Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni umringt von Kindern mit Italien-Fähnchen
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Italiens Hochschul- und Bildungspolitik
Melonis Konzept eines autoritären Kapitalismus

Seit einem halben Jahr regiert in Italien die rechtspopulistische Partei Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni. Welche Folgen hat das für die Bildung?

Von Ulrich Glassmann 21.04.2023

Seit dem 22. Oktober 2022 ist Georgia Meloni, die Parteivorsitzende der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI), Ministerpräsidentin Italiens. Im Februar dieses Jahres fanden außerdem Regionalwahlen in der Lombardei und im Latium statt, bei denen die Parteien des Koalitionsbündnisses – FdI, Lega und Forza Italia – gemeinsam mit einigen kleineren Parteien des Rechts-Mitte-Bündnisses die Mehrheit errangen. Zwar ging die FdI in den beiden bevölkerungsreichen Regionen als stärkste Kraft im Parteiensystem hervor (Lombardei: 25,2 Prozent, Latium: 33,6 Prozent), gleichzeitig ließ sich aber in beiden Wahlen ein massiver Rückgang der Wahlbeteiligung verzeichnen. Dennoch, wie ist der Erfolg der FdI in einer Republik zu erklären, deren Nachkriegsordnung auf einem antifaschistischen Grundkonsens beruht? Und welche Folgen ergeben sich aus dieser Politik für Europa und die Bildungspolitik in Italien?

Parteiprogramm der Fratelli d’Italia

Zunächst lässt sich sagen, dass die Politik Melonis im Amt sehr viel weniger konfrontativ gegenüber den europäischen Institutionen und den Regierungen der Mitgliedstaaten ausgefallen ist als anfangs befürchtet. Wie schon im Wahlprogramm ausgeführt, betonte Meloni auch in ihrer Regierungserklärung, sie bekenne sich zur EU, ihre Außenpolitik sei auf die Unterstützung der NATO ausgerichtet und ihre Regierung stehe im Krieg Russlands klar an der Seite der Ukraine. Angesichts des Parteiprogramms der FdI, in dem davon die Rede ist, Italien müsse sich international neu behaupten, da es von der italienischen Linken in einen Zustand der Marginalisierung und Unterordnung in Europa hineingedrängt worden sei, sorgte dieses Bekenntnis international für etwas Beruhigung. In ihrer Rede vor dem Parlament erklärte Meloni zudem, niemals eine Nähe zu undemokratischen Regimen gepflegt zu haben und nannte hier auch ausdrücklich den Faschismus. Diese Lippenbekenntnisse sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass rechtsradikale Gesinnungen in Italien einen neuen und gefährlichen Grad der Normalisierung erreicht haben, der durch Meloni und die FdI ganz entscheidend mitgeprägt wurde.

"Lippenbekenntnisse sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass rechtsradikale Gesinnungen in Italien einen gefährlichen Grad der Normalisierung erreicht haben."

Georgia Melonis politische ­Vergangenheit ­

Das liegt zum einen an der parteipolitischen Vergangenheit Melonis, die schon als Jugendliche der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) beigetreten war und 1996 in deren Nachfolgepartei, der Alleanza Nazionale (AN), die Verantwortung für die Studierendenorganisation Azione Studentesca übernommen hatte. Über diese Organisation wird in den italienischen Medien gegenwärtig viel diskutiert, da ihre Aktivisten ihr rechtsnationales Gedankengut als gewählte Mitglieder in Vertretungsgremien von Schulen und Universitäten ungehindert verbreiten und bewusst daran arbeiten, Bildungsinstitutionen zu politisieren. 2016 wurde die Organisation neu gegründet und gilt inoffiziell als Verein mit Verbindungen zu den FdI. Als Meloni selbst an der Spitze der früheren Studierendenorganisation stand, hatte sie französischen Journalisten in einem Interview erklärt, Mussolini sei ein guter Politiker gewesen. Auch wenn sie sich heute in ihren Reden vom Faschismus distanziert, zeigt der Umstand etwa, dass sie am ehemaligen Parteilogo des neofaschistischen MSI festhält, wie sie dennoch versucht, rechtsradikale Wähler zu gewinnen. Das Logo besteht aus einer flammenden Trikolore, die aus einem stilisierten Sarg Mussolinis aufsteigt, so jedenfalls die Deutung unter den rechtsradikalen Anhängern der Partei (und deren Kritikern).
Wahlkampf

