Chancengleichheit
Das Recht auf Inklusion an Hochschulen
Mit dem Zustimmungsgesetz vom 21.12.2008 zu dem "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" der UNO von 2006 wurde eine grundlegende Reform des Behindertenrechts in Deutschland eingeleitet. Die Konvention bringt mit ihrem Leitbild der Inklusion als einer menschenrechtlich begründeten Forderung nach voller und gleichberechtigter Teilhabe behinderter Menschen in allen Lebensbereichen zum Ausdruck, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund biologischer oder medizinischer Probleme an der gesellschaftlichen Teilhabe gehindert sind, sondern durch soziale Barrieren. Dem Recht auf Bildung räumt Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hierbei einen zentralen Stellenwert für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ein.
In Umsetzung des Übereinkommens wurde im Sozialgesetzbuch (SGB) ein eigenständiges Recht der Rehabilitation begründet (SGB IX). Die Leistungen zur Teilhabe an Bildung umfassen seit dem 1. Januar 2018 nicht mehr nur ein Recht auf Hochschulbildung, sondern auch ein Recht auf hochschulische berufliche Weiterbildung. Der Teilhabeanspruch erstreckt sich somit auch auf ein Masterstudium und eine Promotion und nicht wie bisher lediglich auf einen ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss, wie zum Beispiel den Bachelorabschluss.
"Die Auswahlkriterien für die Vergabe von Promotionsstipendien können gerade für behinderte Bewerber eine Barriere sein."
Die Auswahlkriterien für die Vergabe von Promotionsstipendien, wie zum Beispiel eine niedrige Altersgrenze, eine geringe Studiendauer und Auslandserfahrungen, können gerade für behinderte Bewerber eine Barriere sein. Dem begegnet das BMBF und die Diversity-Initiative der DFG mit Angeboten eines Nachteilsausgleichs, der sich auf die Auswahlkriterien, die Förderungsdauer und die Finanzierung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs bezieht. Auch die Habilitation ist eine hochschulische berufliche Weiterbildung.
Das Hochschulrecht definiert den Behindertenbegriff nicht, sodass der Begriff der jeweiligen Landesbehindertengleichstellungsgesetze maßgebend ist. Die Landeshochschulgesetze haben weitgehend die Definition der UN-Konvention (Art. 1) übernommen und die sich aus dem Hochschulrahmengesetz ergebende Aufgabe der Hochschulen, an der sozialen Förderung behinderter Studenten mitzuwirken, als Zielbestimmung aufgenommen. So haben die Hochschulen zum Beispiel dafür Sorge zu tragen, dass Studierende mit Behinderungen in ihrem Studium nicht benachteiligt werden und die Angebote der Hochschule möglichst ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen können. Einen unmittelbaren Anspruch auf bestimmte unterstützende Maßnahmen kennt allerdings nur das Berliner Hochschulgesetz.
Barrierefreie Infrastruktur
Aufgabe der Hochschulen ist es insbesondere, den barrierefreien Zugang zu allen Räumen der Hochschule zu gewährleisten. Die Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit erstreckt sich nicht nur auf Neu- und Umbauten, sondern auch auf den barrierefreien Zugang zur Informationstechnik, wie zu elektronisch vermittelten Internetauftritten und zu elektronisch unterstützten Verwaltungsabläufen, Studienmaterialien und Lehrveranstaltungen.
Prüfungsrecht
Zur Förderung der sozialen Belange der Studierenden haben die Hochschulen nach den jeweiligen Landeshochschulgesetzen insbesondere in ihren Studien- und Prüfungsordnungen Nachteilsausgleiche vorzusehen, um die Chancengleichheit mit Studierenden ohne Behinderung sicherzustellen. Chancengleichheit und Benachteiligungsverbot bedeuten, dass die äußeren Prüfungsbedingungen im Rahmen des zur Kompensation der Behinderung Erforderlichen zu modifizieren sind. Eine Kompensation auch bei der Prüfungsbewertung würde gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen. Soweit Prüfungsordnungen keine bestimmten Kompensationsmaßnahmen vorsehen, bestimmt das zuständige Prüfungsgremium entsprechende Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung auch des technischen Fortschritts. Behinderungsbedingte Nachteile können nur auf Antrag ausgeglichen werden, der vor der Prüfung unter Angabe von Art und Umfang der Behinderung und des begehrten Nachteilsausgleichs sowie i.d.R. unter Vorlage eines fachärztlichen Attests gestellt werden muss.
Bewerbung auf eine Professur
Als Arbeitgeber dürfen Hochschulen behinderte Wissenschaftler auch schon bei deren Bewerbung nicht aus Gründen einer Behinderung benachteiligen. Das ergibt sich für behinderte Menschen im Einzelnen aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und gilt unabhängig vom Grad der Behinderung. Für Schwerbehinderte und ihnen Gleichgestellte trifft das SGB IX in Teil drei besondere Regelungen über Pflichten der Arbeitgeber. So müssen zum Beispiel Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig freiwerdende und zu besetzende Stellen melden.
