Pause!
Warum Erholungsphasen im Beruf wichtig sind
F&L: Wie wichtig sind Pausen und Erholungsphasen im Arbeitsalltag?
Johannes Wendsche: Der Mensch verbraucht während der Arbeit körperliche und psychische Ressourcen. Damit die Arbeitsleistung über den Tag stabil bleibt, ist es notwendig, dass man sich in bestimmten Abständen immer wieder erholt.
F&L: Wie gelingt die Erholung am besten?
Johannes Wendsche: Menschen erholen sich natürlich sehr unterschiedlich. Entscheidend ist auf der einen Seite die Möglichkeit, überhaupt Zeit für Erholung zu haben, zum Beispiel, eine Pause während der Arbeitszeit einzulegen, und auf der anderen Seite die Erfahrungen, die man während dieser Erholungsphase macht. In der Forschung haben sich dabei folgende grundsätzliche Dimensionen als wichtig für die Erholung herauskristallisiert: Man muss ausreichend abschalten, sich also geistig und mental von der Arbeit distanzieren können; Beschäftigte müssen das Gefühl haben, dass sie körperlich und psychisch entspannen und sie sollten möglichst frei über die Erholungszeiten und -tätigkeiten entscheiden können.
Aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sollen die negativen Beanspruchungsfolgen wie Ermüdung und Unkonzentriertheit in einer Pause abgebaut werden. Pausen haben aber auch eine präventive Funktion, so können durch rechtzeitige Erholungsphasen kritische Ermüdungsspitzen verhindert werden. Darüber hinaus verbessert sich das Wohlbefinden und körperliche Beschwerden werden reduziert. Schließlich ist die Arbeitsleistung insgesamt besser, sie ist etwas höher als ohne Pause, und man kann mit konstanterer Leistung über den Tag arbeiten. Neuere Studien bestätigen zusätzlich, dass Pausen auch den Teamzusammenhalt stärken, also für das Sozialgefüge in Arbeitsgruppen wichtig sind.
F&L: Gibt es eine Regel, wie oft und wann Pausen eingelegt werden sollten?
Johannes Wendsche: Es gibt kein allseits gültiges "Pausenregime", wie wir in der Auswertung von fast 130 Studien der letzten 25 Jahre zum Thema "Pause" festgestellt haben. Eine Pause ist generell gut für die Arbeitsleistung sowie für das körperliche und psychische Wohlbefinden. Was sich allenfalls sagen lässt: Bei anspruchsvollen Tätigkeiten braucht es morgens in der ersten Schichthälfte eher seltener Pausen, in der zweiten Schichthälfte nachmittags öfter oder etwas längere Pausen, weil dann die chronophysiologische Ermüdung dazu kommt. Die Pausenunterbrechung sollte allerdings auch nicht zu häufig stattfinden, das stört den Fluss der Arbeit.
F&L: Wie erkenne ich, dass das Wohlbefinden schwindet und die Leistungsfähigkeit nachlässt?
Johannes Wendsche: Man ist dann unkonzentrierter, macht mehr Fehler, muss häufiger Arbeitsergebnisse kontrollieren und die Leistung beginnt zu schwanken. Es kommt eventuell auch zu einem Motivationsverlust, das Bedürfnis wächst, den Arbeitsplatz zu verlassen. Ein Indiz ist auch, wenn man sich häufiger mit Nebenaufgaben ablenkt. Das sind alles Hinweise darauf, dass eine Pause nötig wäre. Viele Beschäftigte müssen ihre Pausen selbst organisieren. Der Vorteil ist, dass sie selbst über ihre Pause bestimmen können. Allerdings nehmen wir unsere arbeitsbedingte Ermüdung nur mangelhaft wahr, was dann in eine ungünstige Pausengestaltung münden kann.
