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Gefängnis-Studie
Ermittler beschlagnahmen Forschungsdaten

Ermittler haben ein Interview eines Professors mit einem Inhaftierten beschlagnahmt. Der Eingriff in die Forschungsfreiheit kommt vor Gericht.

01.09.2020

Für ein Forschungsprojekt hat ein Psychologie-Professor einen Gefangenen interviewt. Ermittler der Polizei hielten ihn für einen mutmaßlichen Islamisten und beschlagnahmten deshalb einen Mitschnitt des Tonbands. Der Erlanger Forscher will dagegen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einlegen. "Das ist ein Präzedenzfall. Sowas gab es noch nicht", sagte der Forscher, Professor Mark Stemmler, am Montag. Zuvor hatte "Der Spiegel" über den Fall berichtet.

Der Rechtspsychologe von der Universität Erlangen forscht in einem Projekt zu "Islamistischer Radikalisierung im Justizvollzug". Dazu interviewten er und eine Mitarbeiterin 31 Gefangene, die als Gefährder eingeschätzt werden oder verdächtigt werden, sich zu radikalisieren. Dabei sprachen sie mit den Häftlingen unter anderem über deren Kindheit, deren Familie, über Glauben und Politik – aber nicht über Straftaten. Für die Aufnahmen der Gespräche haben die Forschenden den Gefangenen Vertraulichkeit zugesichert, die Dateien verschlüsselt und anonymisiert gesichert.

Für einen Mann, der wegen Drogendelikten in der Justizvollzugsanstalt Bamberg saß, interessierte sich die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München besonders. Sie verdächtigte ihn der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Nach Stemmlers Angaben fragten Ermittler ihn im Januar nach einem Mitschnitt des Interviews. Er habe sich zunächst geweigert und eine Kopie des Interviews erst nach einem Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Oberlandesgerichts München herausgegeben.

Kein Verweigerungsrecht für Forscher

Der Generalstaatsanwaltschaft sei zwar bewusst gewesen, dass das einen Eingriff in die Forschungsfreiheit darstelle, teilte Oberstaatsanwalt Dr. Klaus Ruhland auf Anfrage mit. Dies halte man aber "für gerechtfertigt und insbesondere auch für verhältnismäßig", weil es um die Aufklärung eines schwerwiegenden Verbrechens gegangen sei. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Forschende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gebe es nicht. Ermittler sind laut "Spiegel" verpflichtet, Hinweise zu einer Straftat zu sammeln und bei Bedarf Dokumente zu beschlagnahmen. "Gleichwohl möchte ich darauf hinweisen, dass es sich nach hiesiger Kenntnis bei dem vorliegenden Zugriff auf Forschungsdaten um einen extrem seltenen Einzelfall handelt", betonte Ruhland.

Stemmler sagte gegenüber dem "Spiegel", er habe nicht gewusst, dass er den Gefangen einen Schutz versprochen habe, den es so nicht gebe. Künftig wolle er keine Garantie mehr aussprechen. Die Ermittlungen hat die Generalstaatsanwaltschaft inzwischen mangels Tatverdachts eingestellt.

Für Stemmler ist das Thema aber nicht vom Tisch, für ihn gehe es um die Zukunft vergleichbarer Studien. "Ich kann die Interviews nur führen, wenn ich den Betroffenen Verschwiegenheit zusichere. Man baut ein Vertrauen auf." Genau das werde jetzt ausgehöhlt. "Wenn sich das rumspricht, brauche ich in kein Gefängnis mehr gehen." Noch im September soll sein Anwalt in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Eine Beschwerde vor dem Oberlandesgericht in München sei zuvor zurückgewiesen worden.

dpa/ckr