Berufungsverfahren
Bereits die Stellenausschreibung darf nicht gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen. Die Beschreibung insbesondere des Anforderungsprofils kann Indiz dafür sein, dass ein Bewerber wegen seiner Behinderung übergangen worden ist. Behinderte Bewerber sind allerdings nicht verpflichtet, von sich aus eine Behinderung zu offenbaren. Ein Fragerecht der Hochschule besteht insoweit nicht, es sei denn, der Behinderte muss erkennen, dass er aufgrund seiner Behinderung die von ihm geforderte Arbeit nicht erbringen kann oder dass seine für den Arbeitsplatz erforderliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist.
"Staatliche Hochschulen müssen schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen, es sei denn, dem Bewerber fehlt offensichtlich die fachliche Eignung."
Mit Eingang der Bewerbung eines Schwerbehinderten oder eines ihm Gleichgestellten haben staatliche Hochschulen unverzüglich auch die Schwerbehindertenvertretung zu informieren, sie in das Bewerbungsverfahren einzubeziehen, ihr insbesondere Einsichtnahme in die Bewerbungsunterlagen zu gewähren und deren Teilnahme an den Vorstellungsgesprächen zu ermöglichen. Allein die Überlegung des Arbeitgebers im ersten Sichtungsprozess eines Bewerbungsverfahrens, eine Bewerbung sei nicht aussagekräftig genug oder erfülle nicht sämtliche Stellenanforderungen, reicht für eine Absage regelmäßig nicht aus.
Dem Bewerber muss Gelegenheit gegeben werden, den Arbeitgeber in einem persönlichen Vorstellungsgespräch von seiner Eignung zu überzeugen. Staatliche Hochschulen müssen deshalb grundsätzlich schwerbehinderte und gleichgestellte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen, es sei denn, dem Bewerber fehlt offensichtlich die fachliche Eignung für die Stelle. Die Nichteinladung eines nicht offensichtlich fachlich ungeeigneten Bewerbers kann ein öffentlicher Arbeitgeber nur mit anderen als die fachliche Eignung betreffenden Gründen rechtfertigen. Für private Hochschulen besteht keine gesetzliche Pflicht, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Das Unterlassen der Benachrichtigung der Schwerbehindertenvertretung über den Eingang der Bewerbung eines Schwerbehinderten kann ein Indiz für eine Diskriminierung darstellen. Im Bericht der Berufungskommission zum Berufungsvorschlag sind im Falle der Nichtberücksichtigung eines schwerbehinderten Bewerbers neben der Auseinandersetzung der Kommission mit den Gutachten, die Stellungnahmen der Schwerbehindertenvertretung und des Personalrates beizufügen.
Verstöße gegen die rechtlichen Anforderungen an das Bewerbungsverfahren können eine widerlegbare Vermutung für eine rechtswidrige Benachteiligung begründen. Eine unterschiedliche Behandlung kann indes wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung gerechtfertigt sein. Im gerichtlichen Verfahren muss der Bewerber lediglich Indizien für eine Benachteiligung beweisen. Die Hochschule hat die Beweislast dafür, dass der übergangene Bewerber nicht benachteiligt worden ist oder dass eine "unterschiedliche" Behandlung gerechtfertigt war.
Ablehnung eines Bewerbers
Im Falle der Ablehnung des schwerbehinderten Bewerbers muss die Hochschule diesen, die Schwerbehindertenvertretung und die betriebliche Interessenvertretung über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich unterrichten. Staatliche Hochschulen haben die der Auswahlentscheidung zugrunde liegenden wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen; die Darlegung der Auswahlerwägungen erst im gerichtlichen Verfahren reicht nicht aus. Damit soll der abgelehnte Bewerber in die Lage versetzt werden, durch Akteneinsicht seine Erfolgsaussichten vor Gericht beurteilen zu können. Überdies muss die Hochschule dem abgelehnten Bewerber die Auswahlentscheidung nebst Begründung und ihre Ernennungsabsicht vor der Ernennung des ausgewählten Bewerbers mitteilen.
Rechtsschutz
In einem Berufungsverfahren unterlegene Bewerber können die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung in einem sog. Konkurrentenstreitverfahren gerichtlich überprüfen lassen. Gegen Auswahlentscheidungen privater Hochschulen ist der Rechtsweg vor den Arbeitsgerichten gegeben, ebenso gegen Auswahlentscheidungen staatlicher Hochschulen zu Stellen angestellter Professoren. Bei einer Bewerbung um die Stelle eines beamteten Professors ist für den abgelehnten Bewerber der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten gegeben. Dieser in der Praxis häufigste Fall steht im Vordergrund der nachfolgenden Betrachtung.
