Hochschulleitung
Was Führungs-Kompetenz an Hochschulen auszeichnet
Forschung & Lehre: Frau Professorin Peus, Sie forschen nicht nur zur Führung, Sie führen auch. Passt die Theorie zur Praxis?
Claudia Peus: Die Theorien zu Führung geben einen guten Orientierungsrahmen für die Praxis. Oder wie es der Pionier der Organisationsforschung Kurt Lewin formulierte: "Nichts ist praktischer als eine gute Theorie. Aber umgekehrt stellt die Praxis auch immer wieder die spannendsten Forschungsfragen."
F&L: Welche sind bereits beantwortet für einen möglichst reibungslosen Einstieg in eine Führungsposition an der Hochschule?
Claudia Peus: Allgemein ist ganz wichtig sich bewusst zu machen, dass die meisten Strukturen gewachsen sind und sich schon viele Leute vor einem Gedanken gemacht haben, wie sie eine Hochschule weiter verbessern können. Man sollte Schritt für Schritt vorangehen, statt den schnellen Erfolg zu suchen.
F&L: Was wäre ein sinnvoller Anfang?
Claudia Peus: Zunächst sollten sich Führungskräfte fragen, wo die Universität steht, und das mit der Zielvorstellung abgleichen, die sie entwickeln oder weiterverfolgen wollen. Die Aufgabe besteht im Anschluss darin, alle Beteiligten mitzunehmen. Dabei muss die Hochschulleitung sehr vielfältigen Stakeholdern gerecht werden – von Studierenden über nicht-wissenschaftlich Beschäftigte und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zu Professorinnen und Professoren, die wiederum aus ganz verschiedenen Fachdisziplinen kommen – und nicht zuletzt auch der Gesellschaft insgesamt und der Politik, denn wir arbeiten ja nicht im leeren Raum.
F&L: Worauf kommt es an, um möglichst breite Unterstützung zu erhalten?
Claudia Peus: Grundsätzlich gelten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Individualisten. Sie folgen nicht der Gruppe, sondern legen Wert auf ihre Autonomie. In Deutschland ist das vielleicht noch einmal stärker als in anderen Ländern, weil die Freiheit von Forschung und Lehre im Grundgesetz verankert ist. Das muss man sich bewusst machen. Als Führungskraft sollte man sich Multiplikatoren suchen und diese binden. Sie brauchen Personen, die Ihnen helfen, andere Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen. Schließlich sind Sie in der Leitung immer in der Minderheit. Das können Kontakte ins Dekanat sein, aber auch zu Studierenden, ebenso wie zu Journalisten und zur Politik. Wer genau das ist, müssen Sie natürlich erst einmal herausfinden.
F&L: Wie gelingt das am besten?
Claudia Peus: Auch hier geht nichts an ausführlichen und vielen Gesprächen vorbei. Sie müssen identifizieren, wen Sie für eine Idee gewinnen können und wer das Standing hat, dafür um Unterstützung zu werben. Das muss nicht zwangsläufig jemand sein, der oder die besonders hoch auf der Karriereleiter steht. Wichtig ist, dass die Person respektiert wird – sie kann zum Beispiel in einer Fachcommunity einen guten Ruf haben und dort helfen zu überzeugen. Parallel sollte man sich möglichst früh Kritik anhören. Ich empfehle "Task Forces" mit verschiedenen Stakeholdern einzurichten.
F&L: Manchmal bleibt eine Entscheidung trotz allem unbeliebt. Was dann?
Claudia Peus: Die wahrgenommene Fairness eines Prozesses ist entscheidend. In der Theorie werden dabei drei Arten unterschieden: prozedurale, interpersonale und informationale Fairness. Eine distributive Unfairness, also ein (wahrgenommener) Mangel an Verteilungsgerechtigkeit, kann dadurch aufgefangen werden. Je partizipativer ein Prozess ist, desto eher sind Beschäftigte bereit, am Ende eine Entscheidung mit umzusetzen – anders, wenn sie den Eindruck haben, etwas wurde im geheimen Kämmerchen ausgedacht und umgesetzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind stark intrinsisch motiviert. Sie arbeiten, weil sie Freude am Erkenntnisgewinn haben. Für sie geht es um Verwirklichung, um Anerkennung. Entsprechend wollen Beschäftigte mitsprechen. Das bedeutet nicht, dass Meinungen 1:1 übernommen werden müssen.
F&L: Einzelne dürften das Gefühl haben, immer zu kurz zu kommen. Ist die von Ihnen beschriebene Fairness nicht eher das Ideal als die Regel?
Claudia Peus: Es lohnt sich, langfristig auf ein faires Miteinander zu achten. Das sichert die Zufriedenheit und das Engagement der Hochschulmitglieder. Natürlich kann nicht zu jeder Zeit Fairness hergestellt werden. Als Führungskraft muss man auch aushalten können, dass es Interessenskonflikte gibt und nicht immer alle glücklich sind.
"Viele der Personen, die an Universitäten Verantwortung für andere Menschen haben, sehen sich weiterhin nicht als Führungskraft und erhalten keine Unterstützung in der Ausübung dieser Rolle."
F&L: Unterscheiden sich die Erwartungen an Führungskräfte zwischen den verschiedenen Fächergruppen?
