Medizin-Studenten
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Studienplätze und Zulassungsverfahren in der Medizin
Wie viele und welche Ärzte braucht das Land?

Die Nachfrage nach einem Studienplatz im Fach Medizin ist seit Jahren ungebrochen. Welche Überlegungen die Auswahl von Studierenden derzeit prägen.

Frank Ulrich Montgomery liefert eine bedrückende Prognose: Es werde bis zu 54.000 arbeitslose Ärzte geben. Wir sind auf dem Ärztetag 1989. Die arbeitslosen Ärzte werden für 1995 erwartet. Tatsächlich waren es dann weniger als 8.000 Ärzte, die 1995 zeitweilig keinen Job hatten.
Frank Ulrich Montgomery stellt fest: Wer nur die Köpfe zählt, macht es sich zu einfach. "Bund und Länder stehen gemeinsam in der Pflicht, die Zahl der Medizinstudienplätze um mindestens zehn Prozent zu erhöhen". Wir sind auf dem Ärztetag 2018.

Nun sind 30 Jahre eine lange Zeit, und Prognosen haben bekanntlich die Eigenheit, dass sie selten so eintreffen wie mit dramatischem Gestus verkündet. Ihre Verkündung ist ja gelegentlich auch mit Absichten verbunden. Tatsache ist, dass sich die Zahl der Studierenden in der Medizin von 43.368 (1975) über 84.958 (1995), 89.998 (2015) auf 93.946 im Jahr 2017 erhöht hat.

Nichts spricht dafür, dass es im laufenden Jahr weniger sein werden. Auch die Zahl der Absolventen ist im internationalen Vergleich gemäß OECD-Daten hoch: pro 100.000 Einwohner bilden Japan 6,8, die USA 7,5, Frankreich 9,1, Großbritannien 12,9 und Deutschland 11,7 Ärztinnen und Ärzte aus.
In Deutschland sind mit schöner Regelmäßigkeit von Jahr zu Jahr mehr Ärztinnen und Ärzte berufstätig. Zuletzt – Ende 2017 – waren es laut Statistik der Bundesärztekammer 385.149.

Dies waren 6.542 (1,7 Prozent) mehr als im Vorjahr. Aber so einfach ist die Sache nicht. Montgomery hat zu Recht darauf verwiesen, dass "Arztstunden fehlen". Es gibt viele Ärztinnen und Ärzte, die in Teilzeit arbeiten – und im Vergleich zu früher ist auch die Anzahl der Überstunden nicht mehr so exorbitant hoch.

Die vorgeschlagene Erhöhung der Zahl der Studienplätze löst aber leider keines der drängenden Strukturprobleme im Gesundheitswesen (zum Beispiel Überversorgung in Ballungsgebieten, zu viele Fach- und zu wenige Allgemein- beziehungsweise Hausärzte, ökonomische Fehlanreize in Praxen und Kliniken, im internationalen Vergleich sehr hohe Inanspruchnahme im ambulanten Bereich). Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, ist zuzustimmen: Primär ist die Beseitigung der Strukturprobleme. Sekundär die eventuelle Erhöhung der Zahl der Studienplätze. Diese muss dann aber solide finanziert sein.

Von der digitalen Ausbildung zur Fernbehandlung

Dass sich die Wirklichkeit hierum nicht schert, wird allerdings durch die seit einigen Jahren ins Kraut schießenden neuen beziehungsweise geplanten Ausbildungsstätten für Medizinstudierende deutlich. Von rühmlichen Ausnahmen wie Augsburg oder wohl auch Bochum-Ostwestfalen-Lippe abgesehen, erfüllt keine dieser Neugründungen auch nur annähernd die Mindestvoraussetzungen, die der Wissenschaftsrat für Medizinische Fakultäten und Universitätsklinika definiert hat.

Das neueste Angebot in diesem Markt ist die digitale Medizinfakultät Malta. Dass Bund und Länder im sogenannten "Masterplan Medizinstudium 2020" das Thema Digitalisierung gänzlich vergessen haben, spornt offenbar innovative Geister und Geldgeber an, ein neues Angebot zu machen.

