Ombudspraxis
Wenn es zum Streit zwischen Forschern kommt
Im Jahr 2019 haben das von der DFG eingesetzte Gremium "Ombudsman für die Wissenschaft" über 150 Anfragen erreicht. In etwa einem Drittel der Fälle berieten das Ombudsgremium und dessen Geschäftsstelle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei Problemen im Zusammenhang mit Autorschaften und der Nutzung von Forschungsdaten. Wie die Zahl der Anfragen über mehrere Jahre hinweg zeigt, ist der Beratungsbedarf zu diesen Themenfeldern konstant hoch.
Wenngleich ganz unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen betroffen sind, geht es oft um die gleichen Fragen: Wer darf welche Daten auswerten, und wer darf sie publizieren beziehungsweise sollte auf der (Erst-)Veröffentlichung als Autorin oder Autor genannt werden? Wenn Hinweisgebende sich an das Gremium "Ombudsman für die Wissenschaft" oder an eine lokale Ombudsperson wenden, erwarten sie häufig, dass Ombudspersonen entscheiden, wer Autorin und Autor ist und wer an welcher Stelle in der Autorenreihung stehen soll. Konflikte entstehen zum Beispiel, wenn Personen zur Autorenliste hinzugefügt oder sogar gestrichen werden, ohne dass dies mit allen Beteiligten abgestimmt wird. Hinweisgebende teilen uns häufiger mit, sie seien trotz wesentlicher Beiträge nicht in der Autorenliste aufgeführt oder ohne ihr Wissen an eine hintere Stelle gerückt worden.
Auch besteht Beratungsbedarf dahingehend, wie die Leitlinie 14 ("Autorschaft") des neuen DFG-Kodex "Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" (2019) konkret zu deuten ist. Dort heißt es: "Autorin oder Autor ist, wer einen genuinen, nachvollziehbaren Beitrag zu dem Inhalt einer wissenschaftlichen Text-, Daten- oder Softwarepublikation geleistet hat." Die Leitlinie enthält eine Auflistung von Beiträgen, die eine Autorschaft begründen können. Die Nutzung von Forschungsdaten wird in Leitlinie 10 des DFG-Kodex thematisiert. Neben dem Hinweis auf die Wichtigkeit dokumentierter Vereinbarungen wird betont, dass die Datennutzung insbesondere den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusteht, die die Daten erheben.
"Frühzeitig getroffene Vereinbarungen helfen, während eines Forschungsprojekts eintretende Konflikte konstruktiv zu lösen."
Die "Ombudspraxis" zeigt: Frühzeitig getroffene (schriftliche) Vereinbarungen über den Zugang zu Forschungsdaten helfen, während eines Forschungsprojekts eintretende Konflikte konstruktiv zu lösen. Wenn Rechtsgründe dafür angeführt werden, dass Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftler zum Beispiel nach einem Wechsel der Forschungseinrichtung der Zugang zu oder die Nutzung von Daten untersagt wird, muss im Einzelfall geprüft werden, ob wirklich Sachgründe oder vielleicht doch eher eine Konkurrenzsituation oder persönliche Konflikte vorliegen. Kommen Ombudspersonen zu der Einschätzung, dass Hinweisgebenden aus Gründen der Fairness die Nutzung (gegebenenfalls auch die Erstpublikation) bestimmter Forschungsdaten gestattet werden sollte, sollte dies von den Leitungsverantwortlichen der betroffenen Einrichtung ernstgenommen werden – insbesondere dann, wenn Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler von der Blockade der Datennutzung betroffen sind.
Aufgaben der Ombudspersonen
Bei der Frage, wer auf einer aus einem Forschungsprojekt resultierenden Publikation als Autor oder Autorin genannt werden sollte, herrscht ein Konsens darüber, dass diese einen wesentlichen, wissenschaftserheblichen Beitrag geleistet haben sollten. Was genau aber darunter zu verstehen ist, kann sich von Fachgebiet zu Fachgebiet unterscheiden und kann auch vom jeweiligen Forschungsprojekt abhängen. Hier zeigt sich eine Schwierigkeit, mit der Ombudspersonen konfrontiert sind: Sie können in den meisten Fällen keine Bewertung der wissenschaftlichen Beiträge vornehmen, da hierfür spezifische Fachkenntnisse nötig wären.