Sinnvoll ist es deshalb, sich einmal genauer über ein paar Arbeitstage selbst zu beobachten und das Arbeitsverhalten inklusive Pausen und Nebentätigkeiten aufzuzeichnen. Oft ist es so, dass wir bis zu zehn Prozent der täglichen Arbeitszeit mit diesen Nebentätigkeiten oder mit "maskierten" Pausen verbringen, also solchen Tätigkeiten, die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Auf den Tag hochgerechnet ist das ungefähr eine dreiviertel Stunde. Untersuchungen haben ergeben, dass bei Beschäftigten, die bewusst Pausen einplanen, der Anteil dieser maskierten Pausen sinkt.
Gesetzliche Pausenzeiten
Laut Arbeitszeitgesetz (ArbZG) beträgt die Gesamtdauer der Ruhepausen mindestens 30 Minuten bei sechs- bis neunstündiger Gesamtarbeitszeit und mindestens 45 Minuten bei mehr als neun Stunden Gesamtarbeitszeit.
In der Arbeitswissenschaft werden Arbeitspausen als "Arbeitsunterbrechungen verschiedener Länge, die zwischen zwei in einer Arbeitsschicht vorkommenden Tätigkeitszeiten auftreten und der Erholung des Arbeiters dienen" verstanden (Graf et al., 1970, S. 250).
Kernmerkmale von Arbeitspausen sind demnach ihre Lage während einer Arbeitsschicht und ihre Erholungsfunktion.
F&L: Warum fällt es vielen Menschen schwer, sich von ihrer Arbeit innerlich zu lösen und zu erholen?
Johannes Wendsche: Es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die wir alle in unterschiedlicher Weise mitbringen und die auch unseren Umgang mit Leistungserwartungen prägen. Wenn Menschen die Tendenz haben, sich selbst zu stark zu verausgaben, fällt es ihnen schwerer, sich in der Erholungsphase von der Arbeit zu distanzieren. Ähnliches gilt auch für Menschen mit einer eher pessimistischen Lebenseinstellung zur Welt. Neben diesen Persönlichkeitsmerkmalen gibt es einen weiteren Aspekt: Wie stark ist man in der Tätigkeit gefangen? Wie hoch ist die Bindung an diese Tätigkeit? Je stärker die ausgeprägt ist, umso schwieriger fällt es, sich zu erholen.
"Menschen haben das Bedürfnis, vor einer Erholungsphase Dinge zu beenden. Oft gelingt uns das nicht. Das bleibt dann im Kopf haften."
Weitere Faktoren hängen mit der Arbeit selbst zusammen. Die wichtigsten sind eine hohe Arbeitsdichte und ein hoher Zeitdruck. Bei vielen Tätigkeiten heutzutage sind die Aufgaben oft sehr komplex und können nicht schnell abgearbeitet werden. Menschen haben aber das Bedürfnis, vor einer Erholungsphase die Dinge zu beenden. Wenn der Zeitdruck groß ist, gelingt uns das oft nicht, sowohl vor der Pause als auch am Ende des Arbeitstages. Das bleibt dann im Kopf haften. Dieser Effekt ist in der Wissenschaft unter dem Begriff Zeigarnik-Effekt bekannt. Es ist dann schwieriger, einen guten Übergang in die Erholungsphase zu finden, und mündet in dem Verhalten, während der Erholungsphasen weiter zu arbeiten. Besonders bei ungelösten Problemen haben Menschen grundsätzlich die Tendenz, weiterzuarbeiten.
In diesen Fällen sollte man gegenüber sich selbst realistisch sein und die Zeit etwas kontrollieren. Wie lange arbeite ich schon daran, gibt es Fortschritte etc. Oft ist bei diesen Aufgaben unser Zeiterleben verschoben, man merkt gar nicht, wie die Zeit verrinnt. Das ist die große Gefahr, wenn man sehr lange gearbeitet hat.
Schließlich verhindern auch die erlebten Emotionen im Beruf das Ab- oder Umschalten. Hier geht es um soziale Konflikte und Rollenstress. Menschen wollen mit einem guten Gefühl den Arbeitsplatz verlassen und wenn dann zum Beispiel Konflikte mit Kollegen, mit dem Chef, den Kunden und Projektpartnern auftreten, braucht es eine gewisse Zeit, bis man sich wieder im emotionalen Gleichgewicht befindet.
