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Berufungen
Aktuelle Entscheidungen zum Berufungs-Verfahren

Berufungsverfahren sind integraler Bestandteil des universitären Lebens. Sie führen manchmal auch zu gericht­lichen Auseinandersetzungen.

Von Conrad Ostermeyer 23.11.2022

Berufungsverfahren haben eine rechtliche Basis. Diese besteht aus dem Bewerbungsverfahrensanspruch nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG), auf dem Regelungen in den Landesgesetzen und Berufungsordnungen aufbauen. Jede und jeder kann sich um ein öffentliches Amt bewerben und muss entsprechend seiner Leistung als Bewerberin oder Bewerber einbezogen werden. Das bedeutet, dass eine Bewerbung nur aus Gründen abgelehnt werden darf, die durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind. Ein abgelehnter Bewerber, dessen subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung verletzt worden ist, kann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen, wenn seine Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl offen sind, seine Auswahl also möglich erscheint.

In diesem Zusammenhang wurde im letzten Jahr in Urteilen erneut bestätigt, dass ein Gericht grundsätzlich nicht feststellen kann, dass diejenige Person, die eine Verletzung ihres Rechts im Bewerbungsverfahren geltend macht, anstelle des vorgezogenen Kandidaten hätte ausgewählt werden müssen (vgl. VGH München, Beschluss vom 29.08.2022 – 3 CE 22.839). Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen oder eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten des Bewerbers vorzunehmen.

"Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen."

Einstweiliger Rechtsschutz bei Konkurrentenstreitverfahren

Konkurrentenstreitverfahren müssen im sogenannten einstweiligen Rechtsschutz durchgeführt werden, das heißt, es muss das zu sichernde Recht glaubhaft gemacht werden. Eine einstweilige Anordnung kann durch das Gericht nur getroffen werden, wenn durch eine Veränderung des bestehenden Zustands dieses Recht vereitelt oder zumindest wesentlich erschwert würde (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 23.06.2022 – 12 L 237/22). Ein Eilverfahren sei, so das Gericht, nur sinnvoll, wenn die Erfolgsaussichten gut sind und es für den Antragsteller nicht zumutbar sei, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, ob ein entsprechender Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel, die Ernennung eines Konkurrenten oder einer Konkurrentin im Rahmen eines Konkurrentenstreitverfahrens zu verhindern, schon deshalb abzulehnen sei, weil ein Antragsteller frühzeitig ausgeschieden ist.

Der VGH München hat dazu entschieden, das frühzeitige Ausscheiden  allein rechtfertige nicht die Ablehnung eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen des Konkurrentenstreitverfahrens (VGH München, Beschluss vom 29.08.2022 – 3 CE 22.838). Dies gelte zumindest dann, wenn zwischen dem Zeitpunkt, an dem der Antragsteller aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden sei, und dem Zeitpunkt des Abschlusses des Auswahlverfahrens und der Konkurrentenmitteilung eine längere Zeitspanne läge – in dem streitigen Fall betrug der Zeitraum  zwischen dem Ausscheiden des späteren Antragstellers und dem Abschluss des streitigen Auswahlverfahrens rund vier Jahre. Denn dann sei keinesfalls gesichert, dass der Antragsteller seine Qualifikation durch eigene Aktivitäten in positiver Weise beeinflusst habe oder auch die anderen Bewerber sich in dieser Hinsicht veändert hätten. Im Falle einer neuen Auswahlentscheidung könne der Antragsteller vor diesem Hintergrund zumindest nicht als "chancenloser Bewerber" angesehen werden (so auch BVerfG, Beschluss vom 04.02.2016 – 2 BvR 2223/15). Die Möglichkeit einer Berufung muss daher bestehen.

