Dr. Till Naumann
privat

Wechsel von Wissenschaft zu Selbstständigkeit
"Das Unternehmertum kommt an der Universität zu kurz"

Der ein oder andere trägt während der Zeit an der Uni eine Geschäftsidee mit sich herum. Aber wie geht man so etwas an? Ein Gründer be­richtet.

Von Katrin Schmermund 08.11.2018

Forschung & Lehre: Herr Naumann, Sie haben sechs Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität (TU ) Berlin gearbeitet und sich dann 2012 für die Selbstständigkeit entschieden – wie kam es dazu?

Till Naumann: Wir haben damals in Kooperation mit einem Berliner Unternehmen an einem Projekt zur Entwicklung kostengünstiger kleiner Windkraftanlagen gearbeitet. Die positiven Ergebnisse haben uns motiviert, mehr daraus zu machen. Als Ingenieur ist eine Unternehmensgründung sicherlich nicht ganz einfach, aber es war ein erfolgsversprechender Zeitpunkt und ich wollte etwas Sinnvolles für die Zukunft zu tun. Meinen Mitgründer habe ich während der Projektarbeit kennengelernt. Die Idee lag dann aber noch etwas, weil ich meine Promotion abschließen wollte. In deren Schlussphase sind wir dann in die Unternehmensgründung eingestiegen.

F&L: Mit Ihrem Unternehmenspartner Andreas Amberger leiten Sie die "Mowea GmbH" zur Herstellung von modularen Windkraftanlagen. Wie sind Sie Ihre Geschäftsidee angegangen?

Till Naumann: Wir waren auf das EXIST-Gründerstipendium aufmerksam geworden und haben uns am "Centre for Entrepreneurship" an der TU Berlin Unterstützung für die Bewerbung geholt. Das war wirklich sehr hilfreich und ist es heute noch. Wenn man sich gut versteht, kann man lange von dem Know-how und den Netzwerken dieser Einrichtungen an den Universitäten profitieren. Anfangs hatten wir auch noch ein Büro an der TU. Dort standen wir im engen Austausch mit einem Professor, einem Mentor, der uns während des EXIST-Programms betreut hat. Mittlerweile haben wir ein eigenes Büro in der Stadt.

F&L: Die Bewerbung war erfolgreich und Sie konnten starten – mit 20.000 Euro und drei vollen Stellen in der Tasche. Welchen Herausforderungen standen Sie in der anschließenden Aufbauphase Ihres Unternehmens gegenüber?

Till Naumann: Die ersten Hürden waren eine technologische Reife zu erlangen und die Finanzierung zu sichern. Das EXIST-Gründerstipendium ist sehr hilfreich, um für ein Jahr durchfinanziert zu sein. Es verleitet aber dazu, sich auf diesem Jahr auszuruhen. Man fängt nicht sofort an, sich nur um das Geldverdienen zu kümmern, sondern entwickelt noch etwas in Ruhe vor sich hin und plötzlich ist das Jahr vorbei und man muss seine Miete verdienen und seine Angestellten bezahlen. Die unmittelbare Anschlussfinanzierung gelingt nicht vielen – das gilt auch für uns.

"Wir haben einen guten Zugang zur Universität und können dort immer mal wieder auf Akquise gehen."

F&L: Wie haben Sie weitergemacht?

Till Naumann: Wir mussten sicherlich vier Monate ohne Geld auskommen bis wir einen ersten "Business Angel" hatten, der uns über einen kürzeren Zeitraum finanziert hat. Dann haben wir unsere "Seed-Finanzierung" über eine Crowdfunding-Aktion durchgeführt und innerhalb von gut 50 Tagen über eine halbe Million Euro reinbekommen. Das war wirklich genial. Wir treffen einen guten Zeitgeist und passen mit unserer Technologie gut in die größeren Probleme unserer Welt. Aber damit sind wir auch nicht lange finanziert, vielleicht wieder ein Jahr. Bis dahin haben wir Geld in der Kasse, Pilotprojekte aufzubauen und zu testen. Mit diesen Ergebnissen wird es dann leichter fallen, eine Finanzierung an den Start zu bringen.

F&L: War Ihre ursprüngliche Geschäftsidee umsetzbar oder mussten sie noch einmal umschwenken?

Till Naumann: Oh ja. Sowohl auf technologischer Ebene als auch mit Blick auf die Märkte, auf denen wir unsere Technologie platzieren wollten, haben wir Haken geschlagen. Wir haben mit einer ganz kleinen Turbine angefangen, die für kleine Solarpanel dienen sollte, die millionenfach in Ländern zur Erstelektrifizierung genutzt werden. Schnell haben wir gemerkt, dass diese größtenteils Entwicklungsländer Asiens und Afrikas doch sehr weit weg sind für ein Unternehmen, das in Berlin sitzt und aus drei Leuten besteht. Zur Halbzeit des EXIST-Stipendiums haben wir beschlossen, dass wir Märkte brauchen, die vor der Haustür liegen und schauen müssen, wie die Technologie hier ankommt, bevor wir die Internationalisierung angehen. So eine Flexibilität kann man in einer frühen Phase noch an den Tag legen. Dann muss man sagen, man hat etwas gefunden und es dann auch durchziehen.

F&L: Wie haben Sie den Übergang von der Wissenschaft in die Selbstständigkeit empfunden?

Till Naumann: Als sehr herausfordernd, aber auch motivierend. Mir macht Ingenieurstätigkeit sehr viel Spaß, aber ich habe schon immer von einem Unternehmen geträumt  und wusste, dass dann mehr auf mich zukommt – wobei man auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter, als Mentor und Dozent, schon erste Führungskompetenzen sammeln kann. Man validiert Ergebnisse, sagt  was zu tun ist...

