Fot der Pilzfelsen im Ennedi-Massiv im Tschad
Stefan Kröpelin

Wüstenforschung
Wie auf einem Raumschiff

In der Wüste gibt es viel zu entdecken. Der Wüstenforscher Stefan Kröpelin erzählt von seinen Expeditionen und einem heißen Forschungsfeld.

Von Ina Lohaus 14.07.2019

Forschung & Lehre: Warum zieht es Sie ausgerechnet in die Wüste? Was fasziniert Sie dort am meisten?

Stefan Kröpelin: Da kommt natürlich sehr viel zusammen. Schon als Kind war ich von der Wüste sehr angezogen durch Erzählungen meines Vaters oder auch durch die Begeisterung meiner Mutter für Afrika, durch Bücher und Filme. Mit 18, sobald ich alleine reisen konnte, bin ich immer in Wüsten gefahren, schon bevor ich angefangen habe, Geologie und Geografie zu studieren und Wüstenforschung beruflich zu betreiben. Mein ganzes Leben hat mich  die Wüste oder die Extremwüste, die zum Teil seit Jahrtausenden unbewohnt war, besonders fasziniert, vor allem die östliche Sahara. Sie bietet tatsächlich noch die Möglichkeit, mit jeder Expedition etwas wirklich Neues zu finden – ohne dass andere Wissenschaftler schon vorher dort gewesen sind.

Man braucht natürlich einen Zugang dazu, und das ist bei mir der totale Gegensatz zur modernen Lebensweise. Man ist in der Wüste auf sich und sein Team konzentriert und lebt in vielerlei Hinsicht enthaltsam. Es gibt unglaubliche Landschaften, die tief beeindrucken und vieles mehr. Ohne einen solchen Zugang hält es keiner länger durch. Es gab viele, die einmal mitkamen und danach sagten, nie wieder. Und diejenigen, die die Wüste wirklich fasziniert, möchten am liebsten jedes Jahr einmal hin.

Portraitfoto von Dr. Stefan Kröpelin
Dr. Stefan Kröpelin ist Geologe und Klimaforscher an der Forschungsstelle Afrika der Universität zu Köln. 2017 erhielt er den Communicator-Preis. Adam Polczyk / Uni Köln

F&L: Dann ist Ihre Faszination wahrscheinlich auch ansteckend für die anderen?

Stefan Kröpelin: Ich glaube, die Faszination muss schon tief verankert sein. Die Voraussetzungen sind unterschiedlich, aber die Faszination für diesen Lebens- bzw. Unlebensraum ist bei vielen ähnlich.

F&L: Was erforschen Sie in der Wüste?

Stefan Kröpelin: Als Geowissenschaftler, der ich ja hauptsächlich bin, hat mich der Klima- und Umweltwandel immer besonders gereizt. Dieser Wandel ist aber nicht nur für sich genommen interessant, sondern vor allem im Zusammenhang mit dem Menschen, in diesem Fall dem prähistorischen Menschen. In der heutigen Ostsahara hat seit 5.000 Jahren niemand mehr gewohnt, auch gibt es mangels Wasser keine Nomaden. Während des Maximums der Eiszeit vor 20.000 Jahren war die Sahara eine Extremwüste, die noch trockener war, sofern das möglich ist, als heute. Vor rund 11.000 Jahren wurde es dort grüner. Erst entwickelten sich die Pflanzen, dann die Wildtiere und dann kam der prähistorische Mensch dazu, eingewandert überwiegend aus dem subsaharischen Afrika. Die Wüste wurde zur Savanne – ein wunderbarer Lebensraum, wie es ihn heute in manchen afrikanischen Nationalparks gibt.

