Ältere Frau lässt sich einen Ordner mit Unterlagen zeigen
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Standpunkt
"Wissenschaft liefert Fakten, keine Entscheidungen"

Forschende suchen nach Wahrheit und liefern verlässliche Fakten. Diese zu bewerten und danach zu entscheiden, ist jedoch Aufgabe der Politik.

Von Jürgen Zöllner 13.03.2020

Heute leben wir in einer Wissenschaftsgesellschaft. Politik stützt sich in ihrem Handeln glücklicherweise immer mehr auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Zunehmend werden aber heute diese Erkenntnisse in Frage gestellt. Dies ist ein Problem von Wissenschaft und Politik.

Wissenschaft produziert auch falsche Ergebnisse. Beispielhaft sei hier eine Umfrage unter Lebenswissenschaftlern angeführt. Zwei Prozent gaben zu, selbst zu fälschen. Ein Drittel gab an, "Tricks" zu verwenden, und unterstellte zudem, dass zwei Drittel ihrer Kollegen "schummeln". Dies hinterlässt Spuren. Wissenschaft muss ihre Strukturen der Qualitätssicherung auf den Prüfstand stellen.

Wissenschaft liefert nicht die eine einfache Wahrheit. Den Unterschied von bedingter Erkenntnis und ewig währender Wahrheit zu erhellen, ist eine mühevolle Aufgabe. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind abhängig von der Subjektivität der Fragestellung, der angewandten Methode, und es ist in der DNA der Wissenschaft ver­ankert, ihre eigenen Erkenntnisse in Frage zu stellen und sie gegebenenfalls zu revidieren. Der Mühe müssen sich alle Seiten stellen, zuerst die Wissenschaft selbst, aber auch diejenigen, die Wissenschaft rezipieren.

Wissenschaft muss aufmerksam darauf achten, einem Missbrauch ihrer Arbeit zu wehren. Sie liefert Fakten und keine Entscheidungen. Für politische oder wirtschaftliche Entscheidungen ist eine Wertigkeitsskala bestimmend, die der Wissenschaft strukturell fremd ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind grundlegend und unverzichtbar für Politik, aber zur politischen Entscheidung werden sie erst im Zuge der wertgebundenen Gewichtung und Abwägung durch Politiker.

Die Verantwortung muss bei den Politikern bleiben

Oft gibt es eine erschreckende Unkenntnis von Politikern über die Bedingungen und Grenzen der Wissenschaft. Wenn die Politik notwendige Kompetenzen selbst nicht besitzt, muss sie sicherstellen, dass diese anderweitig vorhanden sind. Ein persönlicher wissenschaftlicher Berater für den Vorsitzenden eines Kabinetts, ein "Chief Scientific Advisor", könnte ein Weg sein.

Politik ist Interessenvertretung und Interessenausgleich. Ihre Königsdisziplin ist die hohe Kunst des Kompromisses. Diese Kunst ist in Verruf geraten. Hat man nicht die Kraft zum Kompromiss, erliegt Politik leicht der Versuchung, sich eine wissenschaftliche Stellungnahme zu suchen, um vermeintliche Sachzwänge zu erzeugen.

Die soziale, liberale Demokratie ist ohne Zweifel weltweit in unruhigem Wasser. Raum gewonnen hat unter anderem eine Politik des Sich-Versteckens. In die­sen Zusammenhang gehört auch die Neigung, Ent­scheidungen, die eigentlich der Politik obliegen, sogenannten Experten, das heißt sehr häufig Wissenschaftlern, zu übertragen. Diese sollten der eige­nen Eitelkeit nicht erliegen und weder die Arbeit noch die Verantwortung der gewählten Politiker übernehmen.

Gekürzte Fassung des Beitrags "Die Verantwortung der Wissenschaft" in dem Sammelband "Öffentliche Vernunft? – Die Wissenschaft in der Demokratie", Herausgeber: Wilfried Hinsch und Daniel Eggers bei De Gruyter (2019)