wodurch Betroffene Schmerz und Temperatur nicht richtig wahrnehmen können und oft chronische Wunden entwickeln. Bei einem Defekt von ARL6IP1 kommen Muskelverhärtungen in den Beinen hinzu.

Die Forschenden fanden zudem heraus, dass die beiden Rezeptoren zusammenwirken und gemischte Cluster bei der ER-Phagie bilden. Wenn einer oder beide Rezeptoren defekt sind oder fehlen, störe das den Abbau und die Funktion des ER.  Dadurch komme es wiederum zu einer Anhäufung fehlgefalteter Proteine oder Proteinverklumpungen in den Zellen, die nicht mehr entsorgt werden. "In der Folge sterben insbesondere Nervenzellen ab, die sich nicht so schnell erneuern wie andere Körperzellen, und rufen die klinischen Symptome hervor", erklärt Hübner. "Allerdings werden noch weitere Forschungen nötig sein, um die Aufgabe der ER-Phagie in Nervenzellen und anderen Zelltypen vollkommen zu verstehen."

Darstellung der ER-Phagie: Ein Teil des Endoplasmatischen Retikulums schnürt sich ab und wird nachfolgend zerlegt. Die gestörte Recyclingkette des ER kann zu neurodegenerativen Erkrankungen führen.
Darstellung der ER-Phagie: Ein Teil des Endoplasmatischen Retikulums schnürt sich ab und wird nachfolgend zerlegt. Die gestörte Recyclingkette des ER kann zu neurodegenerativen Erkrankungen führen. Manja Schiefer / Universitätsklinikum Jena

ckr