Person verschlägt Sprechblase mit Hammer
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Stimmbildung
Hohe Stimmbelastung wird oftmals unterschätzt

Auf die eigene Stimme müssen sich Wissenschaftler verlassen können. Wie man Anzeichen für eine Überlastung erkennen und gegensteuern kann.

Von Markus Hess 22.03.2019

Lehrende kommen nicht umhin, ihre Stimme zu trainieren und zu pflegen. Erste Anzeichen einer länger anhaltenden Stimmstörung sollten, ähnlich wie Funktionsstörungen beim Berufssport auch, frühzeitig abgeklärt werden. Stimmtherapeutisch und phonochirurgisch kann in den meisten Fällen gut geholfen werden.

Abgesehen von diesen medizinischen Aspekten ist die Stimme im kommunikativen Bereich wie unser zweites Gesicht und mindestens so vielfältig einsetzbar wie unsere Mimik. Menschen haben einen guten Sensus dafür, ob unser Gegenüber mit der Stimme und dem gesamten Erscheinungsbild stimmig ist. Ist die Stimme gestört, kann diese Stimmigkeit verloren gehen.

Die meisten Menschen glauben, dass die tägliche Sprechstimme normalerweise überhaupt kein Problem für uns ist. Die Stimme funktioniert in allen Lebenslagen und bedarf auch keiner besonderen Beachtung. Aber stimmt das? Für einige von uns mag das zutreffen. Es gibt sie, die geborenen Redner mit einer beneidenswerten Stimme. Niemals trainiert, natürlich und sympathisch, überzeugend, belastungsfähig und immer einsatzbereit.

Sprechen im Lärm besonders belastend

Die Tätigkeit als Wissenschaftler und Hochschullehrer gehört zu den stimmintensivsten Berufen. Besonders belastend ist das Sprechen im Lärm. Dies führt häufig zu einer unphysiologischen Erhöhung der Sprechstimmlage mit vermehrter Stimm­anforderung und zur Heiserkeit. Täglich erhöhte Stimmanforderung im Seminarraum und im Hörsaal, größeres Auditorium mit schlechter Raumakustik, die Mikrophonanlage ist defekt oder erst gar nicht verfügbar, Störschall durch Umgebungslärm, Blockunterricht mit täglich stundenlangem anstrengendem Sprechen und zu guter Letzt vielleicht abends noch social talking in lauter Umgebung – das ist die Realität.

"Beruflich bedingte Stimmstörungen sind entweder in einem medizinischen oder in einem kommunikativen Kontext zu beurteilen."

Leider sind nicht alle Menschen stimmlich fit für den Lehrberuf – ob konstitutionell stimmschwach oder durch eine erworbene Stimmstörung (Dysphonie). Derzeit sind in Deutschland Stimmtauglichkeitsuntersuchungen nur sehr selten obligat. In der DDR gab es diese vor dem Studium eines Lehrberufes, um frühzeitig eine stimmliche Fitness zu attestieren, um therapeutische Maßnahmen einzuleiten zur Vermeidung einer ansonsten zu erwartenden beziehungsweise drohenden berufsbedingten Stimmproblematik, oder auch um – ausschließlich stimmbezogen! – von einem solchen Studium abzuraten.

Beruflich bedingte Stimmstörungen sind entweder in einem medizinischen (gesundheitlichen) oder in einem kommunikativen Kontext zu beurteilen. Wenn wir den gesundheitlichen Aspekt betrachten, so interessieren hier vor allem die langanhaltenden Stimmstörungen mit einer hörbaren Heiserkeit, die von krächzender Tongebung, wahrnehmbarer Stimmanstrengung, Stimmversagen, erhöhter Sprechstimmlage bis hin zu Intonationsschwierigkeiten reichen können.

Tageszeitliche Schwankungen einer Heiserkeit können ebenso vorliegen wie eine dauerhaft hörbare Stimmveränderung. Nicht hörbar, aber dennoch direkt im Zusammenhang mit der Berufsstimme stehend, sind häufig anzutreffende Symptome wie das Gefühl von Verschleimung, Räusperzwang, Trockenheitsgefühl, Frosch-im-Hals (Globus), Halsschmerzen oder Schluckbeschwerden. Dass die Singstimme im Lehrbetrieb noch erheblich mehr gestört sein kann, bedarf sicherlich keiner ausführlichen Begründung.

Tipps für eine starke Stimme in der Vorlesung – Prof. Markus Hess

Atmung
Langsam und tief ausatmen und Restluft aus der Lunge langsam aber kontinuierlich maximal herausdrücken. Das kann bis zu zehn Sekunden dauern! Danach sehr langsam durch Nase einatmen. Zweimal wiederholen.
Stimme
Pferde-Schnauben nachahmen: Mit und ohne Stimme. "Brrrr."
Muskeln
Gähnen und strecken Sie sich, Stimme dazunehmen.

Stimmstörung beginnt mit muskulärer Fehlanspannung

Die stimmärztliche Sprechstunde sieht bei Berufssprechern am häufigsten Störungsbilder, die mit einer sich über Jahre aufbauenden muskulären Fehlanspannung im vorderen Halsbereich beginnt und noch nicht einmal hörbar sein muss. "Repetitive strain injury" ist hier das Schlagwort – eine chronische stereotypische muskuläre Überbeanspruchung einiger für die Stimmgebung wichtiger Kehlkopf- und Halsmuskeln.

