Professorin schaut sich nachdenklich in einem leeren Hörsaal um
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Semesterferien
Sommer in der Wissenschaft

Was machen Professorinnen und Professoren in der vorlesungsfreien Zeit im Sommer? Ein Gespräch mit einem Arbeitspsychologen.

Von Claudia Krapp 25.08.2023

Forschung & Lehre: Inwiefern ist der vorlesungsfreie Sommer eine besondere Zeit für die Arbeit von Professorinnen und Professoren?

Stefan Poppelreuter: Natürlich sind die vorlesungsfreien Zeiten für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine willkommene Unterbrechung vom "daily business". Man darf mit Fug und Recht annehmen, dass viele im Wissenschaftsbetrieb tätige Menschen über eine ausgeprägte intrinsische Motivation verfügen, was dazu führt, dass sie sich in solchen Zeiträumen verstärkt ihren Forschungsschwerpunkten widmen, aber auch – mitunter mit mehr Ruhe – administrative oder organisatorische oder universitätspolitische Aufgaben wahrnehmen. Natürlich dient der Zeitraum auch der Rekreation, dem wissenschaftlichen Austausch und der Netzwerkpflege – alles Dinge, die im Semesteralltag mitunter zurückstehen müssen.

Portraitfoto von Dr. Stefan Poppelreuter
Dr. Stefan Poppelreuter ist Psychologe und Experte für Arbeitssucht. Zudem leitet er den Bereich Analysen & Befragungen HR Consulting der TÜV Rheinland Akademie. Die Schnappschützen

F&L: Welche Herausforderungen bringt die vorlesungsfreie Zeit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit sich für die Organisation der eigenen Aufgaben? Lädt sie eher zum Prokrastinieren ein oder zum Mehrarbeiten?

Stefan Poppelreuter: Die vorlesungsfreien Zeiten sind auf den ersten Blick von weniger Verpflichtungen durchzogen als der übliche Semesterbetrieb. Neben dem Aussetzen der Lehrveranstaltungen fallen in diesen Zeiträumen häufig auch Kolloquien, Gremiensitzungen oder andere reguläre Termine weg oder finden seltener statt. Ob und in welcher Form sich diese "freie Zeit" auf das Arbeitsverhalten auswirkt, ist individuell unterschiedlich. Beides kann passieren: bei der einen Person führt der Wegfall von Verpflichtungen tatsächlich dazu, dass man "mal mit der Ruhe" macht. Das Ausbrechen aus dem "Hamsterrad" lässt Zeit zum Atem holen, das ist gut. Andererseits besteht die Gefahr, dass man angesichts der Tatsache, dass man viel Zeit zur Verfügung hat, weniger effizient und konzentriert arbeitet, Zeit "verschwendet" oder einfach aufgrund fehlenden äußeren Drucks in die "Aufschieberitis" geht. Aber es ist auch zu beobachten, dass die Befreiung von alltäglichen Verpflichtungen dazu führt, dass man sich nun endlich mal um die Dinge kümmern kann, die wirklich spannend und interessant sind. Mit dem Ergebnis, dass sehr viel mehr und intensiver gearbeitet wird. Der Arbeitssüchtige ist im akademischen Umfeld ja durchaus keine exotische Erscheinung, wobei auch der Prokrastinierer im Wissenschaftsbetrieb immer wieder einmal beobachtet werden kann.

F&L: Ist die Taktung von zwei Semestern, unterteilt in Vorlesungs- und vorlesungsfreie Zeit, hilfreich oder hinderlich für die Aufgaben von Forschenden? Ist der Sommer eine gute Zeit, um ungehindert seiner Forschungsneugier nachzugehen, oder wäre es besser, nicht stoßweise arbeiten zu müssen?

