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A1-Bescheinigung
"Scheinpflicht" bei Dienstreisen im Ausland?

Auch Wissenschaftler brauchen eine A1-Entsendebescheinigung, wenn sie dienstlich im europäischen Ausland sind. Beantragen müssen dies die Arbeitgeber.

Von Wiltrud Christine Radau 06.07.2019

Die Verpflichtung zur Mitführung einer A1-Bescheinigung ist keineswegs neu, sondern besteht bereits seit dem Inkrafttreten der Verordnung am 1. Mai 2010. Jedoch wurde die Einhaltung dieser Rechtspflicht im Ausland bisher selten kontrolliert. In der Folge wurde dieses Thema – insbesondere im Hochschulbereich – bisher oftmals ignoriert.

Dies könnte sich allerdings nunmehr ändern, denn die EU-Verordnung schreibt allen Arbeitgebern vor, dass sie ab dem 1. Januar 2019 am elektronischen Antrags- und Bescheinigungsverfahren teilnehmen müssen. Mit der Umstellung von der Papierform auf das elektronische Verfahren geht eine verstärkte staatliche Kontrollierbarkeit einher. Das hat seit Jahresbeginn zu einer Sensibilisierung in den Universitätsverwaltungen und zu Umstellungen der Verwaltungspraxis geführt, die derzeit Probleme bereiten.

Wozu dient die A1-Bescheinigung?

Nach Maßgabe des sogenannten Territorialprinzips müsste jede Person, die außerhalb ihres Heimatlandes in einem anderen Staat dienstlich tätig ist, an die Sozialkassen des jeweiligen Gaststaates Sozialbeiträge abführen. Es käme also zu einer doppelten Beitragsbelastung, weil Beschäftigte regelmäßig in ihrem Heimatland bereits versichert sind. Davor schützt die A1-Bescheinigung. Sie dient im grenzüberschreitenden Diensteinsatz als Nachweis dafür, dass Beschäftigte auch während ihrer Auslandstätigkeit im Heimatstaat sozialversichert sind. Im Kern stellt die A1-Bescheingiung damit ein Instrument gegen einen grenzüberschreitenden Sozialversicherungsbetrug dar.

"Der Nachweis einer A1-Bescheinigung ist für grenzüberschreitend tätige Personen verpflichtend."

Was passiert, wenn die A1-Bescheinigung fehlt?

Der Nachweis einer A1-Bescheinigung ist für grenzüberschreitend tätige Personen verpflichtend. Wer im Rahmen der Auslandstätigkeit ohne A1-Bescheinigung angetroffen wird, kann mit Sanktionen seitens des ausländischen Staates belegt werden. Art und Umfang der Sanktionen bestimmen sich nach dem Recht des Gastlandes und sind sehr unterschiedlich geregelt. So verhängen einige Länder sowohl gegen die grenzüberschreitend tätigen Beschäftigten als auch ihre Arbeitgeber Bußgelder bis zu 10.000 Euro. Andere Länder ziehen Sozialversicherungsbeiträge ein oder verweigern die Einreise bzw. den Zugang zum Tätigkeitsort. Auch ist denkbar, dass in einzelnen Ländern eine besondere Sachleistungsaushilfe im Rahmen der medizinischen Versorgung nur in Anspruch genommen werden kann, wenn eine A1-Bescheinigung vorliegt.

Worum geht es?

Jeder Beschäftigte – und das gilt auch für Angestellte und beamtete Wissenschaftler –, der sich vorüber­gehend im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit in einem EU-Mitgliedstaat oder einem EFTA-Staat (Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz) aufhält, muss eine A1-Bescheinigung – auch Entsendebescheinigung genannt – mitführen.* Arbeitgeber müssen diese Bescheinigung für ihre Mitarbeiter beantragen.

*Aufgrund Artikel 11 Absatz 3 b und Artikel 12 Absatz 1 EU-Verordnung (EG) über soziale Sicherheit 883/2004.

Gehören auch Beamte zum betroffenen Personenkreis?

Die EU-Verordnung (EG) 883/2004 gilt für alle in Deutschland beschäftigte Personen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder EFTA-Staat dienstlich tätig werden. Von der Pflicht zur Vorlage einer A1-Bescheinigung sind Arbeitnehmer und Beamte gleichermaßen erfasst. Es wird nicht nach dem Beschäftigungsstatus unterschieden, sondern nur vorausgesetzt, dass es sich um eine Person handelt, die für ihren heimischen Arbeitgeber in einem anderen EU- oder EFTA-Mitgliedstaat vorübergehend tätig wird (Entsendung). Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen (zum Beispiel Wissenschaftler) sieht die Regelung nicht vor.

