Illustration eines menschlichen Gehirns
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Karrierepraxis
Warum emotionale Intelligenz erfolgreich macht

Wer eine Universitätsausbildung absolviert, hat eine breite und theoretisch fundierten Ausbildung. Aber macht das auch in der Praxis erfolgreich?

Von Gerhard Blickle 04.10.2023

In der Regel ist in der akademischen Ausbildung der Kontakt mit Patienten und Patientinnen, Gemeindemitgliedern, Mitarbeitenden eines Unternehmens, Ratsuchenden in der Apotheke oder Schülern und Schülerinnen zweitrangig. Wie soll die akademische Ausbildung zum kompetenten Umgang mit Krebserkrankten, Paaren im Scheidungsprozess, älteren Menschen, die ihr Testament schreiben, Jugendlichen im Firm- oder Konfirmationsunterricht, zur Motivierung der Belegschaft oder zum Umgang der Lehrerinnen und Lehrer mit den Zukunftsängsten von Schülern und Schülerinnen befähigen? 

Die akademische Ausbildung sei zu kopflastig für die späteren praktischen Aufgaben im Umgang mit Menschen, ist oft zu hören. Für ein Universitätsstudium brauche man kognitive Intelligenz, in der Praxis sei jedoch vor allem emotionale Intelligenz gefragt. In der Tat, die Forschung hat es belegt: Je höher die emotionale Intelligenz von Berufstätigen, desto besser wird ihre Leistung am Arbeitsplatz von anderen beurteilt. Personen mit höherer emotionaler Intelligenz verdienen auch mehr. Emotionale Intelligenz befähigt Vorgesetzte, erfolgreicher zu führen. Je höher die emotionale Intelligenz einer Person ist, desto erfolgreicher ist sie im Verhandeln. Und schließlich: Diese Personen erreichen auch einen höheren beruflichen Status, also berufliche Positionen mit höherer gesellschaftlicher Anerkennung, höherem Einkommen und höherer Hierarchiestufe.

Was ist emotionale Intelligenz?

In der Forschung haben sich drei Merkmale der emotionalen Intelligenz herauskristallisiert: Emotionswahrnehmung, Verstehen von Emotionen und Regulieren von Emotionen. Die Emotionswahrnehmung betrifft die richtige Einschätzung von Emotionen aus Gesichtern, Stimmen oder Körperhaltung. Also: schnell und richtig zu erkennen, ob jemand anderer z.B. traurig, zufrieden oder aggressiv ist. Das Verstehen von Emotionen betrifft zum einen die Fähigkeit, Nuancen zwischen verschiedenen Emotionen richtig sprachlich benennen zu können, und zum anderen, zutreffend zu wissen, welche Sachverhalte Menschen in bestimmte Emotionen versetzen und welche Motivationen und Handlungsbereitschaften diese Emotionen bewirken werden. Also, warum ist jemand gekränkt, und wie reagieren Personen, die sich gekränkt fühlen, auf ihre Mitmenschen. Das Regulieren von Emotionen betrifft die Steuerung fremder und eigener Emotionen. Wie kann man andere Personen in eine positive Stimmung versetzen, oder wie kann ich mich selbst dazu bringen, richtig zuzuhören und nicht vorschnell gekränkt zu reagieren.

Betrachtet man die sogenannte emotionale Intelligenz näher, besteht sie aus einem Talentfaktor, nämlich der Emotionserkennungsfähigkeit, und zwei Kompetenzfaktoren, nämlich dem Verstehen und dem Regulieren von Emotionen. Kompetenzen können durch Talent, Anstrengung, Training und Übung in einem bestimmten Anwendungskontext (zum Beispiel Krankenversorgung, Gemeindearbeit, Schule, Berufsleben) geschult und gesteigert werden. Das Talent ist dagegen eher eine stabile Größe.

Die drei Elemente bauen aufeinander auf. Am Anfang steht die richtige Wahrnehmung der Emotionen, darauf baut das Verstehen von Emotionen auf, und darauf das Regulieren von Emotionen. Wenn also die Emotion am Anfang falsch eingeordnet wird, weil die Emotionserkennungsfähigkeit schwach ausgeprägt ist, gehen Verstehen und Regulieren in die Irre. Ist dagegen ein großes Talent für das richtige Erkennen von Emotionen gegeben, können Personen leicht und schnell in einem bestimmten Anwendungskontext Wissen über Emotionen, die in einem bestimmten Lebenskontext besonders relevant sind, erwerben und sich gute soziale Fertigkeiten aneignen, Emotionen anderer zu regulieren.

