Ein Mann in blauem Anzug steht vor einem Mikrofon in einem Sitzungssaal.
dpa

Antisemitismus
Berliner Senat will Option zur Exmatrikulation

Laut der Senatssprecherin soll das Hochschulgesetz verschärft werden. Hochschulleitungen sollen mit Ausschluss auf Fehlverhalten reagieren können.

15.02.2024

Als Konsequenz aus einem Angriff auf einen jüdischen Studenten der Freien Universität will der Berliner Senat das Hochschulgesetz verschärfen. Die erst 2021 abgeschaffte Möglichkeit zur Exmatrikulation von Studenten soll für bestimmte Fälle wieder eingeführt werden. Das teilte Senatssprecherin Christine Richter am Dienstag nach einer Senatssitzung mit. 

Demnach diskutierten die Senatorinnen und Senatoren über die Lage, nachdem Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) Bericht erstattet hätte. Anschließend seien der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Czyborra zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Änderung des Hochschulgesetzes erforderlich sei, so Richter. Czyborra werde nun zeitnah mit den Verantwortlichen der Universitäten und Hochschulen darüber sprechen, wie genau die neuen Regelungen aussehen sollen. 

Berlin ist den Angaben zufolge das einzige Bundesland ohne Möglichkeit zur Exmatrikulation von Studenten. Rot-Rot-Grün hatte eine solche Sanktionierung 2021 abgeschafft. Das geltende Hochschulgesetz sieht höchstens ein dreimonatiges Hausverbot vor. "Berlin hat – soweit ersichtlich – als einziges Land die Exmatrikulation als Ordnungsmaßnahme explizit ausgeschlossen. Das ist ein erhebliches Defizit, weil damit selbst auf schwerwiegende Störungen, die die Sicherheit für andere Studierende auf dem Campus beeinträchtigen – zum Beispiel Straftaten oder erhebliche sexuelle Belästigungen – nicht angemessen reagiert werden kann. Eine Ermächtigung im Hochschulgesetz Berlin ist daher längst überfällig", erläutert Professor Klaus F. Gärditz von der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn gegenüber "Forschung & Lehre".

Hochschulen unter Handlungsdruck  

Der jüdische FU-Student Lahav Shapira war vor gut einer Woche mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gekommen – "Forschung & Lehre" berichtete. Ein propalästinensischer Kommilitone soll ihn auf einer Straße in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben. Die Staatsanwaltschaft geht von einem gezielten Angriff und einem antisemitischen Hintergrund aus. Der Fall wühlte die Stadt nach Bekanntwerden sehr auf und setzte auch die Leitung der FU Berlin unter Druck. Inzwischen belegte die FU den mutmaßlichen Angreifer für zunächst drei Monate mit einem Hausverbot. 

Laut DIE ZEIT befürwortet die Präsidentin der Humboldt-Universität Berlin, Julia von Blumenthal, die Möglichkeit der Exmatrikulation, sieht darin aber nicht die Lösung des eigentlichen Problems: "Bei Gewalttaten sollte die Exmatrikulation ermöglicht werden. Aber Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem, das wir durch den Ausschluss eines jungen Menschen von der Uni nicht loswerden." Walter Rosenthal, Präsident der Rektorenkonferenz, erklärt im Gespräch mit MiGAZIN: "Für die Verfolgung und Sanktionierung strafbarer Handlungen sind Polizei und Justiz zuständig. Es ist daher richtig, weitere Maßnahmen wie die zwangsweise Exmatrikulation an strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Das gebietet nicht nur der starke Grundrechtsschutz, der heute schon etwa im Falle eines Hausverbots Anhörungen und Befristungen verlangt. Es liegt auch im Wesen der Hochschulen und ihrer Autonomie, sich nicht in erster Linie als ordnungspolitisches Instrument zu verstehen. Hochschulen müssen zwar auch Grenzen ziehen können, sind in ihrem Kern aber Orte der dialogbasierten, offenen Zivilgesellschaft, und sie wollen, ja sie müssen dies auch bleiben."

Wirksame Instrumente, um Schutzverantwortung nachzukommen 

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) hatten vergangene Woche eine gemeinsame Linie angekündigt zum Schutz jüdischer Studierender. Oberstes Ziel sei es, diese vor Antisemitismus und Hass zu schützen, erklärten sie am 8.2. nach einem gemeinsamen Gespräch. "Wenn die aktuellen rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichen, müssen wir den Hochschulen zusätzliche durchgreifende Instrumente an die Hand geben, um diesen Schutz sicherzustellen", hieß es weiter. Das beinhalte auch eine mögliche Reform des geltenden Hochschulgesetzes. "Wichtig ist, dass wir den Opferschutz effektiv stärken und Maßnahmen schaffen, die tatsächlich wirken", hieß es in der Mitteilung.

"Die Hochschulen brauchen wirksame Instrumente, um der Schutzverantwortung gegenüber ihren Studierenden, aber auch gegenüber ihrem Personal angemessen nachzukommen."
Rechtsexperte Professor Klaus F. Gärditz von der Universität Bonn

Rechtsexperte Gärditz sieht das in seiner Einschätzung gegenüber "Forschung & Lehre" ähnlich: "Die Hochschulen brauchen wirksame Instrumente, um der Schutzverantwortung gegenüber ihren Studierenden, aber auch gegenüber ihrem Personal angemessen nachzukommen. Das gilt gerade für die Abwehr von erheblichen Übergriffen, die die Hochschule zu einem Angstraum machen. Dazu gehören beispielsweise sexualisierte Gewalt, beharrliche Belästigung, Körperverletzungen, Volksverhetzung, Stalking. Zwar hindert die Exmatrikulation als solche niemanden, einen offenen Campus weiterhin zu betreten. Wer aber noch immatrikuliert ist, hat weitere Teilnahme- und Nutzungsrechte, wodurch er andere Studierende verunsichern oder verängstigen kann. Der Verweis auf die Strafverfolgung ist unzureichend. Dieser wird der Verantwortung der Hochschulen nicht gerecht".

Dieser Artikel wurde am 15.2. um 11:05 Uhr zuletzt aktualisiert. Erstmals erschienen ist er am 14.2. 

dpa/cva