Räusperzwang und Verschleimungsgefühl sind oft assoziiert, aber gehen nur in den wenigsten Fällen mit tatsächlicher übermäßiger oder veränderter Schleimbildung einher! Hier täuscht uns unsere eigene Körperwahrnehmung. Folgerichtig wird das Räuspern (im englischen eindrücklich "throat clearing" genannt) auch nicht weiterhelfen.

Im Gegenteil, die Schleimhäute werden nur noch mehr gereizt – und ein circulus vitiosus beginnt dann oft erst. Da die Stimme nicht gleich versagt, folgt meist eine jahrelange stimmliche Kompensationsphase. Wir können unsere Stimme (noch) mit "Bordmitteln" an die täglichen Herausforderungen anpassen.

Nach vielen Jahren kann dann eine stimmliche Dekompensation einsetzen, die inzwischen "erlernte" und maladaptierte Stimmtechnik hilft nicht mehr weiter. Stimmlippenknötchen sind eher selten bei Erwachsenen, dennoch sind gewebliche Veränderungen der Stimmlippen oft auch parallel anzutreffen. Bösartige Tumoren sind sehr selten und werden nicht durch eine funktionelle Stimmstörung verursacht. Bei chronischer Heiserkeit länger als vier Wochen muss daher eine Aus­schluss­diagnos­tik erfolgen.

Neben vielen anderen möglichen Störungen kann eine bis heute kausal nicht erklärbare Ausdünnung der Stimmlippen, früher fälschlich Altersstimme (Presbyphonie) genannt, vorliegen. Die im englischen mit "vocal fold bowing" rein deskriptiv bezeichnete Veränderung ist schleichend, an beiden Stimmlippen symmetrisch, immer gutartig und äußert sich durch eine gepresste, trockene Stimme mit erhöhter Stimmlage.

Räusperzwang, Verschleimungsgefühl und Globusgefühl kommen meist dazu. Die permanente Stimmanstrengung (durch die Kompensation des nicht kompletten Stimmritzenschlusses) steht symptomatisch im Vordergrund.

Unabhängig von der Art einer Stimmstörung wird bei der professionellen Diagnostik durch Stimmärzte (die Facharztrichtung wird Phoniatrie genannt) dem Patienten meist ein Fragebogen zum Ankreuzen vorgelegt. Dieser enthält 30 stimmassoziierte Fragen und gibt in wenigen Minuten einen sehr verlässlichen Anhaltspunkt über den subjektiven Störungsgrad der Stimmstörung. Die ambulante ärztliche Untersuchung umfasst eine absolut schmerzfreie Kehlkopfendoskopie sowie eine Reihe von spezifischen Stimmtests. Logopädische und gegebenenfalls osteopathische Untersuchungen können im differentialdiagnostischen Prozess sehr hilfreich sein.

Therapie basiert auf verschiedenen medizinischen Fachgebieten

Kommt es zur Therapie, so führt ein multidisziplinärer Ansatz durch Hinzuziehung von Logopädie und Osteopathie und bisweilen auch Psychotherapie am schnellsten zur Stimmverbesserung. Sogenannte stimmhygienische Maßnahmen können helfen, eine drohende Stimmstörung abzuwenden oder nach einer Therapie die wiedergewonnenen stimmlichen Fähigkeiten aufrecht zu erhalten.

Die Phonomikrochirurgie, ein junger, hochspezialisierter Zweig der allgemeinen Kehlkopfchirurgie, kann heutzutage durch feinste Instrumente vielen Betroffenen schnell helfen. So hilft beispielsweise die Unterfütterung der Stimmlippen bei dem "vocal fold bowing".

Da die Stimme immer auch ein kommunikatives Ausdrucksmittel ist, wird man gerade im Lehrberuf von einem professionellen Stimmcoaching profitieren, das die Anwendung einer gesunden Sprechweise im Lehrkontext trainiert. Hier werden Bereiche der Sprecherziehung, Rollenspiel, mentales Training und vieles mehr individuell und mit direktem Alltagsbezug erarbeitet.

Ob in der logopädischen Therapie oder beim Stimmcoaching, immer wird man die wesentlichen Erfordernisse für eine berufstaugliche Stimmgebung mit einbeziehen: Atmung, Tongebung, Resonanz, Artikulation, Körperhaltung, mentale Fokussierung, Stimmhygiene.

Literatur

Voice Handicap Index (deutsch): Fragebogen zum Ankreuzen mit 30 Fragen zur Stimme. Der Gesamtscore gibt einen Anhaltspunkt über die Ausprägung einer Stimmstörung im Alltag. Ein Score über 20 Punkte wird als auffällig angesehen.

Stimmhygiene-Tipps: Flyer mit praktischen Tipps.

Faszination Stimme: Eine leichtverständliche Einführung in die Grundlagen der Stimmbildung und die neuesten Erkenntnisse. Ingo R. Titze. National Center for Voice & Speech, 2010. ISBN 0983477108, 9780983477105. 60 Seiten.

Menschen und ihre Stimmen: Aspekte der vokalen Kommunikation. Hartwig Eckert und John Laver. Beltz/Psychologie Verlags Union, 1994. ISBN 3621272038, 9783621272032. 204 Seiten.

Meine Stimme – Mein Erfolg: Der kompakte Ratgeber für die wirkungsvollste Stimm- und Sprechtechnik. Ingrid Amon. Fischer & Gann, 2017. ISBN 3903072508, 9783903072503. 207 Seiten.