Vielleicht liegt die Zukunft ja darin, mit dem Notebook an der digitalen Fakultät zu studieren, die ärztliche Gesprächsführung mit Cortana, Siri oder Bixby zu üben, in Verbindung mit Watson, der elektronischen Patientenakte und auf der Basis des digitalen Zwillings die Diagnostik und Therapie zu lenken und die tatsächliche Arbeit am Patienten den übrigen Medizinalfachberufen zu überlassen, die sich ja ohnehin akademisieren wollen. Auch die vom Ärztetag in diesem Jahr – sinnvollerweise – befürwortete Fernbehandlung rundet dies, weiter ausgebaut, ab. Also: Von der digitalen Ausbildung zur Fernbehandlung!

Das neue Vergabeverfahren und alte Probleme

Derweil basteln die KMK-Gremien und klugen Ländervertreter an einer Übergangsfassung für das neue Vergabeverfahren für die Studienplätze, das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2017 bis Ende 2019 in geltendes Recht zu gießen ist.

Die KMK hatte sich am 15. Juni 2018 auf folgende Eckpunkte verständigt: Wegfall der Wartezeitquote, Beibehaltung einer Abiturbestenquote von mindestens 20 Prozent, Berücksichtigung zusätzlicher Kriterien in einer neuen Hauptquote (der sogenannten "Talentquote") oder in Form einer Binnenquote im Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) sowie Beibehaltung des AdH-Verfahrens.

Ein Übergang wird nötig, weil es offenbar im staatlichen Bildungssektor in Deutschland einfach nicht möglich ist, in zwei Jahren das künftige neue Konzept solide IT-technisch zu realisieren. Der Übergang wird allerdings die Optionen für die Hochschulen – etwa zur Durchführung von Auswahlgesprächen – einschränken. Eine Festlegung, wie lange denn der Übergang dauern soll, wird klugerweise vermieden.

Der Medizinische Fakultätentag (MFT) und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) hatten bereits 2017 ein neues Modell der Studierendenauswahl entwickelt, das vorschlägt, unter Beibehaltung der Vorabquoten eine Auswahlquote zu bilden, die aus folgenden Teilen besteht: der Abiturnote (maximal 40 Punkte), einem medizinspezifischen Studierfähigkeitstest (maximal 40 Punkte), der berufspraktischen Erfahrung in einem medizinnahen Bereich oder einem staatlich anerkannten Freiwilligendienst (maximal 10 Punkte) sowie einem Situational Judgement Text (SJT; maximal 10 Punkte).

Letzterer soll das soziale Urteilsvermögen anhand konkreter Situationen aus dem Studien- und Berufskontext testen. Es wird eine Punktsumme gebildet, die Grundlage ist für eine bundesweite Rangliste. 50 Prozent der Plätze werden auf Basis der Rangliste vergeben. Die übrigen 50 Prozent werden im Rahmen standortspezifischer Auswahlverfahren vergeben.

Die Fakultäten können dabei weitere eignungsrelevante Kriterien aus einem gesetzlich festgelegten Katalog aufnehmen (zum Beispiel strukturierte Interviewverfahren). Das BMBF fördert hierzu einen Verbundantrag zur "Begleitforschung für den Erfolg von kompetenzbezogenen Auswahlverfahren der Hochschulen" im Rahmen des "Masterplans Medizinstudium 2020".

Sieht man vom Test für Medizinische Studiengänge (TMS) ab, wird das neue Verfahren erstmals ernsthaft wissenschaftlich begleitet – und natürlich von kreativen Anwälten prompt juristisch in Zweifel gezogen werden. Erinnern wir uns: Spätestens seit Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gibt es für die Medizin mehr Bewerbungen als Studienplätze, und zwar ohne jede Unterbrechung Jahr für Jahr.

Im Wintersemester 1974/75 lag die Relation Bewerber pro Studienplatz bei 5,4, im Wintersemester 2018/19 liegt sie bei 4,7. An dieser Situation wird sich durch die neuen Vergabekriterien nichts ändern. Es erhalten nicht mehr, sondern andere Bewerber die begehrten Plätze. Viele bisherige Wartezeitbewerber – von denen ja einige die Klagen gegen das alte Verfahren bis hin zum Bundesverfassungsgericht auf sich genommen hatten – werden künftig nicht mehr zum Zuge kommen.

Es ist sehr zu hoffen, dass das neue Vergabeverfahren die Bewerberinnen und Bewerber mit der größten Aussicht auf eine erfolgreiche, erfüllende und segensreiche ärztliche Tätigkeit mit einem Studienplatz belohnen wird.