In diesem Verfahren hatte sich das erkennende Gericht auch mit der Bedeutung von "Soll-Vorschriften" im Rahmen eines Berufungsverfahrens zu befassen. Eine "Soll-Vorschrift" verpflichte im Regelfall dazu, so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt sei. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen ließen, dürfe anders entschieden werden. Dafür sei die Kommission zuständig und zwar sowohl für die Feststellung, dass es sich um einen atypischen Fall handelt als auch für die angemessene Entscheidung (VGH München, Beschluss vom 29.08.2022 – 3 CE 22.838).

Abbruch des Berufungsverfahrens

Sieht sich die Hochschule dem Vorwurf ausgesetzt, in dem Berufungsverfahren seien relevante Fehler festzustellen, wird ab und an das gesamte Berufungsverfahren abgebrochen. Aber auch ohne die Gefahr einer Niederlage in einem Konkurrentenstreitverfahren kann es zum Abbruch des Verfahrens kommen. Mit der rechtlichen Bewertung solcher Fälle haben sich Gerichte zu beschäftigen. Denn auch gegen den Abbruch eines Berufungsverfahrens besteht grundsätzlich Rechtsschutz, der von den Bewerbern und Bewerberinnen geltend gemacht werden kann. Der Dienstherr ist bei der Entscheidung, ob er ein nach den Grundsätzen der Bestenauswahl begonnenes Auswahlverfahren abbricht, in unterschiedlichem Maße rechtlich gebunden, je nachdem, ob er die konkrete Stelle auf der Grundlage des neuen Stellenbesetzungsverfahrens weiter besetzen will oder nicht. Will der Dienstherr die Stelle nach dem Abbruch nicht weiter besetzen, handelt es sich um „vorgelagertes Organisationsermessen“ (VG Gelsenkirchen Beschluss vom 23.06.2022 – 12 L 237/22).

"Auch gegen den Abbruch eines Berufungs­verfahrens besteht grundsätzlich Rechtsschutz."

Bricht der Dienstherr das Verfahren ab und will aber anschließend weiter besetzen, muss ein sachlicher Grund für den Abbruch, der den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG genüge, vorliegen. Unsachliche Gründe seien beispielsweise, einen unerwünschten Kandidaten von der weiteren Auswahl auszuschließen oder einen bestimmten Bewerber bei dem späteren Verfahren zu bevorzugen. Der Dienstherr könne das Verfahren aber abbrechen, wenn es fehlerhaft sei oder eine angemessene Auswahl nicht mehr möglich ist. Beispielsweise kann eine erneute Ausschreibung erforderlich sein, wenn kein Bewerber den Erwartungen entspreche. Die Abbruchmitteilung müsse die sachlichen Gründe, die nach Art. 33 Abs. 2 GG gerechtfertigt sind, enthalten (zu allem VG Gelsenkirchen Beschluss vom 23.06.2022 – 12 L 237/22).

Auch die Frage, zu welchem Zeitpunkt rechtliche Bedenken gegen den Abbruch eines Berufungsverfahrens geltend gemacht werden müssen, hat die Rechtsprechung beschäftigt. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn nach Abbruch des ursprünglichen Verfahrens ein neuerliches Verfahren eröffnet wird.

Wird ein Verfahren abgebrochen und später erneut initiiert, kann der Bewerber den Abbruch nicht in dem zweiten Verfahren rügen. Die Rüge muss innerhalb der Frist von vier Wochen nach der Bekanntgabe des Abbruchs erfolgen. Tut er das nicht in diesem Zeitraum, so müsse der Dienstherr darauf vertrauen dürfen, dass der Bewerber keine Rüge vorträgt (VGH Mannheim, Beschluss vom 27.07.2022 – 4 S 713/22). Das Vorbringen in einem Konkurrentenstreitverfahren in dem zweiten Berufungsverfahren dahingehend, schon der Abbruch des ersten Berufungsverfahrens sei rechtswidrig gewesen, sei mithin unzulässig..