Auch der Wahlkampf war von ganz anderen Tönen durchsetzt als Melonis Regierungserklärung. Dort suchte sie die Nähe zu rechtspopulistischen Parteien wie etwa der spanischen Partei VOX, um auf deren Parteiversammlung mehr als deutlich gegen die Werte der Europäischen Union Position zu beziehen. Mit ihrer Parole von "Gott, Familie und Vaterland" unterstrich sie nicht nur ihre Unterstützung der sogenannten "natürlichen Familie", womit auch deutlich homo- und transphobe Aussagen einhergingen, sondern vertrat auch einen klar nationalistischen Kurs, vor allem gegen die von ihr gescholtene "Brüsseler Bürokratie." Im Wahlprogramm heißt es zudem, die Regierung "trete jeder Form des Antisemitismus und des islamischen Integralismus entgegen." Mit dem Verweis auf die jüdisch-christliche Prägung der italienischen Gesellschaft versucht die Regierung zugleich, ihren harten Kurs in der Einwanderungspolitik als "Verteidigung kultureller Werte" zu rechtfertigen. Tatsächlich hat die Regierung Melonis zügig nach ihrem Amtsantritt per Dekret für eine erhebliche Erschwerung der Seenotrettung im Mittelmeer gesorgt. Dieses Dekret wurde in diesem Jahr von beiden Parlamentskammern bestätigt und sorgte sogleich für die Festsetzung eines Schiffes der Organisation Ärzte ohne Grenzen.

Perspektive der Fratelli d’Italia

Die allgemeine Diagnose der FdI lautet, dass Italien eine Epoche des wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Niedergangs erlebe. Und im Hinblick auf die Wirtschaft ist diese Diagnose, trotz der leichten Erholung des Arbeitsmarkts, nicht ganz falsch. Während Italien in den ersten Jahren nach dem Beitritt zur Eurozone und bis zur Finanzkrise geringere nationale Arbeitslosenquoten aufwies als Deutschland und auch das Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes seit 1995 (indiziert für dieses Basisjahr) in Italien mit dem Wachstum in Deutschland Schritt hielt, hat sich dieses Bild seit der Finanzkrise dramatisch verändert. Seitdem leidet Italien unter einem chronischen Wachstumsproblem und hätte eigentlich ein staatliches Investitionsprogramm gebraucht, um angemessen in Forschung und Entwicklung investieren zu können, die Verwaltung zu modernisieren oder seine Schulen und Hochschulen zu sanieren, um nur einige wenige Handlungsfelder zu nennen. Die italienischen Regierungen haben sich jedoch fiskalisch äußerst diszipliniert verhalten und die Kriterien der EU für die Neuverschuldung eingehalten. Eben diese Haltung hat in Italien jedoch den euroskeptischen Geist genährt und die deutsch-italienischen Beziehungen einer neuen Belastungsprobe ausgesetzt.

Als die damalige italienische Regierung 2019 die Neuverschuldung auf 2,4 Prozent anheben wollte, um das von der 5-Sterne-Bewegung versprochene System der nationalen Grundsicherung einführen zu können (ein national reguliertes Sozialhilfesystem hatte bis dahin immer gefehlt), wurde dies von der Europäischen Kommission sofort moniert. Die EU unterband eine vom Austeritätspfad abweichende Wirtschafts- und Finanzpolitik bis die Coronakrise begann. Erst seit alle Staaten gleichermaßen von der wirtschaftlichen Misere betroffen sind, erlaubte die EU eine Aussetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Nun erhält Italien zudem 191,5 Milliarden Euro aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU, so dass  endlich ein lange erwartetes staatliches Investitionsprogramm bis zum Jahr 2026 finanziert werden kann. In der Zwischenzeit hat sich die italienische Rechte aber immer stärker formiert: Die hohen Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit, die mangelhafte infrastrukturelle Versorgung, das zunehmende Armutsrisiko im Land, das schlechte Wirtschaftswachstum, die mangelnde Unterstützung für die in hoher Zahl ankommenden Geflüchteten an den Küsten Italiens und das Gefühl der Bürger, in die internationale Bedeutungslosigkeit abzusinken, haben in Italien den Boden für die Politik der FdI bereitet.