Dieses Zusammenspiel von Klimawandel und Mensch zu erforschen ist besonders interessant. Der Mensch musste auf die unterschiedlichen Landschafts- und Klimaverhältnisse reagieren und hat sich angepasst. Als ein Leben dort unmöglich wurde, musste er weiterziehen. Wir haben für die letzten 10.000 Jahre unendlich viel Material, das von Archäologen und Prähistorikern speziell untersucht werden kann. Die Sahara ist ein "Forschungslabor", in dem die Funde überwiegend an der Oberfläche liegen und nicht tief im Boden unter einer Vegetationsdecke. Daher bietet sich hier eine einmalige Gelegenheit, die Lebensweisen und kulturellen Veränderungen der prähistorischen Menschen und ihre Anpassung an die Klimabedingungen nachzuvollziehen.

F&L: Wo fängt man denn in einem so riesigen Gebiet an zu suchen?

Stefan Kröpelin: Im großen Rahmen umfasst mein Arbeitsgebiet zwei Millionen Quadratkilometer. Selbst wenn man es reduziert auf eine Millionen Quadratkilometer, ist es immer noch dreimal so groß wie Deutschland. Einerseits ist es eine riesige Region und es kommt hinzu, dass in prähistorischer Zeit die Bevölkerungsdichte minimal war, so als hätten zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen nur ein paar Familien oder ein sehr kleiner Stamm gleichzeitig gelebt. Da aber andererseits die materiellen Hinterlassenschaften, vor allem Steinwerkzeuge und Keramik, die sehr widerstandsfähig sind, in der Grasdecke, die es in prähistorischer Zeit überall gab, liegen geblieben sind, sind die Fundverhältnisse gut, weil man die wenigen Hinterlassenschaften heute zum großen Teil offen finden kann. Natürlich gräbt man dann tiefer und findet noch mehr, aber man hat Anhaltspunkte. Häufig ist es so: Man hat irgendwo eine Reifenpanne – manchmal hatten wir 40 Reifenpannen auf einer einzigen Forschungsreise – man steigt aus, läuft herum und findet irgendetwas. Man findet fast immer irgendetwas Interessantes.

"Man hat irgendwo eine Reifenpanne, man steigt aus, läuft herum und findet etwas. Man findet fast immer irgendetwas Interessantes."

Anders ist es, wenn man geologische Ablagerungen sucht, mit deren Hilfe man verlässliche Aussagen über die Klima- und Umweltgeschichte machen kann. Erste Hinweise auf Ablagerungen von Seen und Flüssen kann man auf Satellitenbildern finden. Gibt es zum Beispiel "verdächtige" Farben auf den Satellitenbildern, lässt sich vermuten, dass dort ein größerer See existiert hat. Natürlich spielt auch die Erfahrung eine große Rolle, etwa wenn man weiß, dass im Windschatten von Hügeln, wo es Verwirbelungen durch den Wind gibt, kleine Becken angelegt wurden. Das sind sog. Deflationswannen, die sich dann, als es mehr geregnet hat und der Grundwasserspiegel gestiegen ist, mit Wasser gefüllt haben. So sind permanente Seen und saisonale oder episodische Wasserstellen entstanden, an deren Ufern prähistorische Menschen gelebt haben. Es ist also ein Zusammenspiel aus Erfahrung und Vorbereitung anhand von Satellitenbildern. Karten gab es überhaupt keine, die haben in unseren Projekten die Kollegen aus der Kartografie alle selber produziert.

In der Archäologie besteht allerdings die große Gefahr, dass man nach den ersten Funden nicht mehr weitersucht, sondern sagt, jetzt bleiben wir hier und graben ein paar Wochen. Es kann passieren, dass man erst auf dem Rückweg die besten Fundstellen entdeckt, die man dann bei der nächsten Expedition ansteuern müsste. Das Hauptproblem ist also die Auswahl der besten Plätze.

F&L: Dann brauchen die Expeditionsteilnehmer also einen gewissen Spürsinn. Was müssen sie noch mitbringen?

