Zwei Personen arbeiten an ihren Laptops
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Strafrecht
Deutsches Strafrecht bei "Fake News" oft unfähig zu handeln

Falschmeldungen können in Deutschland oftmals nicht rechtlich verfolgt werden. Die Herausforderung bei Reformen liegt im Schutz der Meinungsfreiheit.

Von Elisa Hoven 16.10.2019

Erfundene Nachrichten, falsche Zahlen und unbegründete Verdächtigungen: "Fake News" sind zu einem gängigen Mittel in Wahlkampf und politischer Diskussion geworden. Früher noch liebevoll als "Ente" bezeichnet, sind Falschmeldungen durch die Verbreitungsmöglichkeiten des Internets zu einem ernsthaften Problem geworden. Über soziale Netzwerke, Blogs und Online-Foren kann heute jeder Internetnutzer Meinungen und Wissen verbreiten und dabei weltweit Leser erreichen.

Ohne kontrollierende Zwischeninstanzen in Redaktionen fehlen qualitative Filter, die eine ethische oder fachliche Überprüfung der Meldung gewährleisten. Bewusst oder unbewusst falsche Nachrichten gelangen damit ungehindert in die sozialen Netzwerke, werden dort geteilt und durch die Verbreitung über eine Vielzahl von Accounts und Nutzern zu scheinbaren Wahrheiten.

Sind Fake News einmal in der Welt, haben Maßnahmen der Betreiber sozialer Netzwerke nur begrenzte Wirkungskraft. Ein Löschen der Beiträge – wie es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorsieht – ist zwar sinnvoll, in Anbetracht ihrer schnellen Verbreitung auf unterschiedlichen Internet-Plattformen jedoch nicht flächendeckend realisierbar. Auch die Möglichkeiten der Wissenschaft sind begrenzt. Untersuchungen zeigen, dass sich eine einmal erzeugte Vorstellung langfristig kaum mehr entkräften lässt. Und wessen Weltbild durch die Falschmeldung bestätigt wird, der wird hinter einer wissenschaftlichen Gegendarstellung politische Gründe vermuten.

"Fake News" oft nicht von Strafrecht abgedeckt

Damit stellt sich die Frage nach dem Einsatz des Strafrechts als Mittel zur Ahndung von Manipulationen der öffentlichen Meinung durch Fake News und zur Abschreckung künftiger Täter. Das Strafgesetzbuch enthält bislang keine eigenständigen Bestimmungen für Falschmeldungen. Eine Strafbarkeit der Verbreitung von Fake News kommt – je nach Formulierung und Zielrichtung der Falschmeldung – in erster Linie unter drei rechtlichen Gesichtspunkten in Betracht: als üble Nachrede beziehungsweise Verleumdung oder als Volksverhetzung.

Doch alle drei Tatbestände erfassen nur einen Ausschnitt denkbarer Fake News. Eine Strafbarkeit wegen übler Nachrede beziehungsweise Verleumdung setzt voraus, dass die falsche Tatsachenmeldung geeignet ist, die Ehre eines anderen zu verletzen, ihn "verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen".

Fake News sind jedoch, selbst wenn sie sich auf konkrete Personen beziehen, selten vordergründig ehrverletzend; sie zielen vielmehr darauf ab, das Bild des Betroffenen in der Öffentlichkeit zu verzerren. Wird etwa im Wahlkampf wahrheitswidrig verbreitet, dass ein Politiker eine deutliche Steuererhöhung oder ein generelles Tempolimit auf Autobahnen plane, so kann das Einfluss auf seine Wahlchancen haben – strafbar ist es nicht.

Veröffentlicht der Täter Falschmeldungen, mit denen er – direkt oder indirekt – eine bestimmte Personengruppe angreift, kann sein Handeln den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Dafür müssen die Fake News in einer Weise, die geeignet ist, "den öffentlichen Frieden zu stören", zum Hass gegen nationale, religiöse oder ethnische Gruppen aufstacheln oder die Menschenwürde der Betroffenen angreifen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wenn der Täter falsche Daten über die Kriminalität von Geflüchteten ("95 Prozent der Flüchtlinge sind kriminell!") veröffentlicht oder über eine angeblich von Geflüchteten begangene schwere Straftat berichtet, die in Wahrheit nicht stattgefunden hat?

