Berufspraxis in der Wissenschaft
Besseres Management stiftet Zeit
Der englische Wissenschaftsautor Oliver Burkeman meint, dass sich dieses Problem des Gefühls der Zeitknappheit niemals werde lösen lassen. Wir würden immer zu viel zu tun haben. Keine Zeit- oder Selbstmanagementmethode könne das ändern. Letztlich helfe nur ein klares Priorisieren und eine entschiedene Auswahl der Dinge, die wir wirklich tun wollen. Neben der Setzung von Prioritäten und der Einsicht, dass niemals alle Aufgaben in der gewünschten Qualität erledigt werden können, zeigt sich aus unserer Erfahrung mit Führungskräftetrainings in der Wissenschaft, dass sich die erwähnten Schuldgefühle beim Zubettgehen auch anderweitig mit Erfolg vermindern lassen. In vielen Fällen konstanter Überforderung können Ressourcen der eigenen Arbeitsgruppe in Hinblick auf Arbeitszeit und Expertise gewinnbringender eingesetzt und genutzt werden.
Ein in der Praxis vielfach erprobtes Tool dafür ist das sogenannte Managementhaus. Es bietet einen systematisch gegliederten Rahmen, der die Steuerung der eigenen Arbeitsgruppe unterstützt (siehe Abbildung). Ziel ist, Forschungsteams eine bessere Orientierung zu geben und dies sowohl individuell als auch in der Zusammenarbeit. Das Managementhaus hilft der Führungskraft für sich zu klären: "Was will ich mit meiner Arbeitsgruppe überhaupt erreichen?" Zudem wirkt die dezidierte Auseinandersetzung der Führungskraft mit den fünf Bereichen des Managementhauses konfliktpräventiv, da implizite Erwartungen seitens der Leitung explizit gemacht werden und bis dato weniger klar definierte Bereiche in Zukunft eindeutig geregelt sind. Die fünf Räume des Managementhauses setzen auf unterschiedlichen organisatorischen Ebenen an.
Vision und Strategie
Der "Vision/Strategie" betitelte Bereich konzentriert sich auf die mittel- bis langfristige Ausrichtung der Forschungsgruppe. Einerseits geht es um eine klare Positionierung und Darstellung der Projektarbeit der Gruppe nach außen. Andererseits stiftet die thematische Ausrichtung Identität und führt zu einer Stärkung der Zugehörigkeit in der Arbeitsgruppe. Und nicht zuletzt fällt es der Führungskraft durch die Definition der Vision und Strategie bei Anfragen leichter zu entscheiden, ob diese auf die Strategie einzahlen und deshalb angenommen oder abgelehnt werden sollten.
Zwei Leitfragen dienen in dem Bereich der Reflexion: Wo möchte ich mit meinem Leitungsbereich in circa fünf Jahren stehen (hinsichtlich Forschungs- und Lehrausrichtung, Gruppengröße)? Wie ist die Arbeit jedes/r meiner Mitarbeitenden mit der Ausrichtung verknüpft und zahlt darauf ein? Für eine verständliche Kommunikation, Diskussion und gegebenenfalls Nachschärfung der Vision und Strategie hilft eine Verschriftlichung beziehungsweise Visualisierung, zum Beispiel in Form eines Schaubilds, dank dessen die Mitarbeitenden ihre Tätigkeit zur Gruppenausrichtung in Bezug setzen können.
Aufbau-Organisation
In dem zweiten Raum geht es um eine sinnvolle Aufteilung der Verantwortlichkeiten im Forschungsteam und damit um eine Entlastung der Leitung von Gemeinschaftsaufgaben. Über folgende Leitfragen wird mit Blick auf Rollenerwartungen Klarheit erzeugt und durch deren Kommunikation werden implizite Erwartungen explizit und folglich transparent gemacht: Kennt jeder und jede in der Gruppe seine und ihre Rollen und (damit einhergehenden) Verantwortlichkeiten (im Forschungsprojekt und darüber hinaus) und auch die Grenzen der eigenen Verantwortung? Kennt jeder und jede die Verantwortlichkeiten der anderen Gruppenmitglieder?
"Wichtig ist, dass eine faire Aufteilung an übergeordneten Gruppenaufgaben über alle Mitarbeitenden hinweg erfolgt."
Die Klärung erleichtert die Delegation und ermöglicht, Mitarbeitende anzusprechen, wenn Aufgaben nicht gemäß den Erwartungen erledigt werden oder unerfüllt bleiben. Gleichzeitig führt es zu einer Entlastung, wenn organisatorische Gemeinschaftsaufgaben der Arbeitsgruppe auf alle Mitarbeitenden verteilt werden und nicht an der Leitung "hängen bleiben". Wichtig ist, dass eine faire Aufteilung an übergeordneten Gruppenaufgaben über alle Mitarbeitenden hinweg erfolgt und die Zuteilung im Team transparent gemacht wird. Eine Klausurtagung oder ein Team-Retreat könnten zum Beispiel für eine solche Zuteilung genutzt werden.