F&L: Haben Sie sich weitere Kenntnisse angeeignet, etwa betriebswirtschaftliche oder rechtliche?

Till Naumann: Man sollte sich sicherlich parallel  fortbilden. Da kommt man als Geschäftsführer auch nicht drum herum. Ich habe dafür ergänzende Kurse an der TU belegt. Aber es ist vor allem wichtig, dass man sich diese Kompetenzen ins Team holt – schon für die Bewerbung um eine Förderung.

F&L: Wie sind Sie in Ihrem Unternehmen aufgestellt?

Till Naumann: Wir haben aktuell zwei Festanstellungen, Andreas und mich, einen Minijob als Teamassistentin, drei studentische Hilfskräfte, die halbtags arbeiten, und immer zwei bis drei Praktikanten. Bald haben wir auch wieder eine Person für das Business Development. Es ist uns bislang sehr schwer gefallen, jemanden zu finden, der seine theoretischen Kenntnisse gut umsetzen kann und Erfahrungen in der Unternehmensgründung besitzt. So jemand nimmt in der Aufbauphase nicht alle Fettnäpfchen mit.

F&L: Können Sie mit solchen Anstellungsverhältnissen ein Unternehmen mit Perspektive aufbauen?

Till Naumann: Das ist alleine unseren Möglichkeiten geschuldet. Schon jetzt machen Personalkosten 70 Prozent unserer Ausgaben aus. Daher mussten wir sehr gut hinschauen, wann wir uns welche Person leisten können, um alle benötigten Kompetenzen abzudecken. Wir haben einen guten Zugang zur Universität und können dort immer mal wieder auf Akquise gehen. Preiswerte Mitarbeiter – engagierte Studierende – die fasziniert von unserer Idee sind und etwas für die Umwelt tun wollen, sind für uns ein Segen. Das versuchen wir auf andere Weise auszugleichen – mit einem guten Betriebsklima und Perspektiven. Wir gehen meist erst über ein Praktikum, bieten dann eine Stelle als studentische Hilfskraft an und betreuen Masterarbeiten. Im besten Fall folgt im Anschluss die Übernahme.

"Wenn man selber Kompetenzträger ist, hat man einen so großen Entwicklungsvorsprung, dass jeder sagt, "ich gebe dir Geld", anstatt es selbst zu machen."

F&L: Was macht denn für Sie ein gutes Betriebsklima aus?

Till Naumann: Ich lege darauf Wert, dass es Spaß macht, anders geht es nicht – und zwar allen. Klar muss man auch mal aus seiner Komfortzone rauskommen und etwas machen, das einem keinen Spaß macht, aber es ist wichtig, allen das Gefühl zu geben, dass sie einen Teil der Verantwortung von etwas tragen, das groß werden kann und dass sie viele Informationen bekommen, die woanders nur in der Chefetage kursieren würden. So entsteht ein starkes Team, in dem alle an einem Strang ziehen.

F&L: Das Unternehmen basiert auf Ihrer Idee – können die anderen Ihren Vorstellungen da überhaupt gerecht werden?

Till Naumann: Es muss immer jemanden geben, der die Richtung angibt. Die Entscheidungen werden zusammen gefunden, aber einer muss sie dann festlegen und durchziehen. Dabei muss man sich – etwa in einem Zweier-Gründerteam wie unserem – wohlfühlen.

F&L: Wie hätte Sie die Universität rückblickend besser auf Ihre Selbstständigkeit vorbereiten können?

Till Naumann: Ich finde, dass das Unternehmertum komplett zu kurz kommt. Es wird einem neben der Theorie gar nicht erzählt, was es heißt, Geschäfte zu machen: das Zwischenmenschliche, das Vertrauen, auf Grundlage dessen Geschäfte zustande kommen. Insgesamt glaube ich, dass Deutschland eine gute Förderpolitik hat, wenn man sie zu nutzen weiß. Man muss sich zeigen, ein Netzwerk besitzen. Gerade in Berlin sind wir mit Veranstaltungen gut bestückt und nach einiger Zeit weiß man auch, welche einem etwas bringen. Man muss "pitchen", also die eigene Gründungsidee ansprechend auf den Punkt bringen und Feedback sehr ernst nehmen. Natürlich kann man sich auch totpitchen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt muss man sich entscheiden: Führt die Geschäftsidee zum Erfolg oder nicht.

F&L: Worauf muss man achten, um nicht zu viel von Ihrer Gründungsidee preiszugeben?

Till Naumann: Ich rate jedem ab, seine Idee nicht laut auszusprechen. Das ist der erste Fehler, den man machen kann. Wenn man selber Kompetenzträger ist, hat man einen so großen Entwicklungsvorsprung, dass jeder sagt, "ich gebe dir Geld", anstatt es selbst zu machen. Es gibt natürlich auch Geheimhaltungsvereinbarungen. Aber letztlich ist es wie bei einem Patent: Das ist auch immer nur so gut, wie man es vertreten kann und wenn man kein Geld hat, jemanden anzuklagen, bringt einem auch das Patent nichts. Habe ich als Wissenschaftler an einem Forschungsprojekt zwei drei Jahre mitgeforscht und es hat das Potenzial, zum Beispiel eine Technologie bis zum Ende zu entwickeln, gilt es, selbstbewusst aufzutreten und zu sagen: Gebt mir Geld dafür. Mit allem anderen legt man sich selbst Steine in den Weg.