Psychische Belastungen
Studierende in der Krise
Um die psychischen Risiken der Studienzeit zu identifizieren, ist zunächst einmal eine entwicklungspsychologische Perspektive hilfreich: Studierende befinden sich in der krisenanfälligen biographischen Übergangsphase zwischen Jugendalter und endgültigem Erwachsenenstatus, in der Orientierungssuche und Identitätsbildung zentrale Themen sind.
Die Studierenden sind in dieser Zeit mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, wie zum Beispiel der Ablösung von der Familie, dem Aufbau eines eigenen sozialen Netzes, der Auseinandersetzung mit den Spielregeln und Leistungsanforderungen der Institution Hochschule, dem Erlernen umfassender Selbstorganisation und dem Übergang ins Berufsleben. Wie immer, wenn sich entscheidende Parameter im Leben verändern und Anpassungen an grundlegend neue Lebenssituationen erforderlich sind, setzt dies die Psyche einem Stress aus, der nicht in jedem Fall ohne Komplikationen bewältigt wird.
Studien zur psychischen Gesundheit von Studierenden
Es gibt kein repräsentatives Monitoring, das umfassend Auskunft über den Stand der psychischen Gesundheit der Studierendenpopulation geben würde. Dennoch liegt eine Reihe von durchaus aussagekräftigen Untersuchungen und Erhebungen vor: in einer WHO-Studie bei College-Studierenden lag die Quote von Studierenden, die an einer psychischen Störung erkrankt waren, bei 20,3 Prozent.
Damit korrespondieren aktuelle deutsche Zahlen des Arztreports 2018 der Barmer Krankenversicherung, wonach 17 Prozent der Studierenden von einer psychischen Diagnose betroffen sind. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung gelten Studierende als relativ gesunde Gruppe, gleichwohl sind auch sie von den Trends betroffen, die in den Reports der Krankenkassen schon seit längerem als überaus alarmierend bewertet werden: bei den 18- bis 25-jährigen jungen Menschen gibt es in den letzten zehn Jahren erhebliche Steigerungsraten bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Panikattacken.
Betrachtet man die Gruppe der Studierenden, die ihr Studium nur unter erheblichen Beeinträchtigungen betreiben können (dies betrifft elf Prozent der Gesamtpopulation), so nimmt auch hier der Anteil derjenigen zu, deren Handicap in einer psychischen Erkrankung begründet ist. Er liegt in einer aktuellen Studie des Deutschen Studentenwerks bei 53 Prozent.
Studium erhöht Verschreibungszahlen von Antidepressiva
Es gibt einige Hinweise darauf, dass ein Studium nicht unbedingt eine gesundheitsförderliche Veranstaltung ist. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist im Gegensatz zu Studienanfängern bei älteren Studierenden deutlich erhöht (Barmer 2018) und die Verschreibung von Antidepressiva und anderen Psychopharmaka ist bei Studierenden deutlich höher als bei Nicht-Studierenden, wie aus dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse 2015 hervorgeht. Erkennbar ist die psychische Belastung auch an den Zahlen der Psychologischen Beratungsdienste an den Universitäten, die trotz eines Ausbaus der Kapazitäten in den letzten zehn Jahren die Nachfrage kaum bewältigen können.
"Studierende erleben momentan ihr Studium häufig als reine Abfolge von Prüfungen und verspüren stetigen Druck." Wilfried Schumann
Schaut man sich an, was Studierenden derzeit Probleme bereitet, so ist das Mega-Thema die Belastung durch Stress und Versagens- und Zukunftsängste. In den psychologischen Beratungsstellen haben Erschöpfungssymptomatiken, Arbeitsstörungen und Prüfungsängste einen wachsenden Anteil bei den Beratungsthemen.
Zu dieser Entwicklung entscheidend beigetragen hat die stärkere Akzentuierung des Leistungsaspekts, der mit der Umstellung auf das Bachelor/Master-System an den Hochschulen Einzug gehalten hat. Studierende erleben momentan ihr Studium häufig als reine Abfolge von Prüfungen und verspüren stetigen Druck, ausreichend Kreditpunkte zu sammeln und schnell zum Studienabschluss zu gelangen.
Allerdings kann man hier den schwarzen Peter nicht alleine den Hochschulen zuschieben, denn das Ganze spielt sich natürlich in einem gesellschaftlichen Umfeld von Arbeitsverdichtung und Tempoverschärfung ab. Zudem bringen viele Studierende extrem hohe und letztlich unerfüllbare Erwartungen an sich selbst mit in das Studium ein, durch die sie starken inneren Druck aufbauen.
Vielfältige Kursangebote und Coachings nötig
Zunächst einmal ist auf institutioneller Ebene die kritische Frage zu stellen: Wünschen wir uns angesichts der komplexen Problemlagen unserer Welt wirklich zukünftige gesellschaftliche Entscheidungsträger, die an der Hochschule hauptsächlich gelernt haben, wie man gut und schnell durch das Prüfungssystem kommt?
Insbesondere für Gruppen, die aufgrund ihrer Lebenssituation nicht dem Ideal des Vollzeitstudierenden entsprechen, wäre es wichtig, Druck aus dem System zu nehmen. Ebenso gesundheitsförderlich wäre ein Signal der Hochschulen, dass die Regelstudienzeit (weniger als die Hälfte der Studierenden kommt innerhalb dieser Zeit zum Abschluss) keine Verpflichtung, sondern eine Kann-Option ist, und dass eine individuelle Gestaltung des Studientempos absolut akzeptiert ist.
Auf der individuellen Ebene sollte mit psychoedukativen Maßnahmen darauf hingewirkt werden, dass möglichst viele Studierende Krisen, die aus falscher Gestaltung ihre Studiums und ihres Arbeitsalltags erwachsen, vermeiden können. Eine Institution, die den ihr anvertrauten Studierenden in erheblichem Umfang Leistung abverlangt, sollte sich auch in der Fürsorgepflicht sehen, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, wie das Ganze psychisch gesund bewältigt werden kann.
Für die psychologischen Beratungsdienste ergibt sich die Perspektive, dass sie sich gerne in weit größerem Umfang in präventiver Arbeit engagieren würden. Vorbild könnten hierbei die an den US-Hochschulen etablierten und personell bestens ausgestatteten Mental-Health-Center sein.
Vielfältige Kursangebote und Coachings, zum Beispiel zu Techniken der Arbeitsorganisation, zur Selbstorganisation oder zum Stressmanagement, könnten dazu verhelfen, das Wissen breit zu streuen, wie ein Studium gut gestaltet werden kann. Dies bedarf deutlich gesteigerter finanzieller Mittel, die jedoch hervorragend investiert sind. Denn wer schon im Studium gelernt hat, auf gute Weise mit psychischen Belastungen umzugehen, wird davon im späteren persönlichen und beruflichen Kontext erheblich profitieren. Dies kann nur im Interesse von uns allen sein.
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