"In der Zwischenzeit hat sich die italienische Rechte immer stärker formiert."

Dass die Wahl der gegenwärtigen Regierung in Italien hingegen weniger als ein Tabubruch wahrgenommen wird als im Ausland, liegt unter anderem daran, dass es Regierungskoalitionen in dieser Zusammensetzung schon seit 1994 gibt. Nach dem Zusammenbruch des Parteiensystems zu Anfang der 1990er hatte die sich auflösende Christdemokratische Partei ein Machtvakuum im bürgerlich-konservativen Lager hinterlassen, in das damals Silvio Berlusconi mit seiner neu gegründeten Partei Forza Italia stieß. Gemeinsam mit der Lega Nord und der Alleanza Nazionale bildete Berlusconi bereits 1994 eine Regierung. In leicht veränderter Form setzt sich auch die heutige italienische Regierung aus einem Bündnis dieser Parteien zusammen. Statt der AN regiert heute Melonis Nachfolgepartei Fratelli d’Italia. Der entscheidende Unterschied zu 1994 besteht in dem Kräfteverhältnis zwischen den Parteien, nicht in der Zusammensetzung des Bündnisses.

Bei der Wahl 2022 spielte das 2017 geänderte Wahlsystem dem strategisch geeinten Rechtsbündnis zusätzlich in die Hände. Denn seitdem gilt ein Grabenwahlsystem, in dem circa ein Drittel der Abgeordneten durch Mehrheitswahl bestimmt wird, wobei diese Mandate nicht mehr durch Proporzstimmen ausgeglichen werden können. Wer in den Mehrheitswahlkreisen siegt, dominiert auf diese Weise relativ leicht das Parlament. Die strategische Einigkeit der FdI und die Zersplitterung der linken Parteien führte so zu dem großen Erfolg der Postfaschisten im ganzen Land.

Folgen für die italienische Bildungspolitik

Was folgt nun aus dieser Situation für die Bildungspolitik in Italien? Im Parteiprogramm der FdI steht zu lesen, Bildung müsse wieder einen angemesseneren Stellenwert in der Gesellschaft erhalten. Die Gehälter von Lehrern und Dozenten sollen an den europäischen Durchschnitt herangeführt, Gebäude sollen saniert und nachhaltig umgebaut werden, das Bildungssystem soll insgesamt stärker internationalisiert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Alle Studierende sollen die englische Sprache beherrschen können und einen Teil ihres Studiums im Ausland verbringen. Es soll darauf geachtet werden, dass das Studium dazu führt, eine Arbeit zu finden. Dies soll durch Querschnittspfade zwischen den Bildungsinstitutionen erleichtert werden.

"Die Regierung hat die Universität als einen Ort identifiziert, an dem die Elite des Landes ausgebildet wird."

Das Programm der FdI passt sehr zu der neoliberalen Grundausrichtung der europäischen Bildungspolitik. Im Grunde geht es der Partei darum, dass das Land innerhalb dieses gesetzten Rahmens aufholt. Daher steht das Leistungsprinzip und eine meritokratische Bildungsidee auch ganz im Zentrum der italienischen Bildungspolitik unter Meloni. Doch zugleich identifiziert die Regierung die Universität als einen Ort, an dem die Elite des Landes ausgebildet wird. Es geht also nicht um Bildungsgleichheit, sondern darum, nach welchen Prinzipien und mit welchen Grundlagen Studierende ausgebildet werden. Im Feld der Bildungspolitik lässt sich daher sehr gut erkennen, dass die Regierung Meloni dem Konzept eines autoritären Kapitalismus anhängt, so wie es die Regierungen Ungarns oder Polens vormachen. Die euphorischen Glückwünsche der dortigen Regierungen können daher wenig überraschen.