DHV-Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. Lambert T. Koch
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Hochschulentwicklung
DHV positioniert sich zu Herausforderungen für Wissenschaft

Der Deutsche Hochschulverband hat Stellung zu Künstlicher Intelligenz, Bürokratieabbau und der Organisation von Wissenschaft bezogen.

28.03.2024

Angesichts der rasanten Entwicklung in Sachen Künstlicher Intelligenz und KI-Werkzeugen wie ChatGPT fordert der Deutsche Hochschulverband (DHV) eine fortlaufende Überprüfung und Bewertung von Chancen und Risiken, die von diesen neuen Tools ausgehen.

Ihre alltägliche Einbindung in Studium und Lehre ist bereits Realität, und sie können durchaus nützliche Helfer sein. DHV-Präsident Professor Dr. Dr. h.c. Lambert T. Koch erklärte anlässlich des 74. DHV-Tags in Berlin: "Chatbots können als Tutor und Lernbegleiter dienen, die Studierenden den Wissenserwerb und die Wissensvertiefung erleichtern. Sie können eine Inspirationsquelle sein und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei vielfältigen zeitraubenden Routinetätigkeiten entlasten." So entstünden im Idealfall wieder größere Freiräume für Forschung und Lehre.

Herausforderungen annehmen, Chancen nutzen, Risiken minimieren

Neben den offensichtlichen Vorteilen berge die neue Technologie aber ebenso viele Risiken: "Zunächst plausibel wirkende Texterzeugnisse können mitunter aber auch haarsträubende Fehler und Falschaussagen enthalten, Quellen erfinden sowie diskriminierenden oder stereotypen Vorurteilen, die aus den Trainingsdaten stammen, Vorschub leisten." KI-generierte Inhalte könnten auch Plagiate oder sensible Daten aus dem Trainingskorpus bergen, "so dass unwissentlich Urheberrechtsverletzungen oder Datenschutzverstöße drohen."

KI-Software erhöhe auch die Betrugsmöglichkeiten in Studium und Wissenschaft. Daher sei es notwendig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den Anwendungsmöglichkeiten vertraut und für Missbrauchsrisiken sensibilisiert würden. Hochschulen und Fachgesellschaften stünden in der Pflicht, fortlaufend zu aktualisierende Qualifizierungsangebote für Lehrende anzubieten. Studierende müssten zum reflektierten und kompetenten Umgang mit KI nicht nur für eine wissenschaftliche Karriere, sondern auch für den außerhochschulischen Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Der DHV fordert eine Kennzeichnungspflicht dort, wo KI-Werkzeuge als Hilfsmittel genutzt werden, die bei Missachtung oder Verstoß Sanktionsmöglichkeiten eröffnet. 

Gute Lehre und ein vor enormen Herausforderungen stehendes Prüfungswesen setzten gute Betreuungsrelationen voraus. Diese seien mit einem fächerübergreifenden Durchschnitt von 61 Studierenden pro Professorin und Professor an deutschen Universitäten und Hochschulen nach wie vor nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund erneuerte Koch insbesondere an die Länder die Forderung, durch ausreichende Budgetierung bessere Betreuungsrelationen zu gewährleisten, damit Risiken minimiert und die Chancen von KI in Studium und Lehre gewinnbringend genutzt werden können. 

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Weniger Bürokratie und mehr Entscheidungsspielräume

Ferner forderte Koch den Abbau von Bürokratie, gerade auch in der Wissenschaft. Nach wie vor gebe es in Deutschland einen "Dschungel an undurchsichtigen und widersprüchlichen Regeln, die viel Zeit, Geld und Personal" kosteten. An den Hochschulen finden sich laut Koch Übernormierungen, umständliche Amtswege und langwierige Genehmigungsverfahren, "sei es im Drittmittel-, Personal- und Beschaffungswesen, sei es im Bau-, Vergabe- oder verstärkt auch im Arbeitsrecht", so der DHV-Präsident

Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission für Forschung und Innovation habe zurecht in ihrem aktuellen Jahresgutachten darauf hingewiesen, dass viele internationale Talente sich gegen den Forschungsstandort Deutschland entschieden – nicht zuletzt aufgrund ineffizienter und aufwendiger Verwaltungsprozesse bei der Zuwanderung.