Stefan Kröpelin: Das erste ist, dass sie eine robuste Gesundheit brauchen. Man muss wissen, dass man über Monate praktisch ohne Arzt auskommen muss. Wenn wirklich jemand schwer erkrankt, muss er mit einer Woche sehr anstrengender Tag- und Nachtfahrt rechnen, um den ersten afrikanischen Arzt anzutreffen. Da darf man wirklich nicht ängstlich sein. Natürlich ist auch eine gewisse Teamfähigkeit wichtig, denn die Situation ist ähnlich wie auf einem Raumschiff. Man ist in einer kleinen Gruppe unterwegs ohne irgendeine Möglichkeit, sich zurückzuziehen – man kann mal in der Nacht einen kleinen Spaziergang machen, muss aber aufpassen, dass man zum Camp zurückfindet. Die Expeditionsteilnehmer befinden sich in extremer Isolation, die nicht alle aushalten können.

"Da darf man wirklich nicht ängstlich sein."

Und jeder muss sich zuhause verabschieden von Familie, Freunden und Freundinnen und sich darüber im Klaren sein, dass bei kurzfristigen Problemen überhaupt nichts zu machen ist und es im Extremfall zehn Tage oder zwei Wochen bräuchte, bis man wieder zuhause wäre. Das hätte weitreichende Folgen, wenn dafür die Expedition abgebrochen werden müsste. Und man muss zur Enthaltsamkeit bereit sein. Zum Beispiel muss man mit maximal fünf Litern Wasser pro Tag auskommen, man hat keinerlei Luxus, und schläft draußen unter extremen klimatischen Bedingungen, um nur einige Entbehrungen zu nennen. Das geht im Grunde nur, wenn eine entsprechende Begeisterung und eine starke Affinität zu dieser Art der Arbeit vorhanden ist.

F&L: Finden Sie dann auch Studierende, die mitkommen wollen?

Stefan Kröpelin: Es wird immer schwieriger. Ich hätte damals dazugezahlt, um mitfahren zu dürfen. Heute sind die meisten Studierenden nicht mehr zu dieser Enthaltsamkeit über lange Zeiträume und zu der Trennung von ihren Lieben bereit. Es wird nicht mehr so leicht akzeptiert, dass man zwei, drei Monate mal ganz weg ist. Heute versuchen wir Expeditionen auf sechs oder sieben Wochen zu reduzieren. Das ist jedoch für viele schon zu lange, obwohl es ja heute Satellitentelefone gibt – eine zwiespältige Sache – so dass man immerhin kommunizieren kann. Das war früher über Monate nicht möglich. Aber ohne Studierende geht es selbstverständlich nicht, und Doktoranden und Doktorandinnen sind für solche langfristigen Untersuchungen sehr wichtig.

Heute ist es leider so, dass viele Doktorandinnen und Doktoranden am liebsten nur einmal mitfahren, möglichst viele Proben nehmen und den Rest dann zuhause im Labor erledigen, per Fernerkundung oder Modellierung. Ich habe heute immer mehr das Gefühl, dass es Mittel zum Zweck ist. Früher war es ein Einsteigen in die phantastischen Möglichkeiten, die wir in den großen Sonderforschungsbereichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft hatten. Man hat damals nicht so viel an Karriere gedacht oder ob man damit später überhaupt beruflich etwas anfangen kann, denn es gibt natürlich wenig Stellen für Wüstenforscher. Heute lastet durch die geänderten Lehrpläne und die Verschulung des Studiums, in dem jeder schaut, möglichst schnell fertig zu werden, ein ganz anderer Druck auf den Studierenden, so dass es immer schwieriger wird, Studierende für Expeditionen zu finden.

F&L: Wieviel Vorlauf braucht eine Expedition für die Vorbereitung? Welche Herausforderungen warten dabei vor Ort auf Sie?