Der amerikanische Wissenschaftsjournalist Daniel Goleman, der lange Zeit Herausgeber des Populärmagazins "Psychology Today" war, hat das Konzept der emotionalen Intelligenz um die Jahrtausendwende sehr bekannt gemacht. Seine (unzutreffende) These war, dass kognitive und emotionale Intelligenz nichts miteinander zu tun hätten. Für den Erfolg im "wirklichen" Leben sei die emotionale Intelligenz verantwortlich, kognitive Intelligenz sei nur wichtig, um gute akademische Abschlüsse zu erlangen. Diese These von Goleman hat zahlreiche Forschungsarbeiten ausgelöst.

Was ist die kognitive Intelligenz?

Auch die kognitive Intelligenz kann man als Talentfaktor einordnen. Wie oben ausgeführt, zeigte eine Reihe von Forschungsarbeiten, dass emotionale Intelligenz in der Tat in Beziehung zu vielen beruflichen Erfolgsparametern steht. Die berufliche Laufbahnforschung fand aber weiterhin heraus, dass auch die kognitive Intelligenz nicht nur in positiver Beziehung mit dem akademischen Studienerfolg steht, sondern auch berufliche Erfolgsgrößen positiv vorhersagt. Denn die kognitive Intelligenz ist der beste Prädiktor von schnellem und tiefgreifendem akademischen und beruflichen Lernen.

Darüber hinaus steht die kognitive Intelligenz auch in enger Beziehung mit dem Talentfaktor Emotionserkennungsfähigkeit und dem Kompetenzfaktor Verstehen von Emotionen. Die kognitive Intelligenz sagt also die Emotionserkennungsfähigkeit und den Erwerb von Wissen zum Verstehen von Emotionen vorher. Wir konnten in zwei Studien aus unserer Forschungsgruppe zeigen, dass die Fähigkeit, Emotionen aus Gesichtern oder Stimmen richtig zu erkennen, nach der Kontrolle des Alters in positiver Beziehung zum erreichten beruflichen Status stand. Weiterhin zeigte sich, dass die allgemeine Intelligenz, die verbale, numerische und räumliche Fähigkeiten umfasst, ebenso den beruflichen Status und die Emotionserkennungsfähigkeit aus Gesichtern oder Stimmen vorhersagte. Kontrollierte man die allgemeine Intelligenz, sagte die emotionale Intelligenz nicht mehr den beruflichen Status vorher. Dies deutet darauf hin, dass die emotionale Intelligenz den beruflichen Erfolg vorhersagt, weil sie durch die kognitive Intelligenz beeinflusst wird. 

"Akademischer und beruflicher Erfolg haben also die gleichen individuellen Wurzeln: allgemeine Intelligenz und Ehrgeiz."

Vieles belegt also, dass die Emotionserkennungsfähigkeit der emotionalen Intelligenz nur eine Erscheinungsform der allgemeinen Intelligenz darstellt, und die Emotionserkennungsfähigkeit ein wichtiger Faktor für den Erwerb von Kompetenzen zum Verstehen und Regulieren von Emotionen ist. Die allgemeine Intelligenz ist, neben entsprechendem Ehrgeiz, also nicht nur eine wichtige Vorhersagegröße des akademischen Erfolgs, sondern auch des beruflichen Erfolgs. Die sozialen Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Berufspraxis erforderlich sind (zum Beispiel Leistungen zeigen, mit denen das soziale Umfeld zufrieden ist, auf Augenhöhe verhandeln, andere führen) sind Kompetenzen, die in der beruflichen Praxis erfolgreich erlernt werden. Je intelligenter und ehrgeiziger Personen sind, desto schneller erlernen sie diese sozialen Kompetenzen und sind dadurch beruflich erfolgreich. Der Erwerb der Kompetenz, eigene und fremde Emotionen regulieren zu können, beispielsweise richtig zuzuhören und nicht vorschnell gekränkt zu reagieren, wird außerdem von dem Persönlichkeitsmerkmal der sogenannten emotionalen Stabilität begünstigt.

Akademischer und beruflicher Erfolg haben also die gleichen individuellen Wurzeln: allgemeine Intelligenz und Ehrgeiz. Die Zufälle der Geburt, Attraktivität, Körpergröße, Bildungschancen und stabile politische Verhältnisse, um nur einige zu nennen, sind ebenfalls für den beruflichen Erfolg von großer Bedeutung. In dem Maße, wie Studiengänge intelligente und ehrgeizige Studierende anziehen, werden diese Studierenden auch in der späteren beruflichen Praxis erfolgreich sein. Das ist kein Wunder, sondern hat eine wichtige gemeinsame Wurzel in der allgemeinen kognitiven Intelligenz.