F&L: Welche Folgen hat das?
Johannes Wendsche: Ab neun bzw. zehn Stunden Arbeit sinken das Wohlbefinden und die Leistung, das Risiko für Arbeits- und Wegeunfälle steigt. Und es gibt kurzfristige und längerfristige Wirkungen. Wenn man an schwierigen Themen gearbeitet hat, ist man sehr aktiviert, besonders dann, wenn man über seine Grenze hinaus gearbeitet hat. Der Körper macht das erst mal mit, er bündelt seine Ressourcen und gibt uns Kraft. Wir werden physiologisch aktiviert. Das kann dann aber Probleme beim Schlafen nach sich ziehen.
Problematisch wird es, wenn diese Überaktivierung chronisch wird. Hier können Entspannungstechniken helfen, um besser in die Entspannung zu kommen. Günstiger ist es natürlich, die arbeitsbedingten Ursachen anzugehen. Eine gute Methode ist beispielsweise eine genaue Arbeitsplanung, indem man am Beginn des Arbeitstages überlegt, welche Aufgaben anfallen und sich dann bewusste Zeiten für bestimmte Aufgaben einteilt.
F&L: Sommerzeit ist Urlaubszeit: Wie wichtig ist die längere Pause, der Urlaub?
Johannes Wendsche: Urlaub hat generell positive Effekte. Das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit verbessern sich bei den Beschäftigten, wenn sie Urlaub gemacht haben. Die körperlichen Beschwerden nehmen ab. Tatsächlich ist es aber so, dass der Urlaub oft nicht sehr nachhaltig wirkt. Wir müssen also die Dauer der Arbeitsbelastung zwischen Erholungsphasen reduzieren. Mein Rat wäre daher, lieber öfter einen kürzeren Urlaub zu machen statt bei der Erholung nur auf einen ausgedehnten Jahresurlaub zu setzen.
"Mein Rat: Lieber öfter einen kürzeren Urlaub als nur einen ausgedehnten Jahresurlaub machen."
F&L: Urlaub in der digitalisierten Welt bedeutet, fast überall immer erreichbar zu sein. Erschwert das die Erholung?
Johannes Wendsche: Der arbeitsbedingte Umgang mit Informations- und Kommunikationstechniken bedarf sehr viel Selbstkontrolle. Die Gefahr, dass solche Techniken uns auch während der Freizeit in der Arbeit gefangen halten und damit das Abschalten erschweren, ist hoch. Immer, wenn eine berufliche Mail während meines Urlaubs eintrifft, ist das eine Aufforderung an mich, etwas zu tun. Da Menschen nach einem positiven Selbstwertgefühl, sozialer Zugehörigkeit in der Arbeitsgruppe sowie einer positiven Rückmeldung durch Kollegen und Kunden streben, ist es eine ständige Herausforderung, Grenzen zwischen Arbeit und Erholung zu ziehen.
F&L: Funktioniert eine solche Selbstkontrolle?
Johannes Wendsche: Ich würde sagen, teilweise. Einige Beschäftigte, die wir in unseren Untersuchungen befragt haben, berichten von massiven Erholungsproblemen. Arbeit als auch Freizeit werden beide zum Stressfaktor. Andere hingegen haben für sich gute Strategien entwickelt, Arbeit und Erholung im Gleichgewicht zu halten. Zeit- und Leistungsdruck sind die größten Stressoren in der Arbeitswelt, das zeigen europaweite Umfragen von Arbeitnehmern.
In Deutschland sagen fast 50 Prozent der Beschäftigten, dass sie häufig Zeit- und Leistungsdruck im Beruf empfinden. Hier sind Pausen das geeignete Gegenmittel gegen die negativen Auswirkungen solcher Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig berichtet allerdings jeder dritte deutsche Beschäftigte, dass er seine Mittagspause ausfallen lässt, insbesondere, wenn der Zeitdruck hoch ist. Aus dieser Schleife müssen wir herauskommen. Eine neue betriebliche Erholungskultur kann dabei helfen.