Stefan Poppelreuter: Für eine kontinuierliche Forschung ist das Forschungsfreisemester eine wichtige und gute Einrichtung. Forschung braucht auch Zeit und Raum, um Dinge zu entwickeln und auszuprobieren. Eine lange Weile zu haben, um sich mit Wissenschaftsfragen, mit theoretischen Modellen und empirischen Ansätzen auseinanderzusetzen, um Hintergründe zu recherchieren und neue Wege zu erproben, ist unabdingbar für hochwertige und erfolgreiche Forschung und Wissenschaft. Forschung nebenbei gibt es genauso wenig wie es Lehre nebenbei geben sollte. Insofern ist es gut, wenn man Zeiten hat, in denen man sich auf das eine wie das andere konzentrieren kann. Mitunter zeigt sich allerdings, dass jeweilige Neigungen dazu führen, Forschung oder Lehre "nebenbei" machen zu wollen, wobei in der Regel der Aufwand, der für Forschung betrieben wird, den, der der Lehre gewidmet ist, bei weitem übertrifft. Dabei ist Lehre sehr häufig ein wichtiger und unverzichtbarer Inputgeber für Forschungsfragen und -projekte. Nach meinem Eindruck könnte es hier an der einen oder anderen Stelle eine höhere Betonung von "guter Lehre" geben.

F&L: Wie sieht es mit der Erholung von Forschenden aus? Können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dieser Taktung ausreichend Urlaub machen?

Stefan Poppelreuter: Professorinnen und Professoren sind formal betrachtet auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit entsprechenden Ansprüchen auf Urlaub. Das ist alles im Dienstrecht geregelt, sodass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbstverständlich auch Erholungszeiten und ausreichende Urlaubszeiten einplanen können. Die Taktung von Vorlesungs- und vorlesungsfreier Zeit bietet ausreichend Möglichkeiten zur Entspannung, wenn diese denn gewünscht ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich diese Zeit auch nehmen, neigen mitunter aber dazu, ganz in ihren Themen aufzugehen. Das ist dann aber ein individuelles Problem und keines der Taktung.

"Es spricht nichts gegen eine Sprechstunde aus der Provence."

F&L: Hat sich in den vergangenen Jahren durch die vermehrte Möglichkeit zum Homeoffice beziehungsweise Mobile Work etwas an der Erreichbarkeit von Professorinnen und Professoren im Sommer verändert? Ist für sie die Abgrenzung von wissenschaftlicher Arbeit und Urlaub schwieriger geworden?

Stefan Poppelreuter: Auch hier gilt: es kommt darauf an. Die mobilen Arbeits- und Kommunikationsformen können dazu beitragen, dass Professorinnen und Professoren sogar noch besser und leichter für die Studierenden erreichbar sind als früher. Gerade in diesem Punkt ist es eine Frage des Wollens. Wer erreichbar sein möchte, der wird es auch sein, egal, ob in Präsenz oder virtuell. Das mobile Arbeiten erhöht hier eindeutig die Flexibilität und die Möglichkeiten. Es spricht nichts gegen eine Sprechstunde aus der Provence. Studierende nehmen auch gerne aus Ligurien daran teil. Die Abgrenzung von wissenschaftlichem Arbeiten und Urlaub, aber auch allen anderen Lebensbereichen, ist immer eine Frage der Persönlichkeit. Durch das mobile Arbeiten ist es zumindest für manche Personen noch schwieriger geworden, mit der Arbeit aufzuhören. Früher konnte man am Strand zumeist nur an seine Daten denken, heute kann man über die Cloud mit ihnen arbeiten. Diesen Möglichkeiten nicht immer anheimzufallen ist "die" Herausforderung für alle intrinsisch motiviert Arbeitenden. Und damit für die allermeisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Was haben Sie im Sommer gemacht?

Wie haben Sie als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler die Semesterferien im Sommer 2023 verbracht? Finden Sie sich in den Beschreibungen von Dr. Stefan Poppelreuter wieder? Teilen Sie Ihre Erfahrungen zur vorlesungsfreien Zeit gerne in den Kommentaren!