"Universitäten benötigen kurze Entscheidungswege und persönliche Verantwortungsübernahme." DHV-Präsident Professor Dr. Dr. h.c. Lambert T. Koch

Der DHV fordert daher ein Weniger an Normierung und ein Mehr an Entscheidungsspielräumen: "Universitäten benötigen kurze Entscheidungswege und persönliche Verantwortungsübernahme. Sie bedürfen aber vor allem auch des Mutes der Politik, hochqualifizierten und hochmotivierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Vertrauen zu schenken und sich im Wesentlichen auf die Rechtsaufsicht zu beschränken – gerade in so herausfordernden Zeiten wie aktuell, in denen weiterführende Antworten der Wissenschaft von der Gesellschaft mehr denn je erhofft werden", schloss Koch.

Pluralität als Stärke

Außerdem positionierte sich der DHV in einem Papier klar für die Offenheit wissenschaftlicher Organisationsstrukturen. Der DHV warnt davor, auf Standardisierungen zu drängen. "Es muss im Rahmen der grundgesetzlich geschützten Wissenschaftsfreiheit vornehmlich die Aufgabe der Universität selbst bleiben, über eine ihr angemessene und den Belangen von Forschung, Lehre und medizinischer Versorgung am besten dienende Organisation zu entscheiden", betonte DHV-Präsident Koch in Berlin. Organisationsstrukturen in Forschung und Lehre dürften "keinen Selbstzweck verfolgen", sondern stünden ausschließlich im Dienste bestmöglicher Forschung und Lehre und deren fortwährender Weiterentwicklung.

Die Vielfalt, die Wissenschaft bei der Themenfindung, Methodenwahl und Debattenkultur präge und dann auch in der Vernetzung, Alltagsorganisation oder bei den Karrierewegen zum Ausdruck komme, sei keine Schwäche, sondern ihre Stärke. Streng hierarchische Organisationsstrukturen seien für kreative Forschungsprozesse hinderlich. "Es bedarf mithin einer Leitungskultur, in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf allen Ebenen angemessen und umfassend in Entscheidungsfindungen eingebunden werden. Nur mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und nicht über ihre Köpfe hinweg werden unsere Universitäten im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen und ihre Stärken entfalten können", erklärte Koch.

"Ob und inwieweit weiterhin auch die Habilitation einer von mehreren Wegen hin zur Universitätsprofessur ist, wird fächerübergreifend ebenfalls nicht einheitlich zu entscheiden sein." DHV-Präsident Professor Dr. Dr. h.c. Lambert T. Koch

Wer Menschen angesichts des Fachkräftemangels für wissenschaftliche Karrieren gewinnen und begeistern wolle, müsse ihnen rechtzeitig verlässliche Perspektiven bieten. Vor allem Tenure-Track-Modelle für Stellen auf oder unterhalb einer Professur seien geeignet, diesen Anspruch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erfüllen, weil mit ihnen nach einer positiv evaluierten Bewährungsphase die Übernahme auf eine Lebenszeitstelle verbunden ist. "Ob und inwieweit weiterhin auch die Habilitation einer von mehreren Wegen hin zur Universitätsprofessur ist, wird fächerübergreifend ebenfalls nicht einheitlich zu entscheiden sein", so Koch. Die Frage, ob sich das deutsche Wissenschaftssystem verstärkt gegenüber den in anderen Wissenschaftssystemen üblichen Department-Strukturen, in denen es weniger formale Hierarchien gibt, öffnen solle, müsse ergebnisoffen diskutiert werden. Je nach Fach, Standort und Führungskultur könnten Antworten unterschiedlich ausfallen. 

pj