Staatsanwaltschaften zurückhaltend

Üblicherweise unterfallen dem Tatbestand der Volksverhetzung diskriminierende Hetzschriften, die eine aggressive und missachtende Haltung des Täters zum Ausdruck bringen. Fake News geben hingegen – oft scheinbar neutral – falsche Fakten wieder. Doch auch eine vordergründig sachliche Aussage kann Feindseligkeiten gegenüber einer Bevölkerungsgruppe auslösen und den öffentlichen Frieden stören.

Falschinformationen können das öffentliche Klima sogar nachhaltiger beeinflussen als abfällige Werturteile. Denn während Meinungsäußerungen lediglich die subjektive Sicht eines Einzelnen wiedergeben und damit für den Adressaten ohne Verbindlichkeit bleiben, präsentieren Fake News keine individuellen Deutungen, sondern scheinbar sachliche Fakten. Sie erheben den Anspruch auf Objektivität und Richtigkeit; anders als persönliche Meinungen lassen (angebliche) Tatsachen keinen Raum für Widerspruch und abweichende Sichtweisen.

"Falschmeldungen stellen eine nicht zu unterschätzende Bedrohung für den freien Meinungsbildungsprozess in einer demokratischen Gesellschaft dar."

So dürfte die bloße Behauptung eines Einzelnen ("Geflüchtete sind doch alle kriminell") die öffentliche Stimmung weniger beeinträchtigen als falsche Kriminalitätsstatistiken, die Ängste und Wut in der Bevölkerung durch vermeintlich wissenschaftlich neutrale Erkenntnisse bestätigen und bekräftigen. Die Staatsanwaltschaften sind hier bislang allerdings zurückhaltend; entsprechende Verfahren werden kaum geführt oder schnell wieder eingestellt.

Falschmeldungen stellen eine nicht zu unterschätzende Bedrohung für den freien Meinungsbildungsprozess in einer demokratischen Gesellschaft dar. Die Verbreitung unwahrer Informationen gefährdet den sachlichen öffentlichen Diskurs; sie säen Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Politik, Justiz und Medien; sie vertiefen die Gräben zwischen den politischen Lagern, vergiften die Diskussionskultur und relativieren Wahrheiten zu bloßen Möglichkeiten.

"Fake News": Strafrecht in einzelnen Ländern angepasst

Werden Fake News kurz vor Wahlen oder Abstimmungen lanciert, so ist nicht auszuschließen, dass sie die Entscheidung von Wählern und damit die politische Zukunft des Landes beeinflussen. Das deutsche Strafrecht hält bislang keine ausreichenden Instrumente bereit, um auf die Gefahren durch Fake News reagieren zu können. Impulse für die Diskussion über eine Strafbarkeit von Fake News könnte das ausländische Recht liefern.

In Italien ist die Störung der öffentlichen Ordnung durch die Veröffentlichung falscher Informationen unter Strafe gestellt. Österreich ahndet Falschmeldungen, die geeignet sind, das Wahl- oder Abstimmungsverhalten zu beeinflussen.

Will der deutsche Gesetzgeber einen eigenen Straftatbestand schaffen, steht er allerdings vor der Aufgabe, ein schwieriges Spannungsverhältnis aufzulösen: Zwar wird die Behauptung unwahrer Tatsachen vom Recht auf Meinungsfreiheit nicht geschützt; doch ist die Grenze zwischen Lüge und plakativer Zuspitzung nicht immer eindeutig zu ziehen. Eine Überprüfung und strafrechtliche Sanktionierung von Fake News bewegt sich in einer gefährlichen Nähe zu Zensur und staatlicher Meinungskontrolle – und will daher genau überlegt sein.