Stefan Kröpelin: Es sind viele Monate der Vorbereitung. Anträge für die Forschungsprojekte müssen gestellt und bewilligt werden. Es ist ein riesiger logistischer Aufwand, wenn man so lange abseits jeglicher Zivilisation unterwegs ist und man alles mitnehmen muss, was man in dieser Zeit braucht: Wasser, Lebensmittel, Ausrüstung, Medikamente, Ersatzteile und und und. Das alles passt natürlich nicht in drei kleine Jeeps, das heißt man braucht LKWs, die man erstmal so ausstatten muss, dass sie wüstentauglich sind. Sie müssen dann in die entsprechenden afrikanischen Länder transportiert werden, wo es häufig Zollprobleme gibt. Normalerweise werden 200 Prozent Zoll verlangt, um ein Fahrzeug überhaupt einführen zu dürfen und das bezahlt einem keiner. Wir brauchen tausende Liter Diesel, Werkzeug und schweres Gerät wie Bagger oder Bohrplattformen, um unsere Proben nehmen zu können. Das Probenmaterial umfasst oft Tonnen, die natürlich auch zurücktransportiert werden müssen. Das ist ein enormer Aufwand. Für eine Stunde Geländearbeit in den richtig abgelegenen Regionen muss mindestens eine Woche Vorbereitung einkalkuliert werden. Das ist der Preis dafür, dass man in unberührten Forschungsgebieten arbeiten darf, die riesig sind. Allein dort hinzukommen, ist schon extrem anstrengend und dann beginnt die eigentliche Forschungsarbeit erst – und das bei Temperaturen um 50 °C im Schatten, aber es gibt natürlich keinen Schatten. In der Sonne können die Temperaturen 70 °C erreichen, zum Glück bei sehr niedriger Luftfeuchtigkeit. Die Nachttemperaturen gehen im Extrem bis -10 °C, aber durch den Abkühlungsfaktor bei starkem Wind empfindet man es wie -20 °C.

F&L: Arbeiten Sie auch mit einheimischen Wissenschaftlern zusammen?

Stefan Kröpelin: Wann immer es möglich war, haben wir einheimische Wissenschaftler mitgenommen, auch wenn es wenige waren. Das war unsere Chance, das Augenmerk auf moderne Forschungsrichtungen zu lenken, die in den Ländern überhaupt nicht existieren und die dort im Grunde auch niemanden interessieren. Natürlich gibt es in Ägypten ägyptologische Forschung an den Universitäten, die ist jedoch kaum auf die Prähistorie abseits des Nil ausgerichtet. In den anderen Ländern wie Sudan und Tschad hat der Klimawandel oder die Klimaforschung bis vor kurzem überhaupt keine Rolle gespielt, auch nicht an den Universitäten. Aber wir haben trotzdem immer versucht, die passendsten Wissenschaftler mitzunehmen, das ist ja selbstverständlich.

F&L: 2017 haben Sie den Communicator-Preis für Ihr Engagement bei der Vermittlung Ihrer Forschung erhalten. Warum ist die Wissenschaftskommunikation für Ihre Wüstenforschung wichtig?

Stefan Kröpelin: Wissenschaftskommunikation sollte für alle Forschungsgebiete wichtig sein. Meine Hauptmotivation war ursprünglich, den Gastländern, in denen wir arbeiten konnten, Ägypten, Sudan, Libyen und Tschad, aber auch den anderen Ländern der Sahara etwas zu hinterlassen außer ein paar Fachartikeln, die dort natürlich so gut wie keinen interessieren. Das größte Interesse konnten wir wecken für Projekte des Natur- oder Kulturschutzes, ganz speziell für Welterbestätten. Für solche Projekte, gerade UNESCO-Welterbeprojekte, bekommt man ohne entsprechende mediale Unterfütterung, die das Interesse der Einheimischen bis hin zu den Regierungen fördert, keine Unterstützung.

Und in Deutschland – und das ist jetzt nicht vorgeschoben – wollte ich auch immer dem Steuerzahler etwas zurückgeben aus Dankbarkeit, dass ich die Möglichkeit habe, mit Steuergeldern in diesen Regionen zu arbeiten. Wenn man mit seiner Forschung auf Interesse stößt, ist es sehr motivierend, daran weiterzuarbeiten. Der Communicator-Preis ist eine schöne Anerkennung dafür, dass ich große Teile meiner Freizeit für die Wissenschaftskommunikation aufbringe.