Wie ist dagegen der Abbruch eines Berufungsverfahrens zu werten, wenn man sich nach den Berufungsverhandlungen nicht auf einen Bewerber einigen kann? Der Bewerbungsverfahrensanspruch ist – nach Abschluss des Auswahlverfahrens und der Ruferteilung an die ausgewählte Bewerberin – auch im Rahmen der sich anschließenden Berufungsverhandlungen zu beachten. Dem Professor beziehungsweise der Professorin muss zumindest die Möglichkeit gegeben werden, auf ein Angebot der Hochschule zu reagieren (OVG Bautzen, Beschluss vom 18.03.2022 – 2 B 20/22). Dafür sollte ein Protokoll oder ein Angebot mit Annahmefrist übersandt werden. Ohne diese Möglichkeit sei ein Abbruch nicht gerechtfertigt (OVG Bautzen, a.a.O.).

Abweichung von der Berufungsliste

Im Rahmen des Berufungsverfahrens ist es durchaus denkbar, dass ein Rektor beziehungsweise Präsident von der Berufungsliste, die ihm von der Berufungskommission vorgelegt wurde, abweicht. In den Landeshochschulgesetzen steht, dass ein Rektor beziehungsweise eine Rektorin (Präsident/Präsidentin) in begründeten Ausnahmefällen von der Reihenfolge des Berufungsvorschlags abweichen darf (siehe dazu § 48 Abs. 2 Satz 1 2. Teil­satz HG Ba Wü, § 37 Abs. 1 Satz 2 HG NRW, § 85 Abs. 2 Satz 2 HG Thüringen). Auch diese Problematik hat zu einigen Rechtsstreits geführt.

Der VGH Mannheim hat dazu in einem Beschluss vom 01.07.2022 ausgeführt, dass diese Befugnis eines Rektors, von der Berufungsliste abzuweichen, einen Ausnahmetatbestand darstelle. Insbesondere das Kriterium der habilitationsgleichen Leistung dürfe der Rektor nicht aus eigener Kompetenz würdigen. Dies schon deshalb, da er aus einer anderen Fakultät beziehungsweise Fachrichtung komme.

"Die Beurteilung der Kandidaten stehe der Berufungskommission zu."

Die Beurteilung der Kandidaten stehe der Berufungskommission zu und ein Rektor dürfe sie nicht an sich ziehen. Insbesondere werde somit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Kammerbeschluss vom 05.02.2020, 1 BvR 1586/14) Rechnung getragen, die die Bedeutung des Umstands betone, dass die Professoren und Professorinnen immer eine Mehrheit in der Berufungskommission hätten, wodurch gesichert sei, dass gegen ihren Willen nur in Ausnahmetatbeständen eine Berufung erfolgen  solle (VHG Mannheim, Beschluss vom 01.07.2022 – 4 S 483/22).

Befangenheit von beteiligten Personen

Im Rahmen von Berufungsverfahren wird immer wieder der Vorwurf erhoben, Beteiligte seien befangen. Wesentlich ist, dass schon eine "Besorgnis der Befangenheit" ausreichend ist.
Die Grundlage für die rechtliche Wertung derartiger Vorwürfe findet sich im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Dort wird zwischen absoluten (§ 20 VwVfG) und relativen Ausschlussgründen (§ 21 VwVfG) differenziert. Während bei Vorliegen von absoluten Ausschlussgründen der Ausschluss von Gesetzes wegen erfolgt, ist bei einem relativen Ausschlussgrund eine konstitutive Entscheidung des Behördenleiters, beziehungsweise des beteiligten Gremiums (in den meisten Fällen der Berufungsausschuss), erforderlich. Sobald das zuständige Gremium über eine Besorgnis der Befangenheit informiert ist, ist in dem Gremium darüber zu beraten und zu entscheiden.