Ablauf-Organisation
Der Raum mit dem Titel "Ablauf-Organisation" befasst sich mit der Vereinfachung sich wiederholender Aufgaben im Team. Jede Form der Standardisierung zum Beispiel bezüglich Lehrplanung oder der Einarbeitung neuer Mitarbeitender hilft mittelfristig, Zeit zu gewinnen und das trotz des anfänglichen Erarbeitungsaufwands. Die Leitfrage ist hier: Wo in meinem Arbeitsbereich lohnen sich Standardisierungen (beispielsweise Checklisten, Prozessbeschreibungen, Ablagesysteme, Jour fixe)? Dabei kann die Erstellung und die Pflege solcher Systeme im Team vergeben und ihnen jeweils “Kümmerer", also Hauptverantwortliche, zugeteilt werden. Auch können IT-Tools hierfür unterstützend genutzt werden. Für den Erfolg der Systematiken ist wichtig, dass die Führungskraft sich ebenfalls an die Prozessvereinbarungen hält, sie nutzt und bei Fragen aus der Arbeitsgruppe auf sie verweist.
"Die Differenzierung verschiedener Besprechungsformate, die Verkürzung von Meetings und eine gezielte Einladung nur der für ein Thema erforderlichen Personen kann Zeit sparen."
Regelkommunikation
Im Bereich "Regelkommunikation" geht es um eine schlanke und zugleich effiziente Kommunikation. Die Differenzierung verschiedener Besprechungsformate, die Verkürzung von Meetings und eine gezielte Einladung nur der für ein Thema erforderlichen Personen kann Zeit sparen. Folgende Leitfragen können die Reflexion unterstützen: Wer sollte was mit wem wie oft besprechen? Und wen braucht es bei welchen Besprechungen nicht? Wo haben wir zu viele oder zu wenige Besprechungen? Passen unsere Besprechungsformate zu den Zielen der Besprechungen? Es bewährt sich, zwischen inhaltlichen und organisationalen Besprechungen zu trennen, organisatorische Meetings eher kürzer und öfter abzuhalten und die Aufgabenverteilung dabei schriftlich festzuhalten und zu verfolgen. Extratreffen für inhaltlich getriebene Themen, wie Journal Clubs oder Kolloquien schaffen daneben Denkräume, die getrieben von gegenseitiger Wertschätzung ein "Klima der Inspiration" ermöglichen.
Werte, Normen, Regeln
Im Eingangsbereich des abgebildeten Managementhauses schaffen Werte, Normen und Regeln klare und für alle gültige Rahmenbedingungen und prägen so die Kultur der Arbeitsgruppe. Es geht darum, als Leitung die eigene Führungsrolle explizit anzunehmen, das heißt, sich zum einen bewusst zu sein, wie man sich die Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe vorstellt und zum anderen, solches über Regeln der Gruppe transparent werden zu lassen. Derlei kann sich auf eher banale Dinge wie die Einhaltung gemeinsamer Teamtermine beziehen oder auf grundlegende Themen wie das Verständnis eines gelungenen wissenschaftlichen Austauschs innerhalb einer Gruppe.
Zwei Leitfragen unterstützen die Reflexion: Welche Werte, Regeln, Normen sind mir als Leitung in der (Zusammen-)arbeit wichtig? Wissen meine Mitarbeitenden von der für mich hohen Relevanz dieser Werte, Regeln, Normen? Wichtig ist, dass es nicht zu viele Regeln werden, die man definiert, dass die gewählten klar verständlich, dass sie verschriftlicht, erklärt und für alle zugänglich sind. So wie auch Rom nicht an einem Tag erbaut wurde, braucht die Entwicklung und Etablierung von Managementstrukturen Zeit.
"Aus unserer Erfahrung braucht es zum Auf- oder Umbau des eigenen Leitungsbereichs bei circa acht bis zehn Mitarbeitenden gut und gern ein bis zwei Jahre."
Gutes Haus will Weile haben
Und wie jedes andere Haus muss auch das Managementhaus Schritt für Schritt erbaut werden. Es ist ein lebendes Dokument, das in Teamevents diskutiert, renoviert und erweitert werden kann. Ist man erstmal richtig eingezogen und mit dessen Räumen vertraut, kann es übers Jahr zu verschiedenen Anlässen, zum Beispiel an einem Teamtag, zum Onboarding neuer Mitarbeitenden und ähnliches weiter möbliert werden. Aus unserer Erfahrung braucht es zum Auf- oder Umbau des eigenen Leitungsbereichs bei circa acht bis zehn Mitarbeitenden gut und gern ein bis zwei Jahre. Explizite Erwartungen, schriftlich fixierte Rollenbeschreibungen und transparente Kommunikationsstrukturen inklusive Feedbackschleifen reduzieren zeitraubende Erklärungen und Konflikte, denen Halbwissen, Flurfunk und Vermuten vorangingen. Auch dadurch können für die eigene Forschung wieder Freiräume entstehen.
Das Managementhaus ist natürlich kein "Zaubermittel" für die Lösung aller Herausforderungen bei der Leitung einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe, wie strukturelle Probleme aufgrund der Befristung von Arbeitsverträgen. Wer das Haus allerdings vorausschauend möbliert, schafft in der Arbeitsgruppe emotionale Sicherheit als wichtige Voraussetzung für Kreativität und Zuverlässigkeit. Und vielleicht das Wichtigste: Als Führungskraft muss man nicht ständig alles noch einmal erklären, sondern kann Zuständigkeiten abgeben und auf bestehende und verschriftlichte Abmachungen verweisen.