Fakten in der Wissenschaft
Bei Forschungs-Ergebnissen bleibt Restunsicherheit
F&L: Wie gelingt es, dass Forschungsergebnisse, die lediglich eine überschaubare Zahl von Menschen verstehen und nachvollziehen kann, trotzdem von Fachfremden akzeptiert werden?
Dieter Meschede: Es wäre hoffnungslos zu glauben, dass wir in alles eindringen können. Worauf wir hinarbeiten müssen, ist, dass für die Wissenschaft am Ende so etwas wie Vertrauen geschaffen wird. Dass die Menschen erkennen, in der Wissenschaft wird tatsächlich auf der Basis von Fakten gearbeitet, und dass sie auch an Beispielen erkennen können, was das eigentlich heißt. Bei den Studierenden formuliere ich das gerne so: Ich arbeite im Bereich der Präzisionsmessungen. Es gibt Zahlen, die legen wir auf drei, vier, fünf Stellen nach dem Komma fest. So etwas kann man nur machen, wenn man sich über jeden kleinen Einfluss Rechenschaft ablegt. Wir können immer nur beliebig gut oder beliebig nah an den Punkt kommen, an dem wir ein Gesetz verifizieren. Eine Restunsicherheit, ein Zweifel, dass wir es nicht ganz richtig gemacht haben, bleibt.
F&L: Lässt sich diese Restunsicherheit der Öffentlichkeit vermitteln?
Dieter Meschede: Wir spezifizieren ja, wie genau wir das wissen. Wenn wir etwas vorhersagen, dann gehen wir grundsätzlich von einer Unsicherheit aus. Quantitativ können wir sagen: Dieses Ergebnis wird mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit eintreten. Nun ist dieser wissenschaftliche Zugang nicht unbedingt etwas, was automatisch in unserer Intuition vorhanden ist. Wir Menschen hätten gerne ein Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß. Das ist das Problem.
F&L: Welche internen Kontrollmechanismen machen die Physik "glaubwürdig"?
Dieter Meschede: Das Ziel ist, das eigene Forschungsergebnis in dem Moment zu veröffentlichen, in dem man sich sicher ist, dass es der Prüfung standhält. Zunächst wird es innerhalb der wissenschaftlichen Community verwertet und auf Plausibilität und Reproduzierbarkeit geprüft. Vieles von dem, was wir erforschen, ist so komplex, dass das niemand in seinem Labor woanders auch macht. Eine implizite Überprüfung findet dann auf einer nächsten Stufe statt.
F&L: Geht es um Erkenntnisse, Fakten oder eine vorläufige Wahrheit?
Dieter Meschede: Wir bauen Modelle beziehungsweise wir malen uns ein Modell der Welt. Wenn es keine Argumente gegen diese Modelle gibt, dann sind das die Fakten. Der nächste Schritt besteht darin zu untersuchen, wie gut die Vorhersageleistung dieser Modelle funktioniert. Mit dem Begriff Wahrheit lässt sich hier schwierig operieren. Mathematisch ist eine Aussage wahr, wenn ich sie durch einen Beweis nachweisen kann. In der Physik muss ich Modelle falsifizieren. Wenn wir unsere Experimente a priori so anlegen, dass eigentlich nur herauskommen kann, was wir uns vorgestellt haben, ist nicht sehr viel gewonnen. Wir müssen dem System eine Chance geben, auch das Gegenteil zu zeigen. Manchmal können wir als Naturwissenschaftler nicht mehr sagen als: Das ist die Ausgangslage bzw. das sind die Fakten, und aufgrund dieser Ausgangslage, die wir auch quantitativ erfassen können, lässt sich diese Vorhersage machen. Bisweilen sind diese Vorhersagen gar nicht so ganz genau. Sie können bestimmte Risiken beinhalten, das zeigt sich zum Beispiel in der Klimadebatte. Und dann muss man zu dem Schluss kommen: Obwohl wir es nicht genau wissen, müssen wir trotzdem handeln. Es wird uns nicht gelingen, Handlungsempfehlungen mit letzter Gewissheit zu geben. Diese Situation werden wir nie erreichen. Wir können uns der Wahrheit mit zahlreichen quantitativen Erfassungen nur annähern, dafür gibt es in der Physik wunderbare statistische und andere Methoden.