Claudia Peus: Führungskräfte müssen sich in typische Denkweisen hineinversetzen. Techniker und Naturwissenschaftler sind gewohnt, mit Modellen zu arbeiten. Auch bei Entscheidungen ist es für sie wichtig, dass diese mit Daten, Fakten, Evidenz unterfüttert sind. Bei Sozial- und Geisteswissenschaftlern ist das anders. Auch sie legen Wert auf eine fundierte Erklärung. Hier sind jedoch viel früher im Prozess ein Dialog und Überzeugungsarbeit wichtig. Dabei kann es auch um ganz grundsätzliche Fragen gehen zur Bedeutung von Führung oder der Rollenverteilung an der Universität. Abgesehen von den Fächerkulturen müssen sich Führungskräfte aber auch auf die Historie einer Hochschule und deren Rolle in der Gesellschaft einstellen. Weiter ist die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend. In einer Krisensituation müssen Sie anders führen als in einer Wachstumssituation. Sie müssen schnell handeln, was zuweilen direktiveres Verhalten und weniger Involvement verschiedener Stakeholder erfordert.
F&L: In einer besonderen Rolle sind Dekaninnen und Dekane. Sie übernehmen die Führung einer Fakultät, haben aber kaum Durchsetzungskompetenzen. Worauf kommt es für sie an?
Claudia Peus: Bei Dekaninnen und Dekanen ist die sogenannte "Soft Power” ganz entscheidend. Da die Dekane im deutschen System nicht Dienstvorgesetzte der Professorinnen und Professoren sind, aber trotzdem ihre Fakultäten im Hinblick auf bestimmte Ziele voranbringen wollen, sind sie besonders gefordert mit Argumenten zu überzeugen, individuell auf die Kolleginnen und Kollegen einzugehen, Wertschätzung zu zeigen, eine Botschaft je nach Person unterschiedlich zu kommunizieren und starke Multiplikatoren zu finden. Nach außen sind sie Sprecherinnen und Sprecher einer Fakultät sowie Verbindungspersonen zu Wirtschaft und Gesellschaft.
F&L: Wie gut werden Führungspersonen an den Hochschulen auf ihre Aufgaben vorbereitet?
Claudia Peus: Ich habe 2007 angefangen, ein systematisches Programm zur Förderung von Führungs- und Managementkompetenzen von Professorinnen und Professoren mit ins Leben zu rufen. Damals gab es im deutschsprachigen Raum so gut wie nichts dazu. Das hat sich seitdem glücklicherweise etwas geändert. Das Bewusstsein für die Schulung in Führungskompetenzen nimmt zu und einzelne Hochschulen haben bereits sehr gute Programme, aber das ist noch nicht flächendeckend der Fall. An manchen Hochschulen ist weiterhin bereits der Begriff oder die Frage, ob ein Professor oder eine Professorin eine Führungskraft ist, umstritten. Viele der Personen, die an Universitäten Verantwortung für andere Menschen haben, sehen sich weiterhin nicht als Führungskraft und erhalten keine Unterstützung in der Ausübung dieser Rolle. Das halte ich für verantwortungslos. Eine Organisation hat die Pflicht, auch die Fürsorgepflicht, den Menschen, die in eine Führungsposition kommen, Hilfestellungen zu geben, um den damit verbundenen, komplexen Aufgaben gut nachkommen zu können – auch gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
F&L: Bei wem sehen Sie die Verantwortung, um das zu ändern?
Claudia Peus: In erster Linie sind die Hochschulleitungen gefragt, entsprechende Schulungen anzubieten, die Professorinnen und Professoren – die später vielleicht noch höhere Führungspositionen an einer Hochschule übernehmen –, dann natürlich auch wahrnehmen und es vor allem als eine Chance für sich sehen müssen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Instituts sind gefordert, Führungskompetenzen von ihren Vorgesetzten einzufordern.
F&L: Viele Mitarbeiter sind befristet beschäftigt, Promovierende stehen zudem in einem starken Abhängigkeitsverhältnis. Sprechen Sie mit ihnen nicht die Falschen an?
Claudia Peus: Gute Führung kann nur im konstruktiven Zusammenspiel von Führungskräften und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelingen. Gerade dort, wo Führungskräfte nicht systematisch auf ihre Rolle vorbereitet wurden – so wie an Universitäten – können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch "upward leadership" viel zu einer gelungenen Zusammenarbeit beitragen. Entsprechend ist es sinnvoll, auch für sie Weiterbildungmöglichkeiten anzubieten.
F&L: Wie erhalten Führungskräfte selbst ehrliches Feedback, um sich weiterentwickeln zu können?
Claudia Peus: Je höher in der Karriereleiter, desto schwieriger wird es tendenziell, direktes Feedback zu erhalten. Als Führungskraft unterschätzt man das. Auch ich denke häufig: "Ich habe ja gefragt und keiner hat etwas gesagt, dann wird wohl alles in Ordnung sein". Oft trauen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber auch einfach nicht, etwas zu sagen. Führungspersonen sollten sich daher immer wieder aktiv Feedback einholen von wichtigen Meinungsführern und Vertrauenspersonen in unterschiedlichen Runden.