Verfassungsrechtlicher Bewerbungsverfahrensanspruch
Bei der Berufung in ein öffentliches Amt steht dem Dienstherrn ein Beurteilungsspielraum zu. Der Bewerber hat nur ein Recht auf Einbeziehung in die Auswahlentscheidung (Bewerbungsverfahrensanspruch), nämlich darauf, dass nicht gegen die dem Schutz vor Diskriminierung dienenden Verfahrensvorschriften verstoßen und dass die Bewerbung nicht aus Gründen abgelehnt wird, die durch den Leistungsgrundsatz des Artikels 33 Absatz 2 GG nicht gedeckt sind. Ein abgelehnter Bewerber kann daher in der Regel nur verlangen, dass über seine Bewerbung rechtsfehlerfrei erneut entschieden wird. In dem seltenen Fall, dass der Beurteilungsspielraum auf Null reduziert ist, weil der abgelehnte Bewerber eindeutig am besten geeignet ist, erstarkt der Bewerbungsverfahrensanspruch ausnahmsweise zu einem Anspruch auf Vergabe des Amtes.
Einstweiliger Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten
Die gerichtliche Überprüfung muss, um die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, vor der Ernennung des ausgewählten Bewerbers im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, das heißt durch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, erfolgen. Der Antrag ist darauf zu richten, der Hochschule die Ernennung des ausgewählten Bewerbers zu untersagen; denn nach dem Grundsatz der Ämterstabilität kann eine einmal vorgenommene Ernennung nur ausnahmsweise rückgängig gemacht werden.
"Wartet der erfolglose Bewerber mit dem Antrag auf Eilrechtsschutz zu lange, kann sein Anspruch auf ein Bewerbungsverfahren verwirkt sein."
Wird eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs festgestellt und erscheint die Auswahl des abgelehnten Bewerbers bei rechtsfehlerfreier Auswahl jedenfalls möglich, muss das Gericht durch eine einstweilige Anordnung der Hochschule die Ernennung untersagen. In Verfahren zur Vergabe einer Professur muss bereits die Konkurrentenmitteilung mit dem Antrag auf Eilrechtsschutz bekämpft werden. Es genügt nicht, mit der Antragstellung bis zum Ausgang der Berufungsverhandlungen zu warten. Wartet der erfolglose Bewerber mit dem Antrag auf Eilrechtsschutz zu lange, kann sein Bewerbungsverfahrensanspruch verwirkt sein.
Die Hochschule hat, was die Ernennung des ausgewählten Bewerbers betrifft, Wartepflichten, um den abgelehnten Bewerbern die notwendige Zeit (zwei Wochen ab Zugang der Ablehnungsmitteilung) zur Einlegung von Rechtsmitteln zu geben. Die Hochschule darf eine Ernennung erst vornehmen, wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abschließend abgelehnt worden ist. Ein Anspruch auf Akteneinsicht kann, wenn die Hochschule ihm nicht stattgibt, grundsätzlich nur im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Überprüfung der Auswahlentscheidung geltend gemacht werden.
Wird der Hochschule die Ernennung des ausgewählten Bewerbers durch einstweilige Anordnung des Gerichts abschließend untersagt, muss sie das Auswahlverfahren, wenn sie es nicht zulässigerweise abbricht, je nach Reichweite des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot, vollständig oder teilweise wiederholen. Auf der Grundlage des wiederholten Verfahrens muss die Hochschule dann eine neue – rechtmäßige – Auswahlentscheidung treffen, die zugunsten des zuvor erfolglosen Bewerbers ausfallen kann, aber keineswegs muss.
Entschädigung und Schadensersatz bei erfolgloser Bewerbung
Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot haben erfolglose Bewerber einen Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens und darüber hinaus auch auf Entschädigung des immateriellen Schadens (bis zu drei Monatsgehältern). Diese Ansprüche sind nicht ausgeschlossen, wenn der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abgewiesen worden ist; denn damit ist nicht rechtskräftig, sondern eben nur "vorläufig" entschieden, dass die Auswahlentscheidung rechtmäßig war. Der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unterlegene Antragsteller hat die Möglichkeit, seine Ansprüche im sog. Hauptsacheverfahren weiter zu verfolgen und die Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung feststellen zu lassen. Hat er damit Erfolg, ist damit die Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung entschieden. Das für den Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch zuständige Gericht wäre daran gebunden und hätte nur noch über die Höhe des zu ersetzenden Schadens oder der Entschädigung zu entscheiden.
Der im Auswahlverfahren erfolglose Bewerber muss allerdings keinen vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ernennung eines anderen Bewerbers in Anspruch nehmen und wird es vielleicht nicht tun, wenn er zum Beispiel noch aussichtsreicher Kandidat in anderen Bewerbungsverfahren ist oder inzwischen eine andere Stelle angenommen hat. Gleichwohl kann ihm ein materieller oder immaterieller Schaden durch die Nichtaufnahme in den Berufungsvorschlag entstanden sein. Dafür muss er auch im Hauptsacheverfahren nur Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen. Wenn die Hochschule nicht den Gegenbeweis erbringt, geht es nur noch um die Höhe des Schadensersatzes und der Entschädigung. Der Anspruch muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Zugang der Ablehnung schriftlich geltend gemacht werden.
Inklusion an Hochschulen
Sie interessieren sich für weiterführende Informationen über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Inklusion an Hochschulen? Eine Langfassung des Beitrags von DHV-Justiziarin Dr. Annette Gaentzsch kann bei der Redaktion von Forschung & Lehre angefragt werden.