Die Aufgabe von Ombudspersonen ist vielmehr die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. Das heißt, sie hören die Beteiligten an, holen Belege ein (zum Beispiel Manuskriptversionen, Auszüge aus Laborbüchern, E-Mails) und nehmen eine Prüfung auf Plausibilität vor. Als Autorinnen und Autoren sollten letztlich nur diejenigen aufgeführt werden, die nachweislich Verantwortung für den Inhalt des Manuskripts (oder, je nach Forschungsprojekt, auch für Teile des Manuskripts) tragen.
Für die Einschätzung und Konfliktvermittlung werden Standardwerke der guten wissenschaftlichen Praxis herangezogen. So enthält die Empfehlung 12 der DFG-Denkschrift "Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" (1998) eine "Negativliste", in der eine Reihe von Beiträgen aufgezählt werden, die für sich genommen keine Autorschaft rechtfertigen würden, etwa eine rein technische Unterstützung bei der Datenerhebung. Diese Auflistung stellt für Ombudspersonen eine gute Orientierung dar und kann auch weiterhin in der Ombudsarbeit herangezogen werden – nicht zuletzt, wenn eine mögliche Ehrenautorschaft im Raum steht.
Fächerkulturen
Zudem muss immer auch die jeweilige Fächerkultur in Betracht gezogen werden, denn selbst bei eng verwandten Disziplinen gibt es erstaunlich unterschiedliche Gepflogenheiten bei der Festlegung von Autorschaften und Autorschaftsreihenfolgen. Es kann zum Beispiel alphabetisch gereiht werden; häufiger werden Autorinnen und Autoren aber entsprechend der "Beitragshöhe" aufgelistet. In vielen Disziplinen gilt das "first author/last author"-Prinzip, in anderen Disziplinen wiederum bestehen Gruppenleitende darauf, grundsätzlich als Erstautoren genannt zu werden. Es handelt sich häufig um (vor-)gelebte Kulturen; nur selten existieren fachspezifische Leitfäden.
"Autorschaftspositionen sind mit einer Signalwirkung gegenüber der Fach-Community verknüpft."
In jedem Fall gilt: Autorschaftspositionen (zum Teil auch die Rolle des "corresponding author") sind mit einer Signalwirkung gegenüber der Fach-Community verknüpft. Dass diese Signalwirkung aber variiert, führt oft – gerade in interdisziplinären Projekten – zu Konflikten, da die Kooperationspartner voraussetzen, dass alle von gleichen Standards ausgehen. Das verdeutlicht, wie wichtig die frühzeitige Kommunikation von Erwartungen zwischen den Projektbeteiligten ist. Werden Vereinbarungen über Autorschaften getroffen, gelten diese natürlich unter dem Vorbehalt, dass die vereinbarten wissenschaftlichen Beiträge dann auch erbracht werden.
Leitlinie 14 des DFG-Kodex benennt Kriterien, die es erlauben, der Vielfalt der Autorschafts-Kulturen in den einzelnen Disziplinen gerecht zu werden. Der Kodex betont, dass in jedem Einzelfall das betroffene Fachgebiet berücksichtigt werden muss. Es kann daher sein, dass nicht alle in Leitlinie 14 aufgeführten Kriterien in gleicher Weise auf alle Fachgebiete zutreffen; zum Beispiel muss zwischen empirischer und nicht-empirischer Forschung unterschieden werden. In manchen Disziplinen müssen auch mehrere der Kriterien erfüllt sein, damit eine Autorschaft beansprucht werden kann (etwa entsprechend der Kriterien des International Committee of Medical Journal Editors, ICMJE, die in der Medizin weithin anerkannt sind).
Unsere Erfahrung zeigt: Je spezifischer die Kriterien für Autorschaften (und Autorschaftsreihenfolgen) in einer Disziplin definiert sind, desto besser können sich Autorinnen und Autoren daran orientieren und auch nachvollziehen, wie Ombudspersonen im Konfliktfall argumentieren, und desto besser wird ihre Einschätzung von allen Beteiligten akzeptiert.
Fallbeispiele
Detailliertere Ausführungen zum Thema und eine Sammlung anonymisierter Fallbeispiele des "Ombudsman für die Wissenschaft" finden Sie unter www.ofdw.de/aktuelles.