Wann liegt eine solche begründete Besorgnis der Befangenheit vor? Dazu hat das OVG Lüneburg ausgeführt, dies ergebe sich insbesondere aus einer besonderen persönlichen Beziehung der Beteiligten (OVG Lüneburg, Beschluss vom 10.06.2022 – 5 ME 4/22). Bekanntschaft, berufliche oder fachliche Zusammenarbeit oder auch ein kollegiales Verhältnis reichten als solche nicht aus, um die Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Dementsprechend könne etwa allein die Zugehörigkeit zu ein und derselben Dienststelle die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Auch gelegentliche private Kontakte seien in Ordnung. In akademischen Berufungsverfahren gelte, dass nicht jede Form von wissenschaftlicher Zusammenarbeit oder jede (frühere) berufliche oder akademische Verbundenheit eines Mitglieds der Berufungskommission mit einem Bewerber gleichsam automatisch die Annahme der Befangenheit begründe, ein gewisser wissenschaftlicher oder beruflicher Kontakt im wissenschaftlichen und universitären Bereich sei üblich. Etwas anderes könne aber dann gelten, wenn sich aus dem beruflichen bzw. fachlichen Zusammenwirken eine besondere kollegiale Nähe entwickelt habe.

Umgekehrt vermag auch eine persönliche Abneigung oder gar Feindschaft nach den Umständen des Einzelfalls eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, sofern sie nachprüfbar ist. Entscheidend sind letztlich immer die Umstände des konkreten Einzelfalls, das heißt es ist danach zu fragen, ob in der Person des betreffenden Kommissionsmitglieds individuelle Gründe vorliegen, die seine Mitwirkung hinsichtlich eines Bewerbers angreifbar machen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 10.06.2022 – 5 ME 4/22).

Rückzahlungspflicht von Berufungsleistungsbezügen

Nur indirekt mit den Berufungsverfahren hat die Rechtsfrage zu tun, ob eine Hochschule innerhalb einer bestimmten Frist gezahlte Berufungsleistungsbezüge zurückfordern kann, wenn der Professor oder die Professorin innerhalb dieser Frist die Hochschule verlässt. Derartige Klauseln finden sich in etlichen Berufungsvereinbarungen. In manchen Bundesländern gibt es dafür Rechtsgrundlagen (beispielsweise Art. 70 Abs. 3 Satz 2 BayBesG). Danach kann im Rahmen von Berufungsvereinbarungen festgelegt werden, dass unbefristet wie befristet vergebene Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge zurückzuzahlen sind, wenn der Professor oder die Professorin innerhalb von drei Jahren seit Gewährung dieser Leistungsbezüge an eine andere Hochschule wechselt.

Für befristet gewährte Berufungsleistungsbezüge hat der VGH München schon mit Urteil vom 18.08.2017 (VGH München Aktenzeichen 3 BV 16.132) festgestellt, dass dies rechtswidrig sei. Aber gilt dies auch für unbefristete Berufungsleistungsbezüge? Mit dieser Frage hatte sich das VG München zu beschäftigen. In seinem Urteil führt das VG München dazu aus, dass Hochschulen möglicherweise grundsätzlich berechtigt sein könnten, unbefristet gewährte Berufungsleistungsbezüge zurückzufordern, wenn innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren die Hochschule verlassen wird. Unbefristete Berufungsleistungsbezüge hätten keinen Entgeltcharakter, da sie eher den "Marktwert" eines Professors oder einer Professorin darstellten. Es handele sich also nicht um einen Gegenwert für geleistete Dienste, sondern um Leistungen, mit denen der Professor oder die Professorin gewonnen werden soll.

Ein Rückzahlungsanspruch sei aber im zu entscheidenden Fall rechtswidrig, da er unverhältnismäßig sei. Es fehle in dem Bescheid an einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Berufungsleistungsbezüge für den in Rede stehenden Zeitraum in voller Höhe zurückzuzahlen seien. Je länger ein Hochschullehrer an der Universität tätig sei, desto mehr stelle sich die Frage, ob die Rückforderung in vollem Umfang verhältnismäßig sei. Dabei könnten gegen Ende des Dreijahreszeitraums erhebliche Rückzahlungsbeträge erreicht werden.