Ist jede Auslandsdienstreise eine Entsendung?

Die EU-Verordnung (EG) 883/2004 definiert keine zeitlichen Bagatellgrenzen, unterhalb derer bei einem dienstlich veranlassten Auslandsaufenthalt die Vorlage einer A1-Bescheinigung entbehrlich wäre. Maßgeblich ist lediglich die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer oder Beamter im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben vorübergehend im Ausland tätig ist. Vorübergehend im Rechtssinne ist jede Tätigkeit, die auf weniger als 24 Monate angelegt ist. Damit macht jede noch so kurze Auslandsdienstreise, etwa zum Zwecke eines Tagungsbesuchs, einer Projektbesprechung oder einer Vortragstätigkeit, grundsätzlich eine A1-Bescheinigung erforderlich.

Welches Verfahren ist einzuhalten?

Die A1-Bescheinigung muss im Regelfall für jede einzelne Entsendung und für jedes Land gesondert erstellt werden. Allerdings weist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales darauf hin, dass es im Bereich des Öffentlichen Dienstes möglich sei, Sammelbescheinigungen für einen längeren Zeitraum auszustellen (derzeit bis zu zwei Jahre).

Die A1-Bescheingiung wird auf Antrag des Arbeitgebers erteilt. Bei welcher Stelle der Antrag einzureichen ist, hängt davon ab, wo der Beschäftigte versichert ist. Für gesetzlich pflichtversicherte oder freiwillig gesetzlich versicherte Personen ist die jeweilige Krankenkasse zuständig; für privat versicherte Personen (zum Beispiel Beamte) ist die A1-Bescheinigung bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragen.

Die Krankenkassen bzw. Rentenversicherungsträger müssen die A1-Bescheinigung innerhalb von drei Arbeitstagen elektronisch an den Arbeitgeber übermitteln, der diese Bescheinigung unverzüglich auszudrucken und auszuhändigen hat. Weitere Einzelheiten zu Verfahren und Antragsinhalten sind in den "Gemeinsamen Grundsätzen" niedergelegt, die vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen entwickelt und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales genehmigt wurden.

Werden Dienstreisen durch die Notwendigkeit einer A1-Bescheinigung genehmigungspflichtig?

Die Notwendigkeit einer A1-Bescheinigung führt weder in dienst- noch in reisekostenrechtlicher Hinsicht zu einer "neuen" Genehmigungspflicht in Bezug auf die Dienstreisetätigkeit von Professorinnen und Professoren. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass, soweit das einschlägige Landesrecht keinen spezifischen gesetzlichen Genehmigungsvorbehalt beinhaltet (zum Beispiel § 44 BbgHG, § 14 DAVOHS Sachsen), Dienstreisen von Hochschullehrern in dienstrechtlicher Hinsicht genehmigungsfrei sind.

Was tun bei spontanen Dienstreisen?

Gerade im Wissenschaftskontext gehören kurzfristige Dienstreisen zum Alltag; sie gewährleisten einen freien, grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Austausch. Die Universitätsverwaltungen müssen also, um der Forschungsfreiheit der Hochschullehrer gerecht zu werden, ein effizientes Verfahren entwickeln. Viele Universitäten haben bisher noch keinen tragfähigen Modus entwickelt. Während einige Universitäten verlangen, bereits weit im Vorfeld über die Dienstreise informiert zu werden, um das A1-Antragsverfahren bewerkstelligen zu können, ignorieren andere Universitäten die Rechtslage und setzen damit die Beschäftigten entsprechenden Risiken aus.

Sofern eine A1-Bescheinigung nicht rechtzeitig ausgehändigt werden kann, sollte vor Antritt der Auslandsdienstreise zur Sicherheit zumindest eine Antragskopie mitgeführt werden. Einige Staaten akzeptieren dies derzeit noch. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs legt nahe, dass eine nachträgliche Ausstellung der Bescheinigung möglich sein dürfte. Darauf verweist etwa das Bundesministerium für Arbeit, stellt aber zugleich klar, dass es dennoch in einigen EU- und EFTA-Staaten zu Sanktionen oder Behinderungen kommen könne, da dies im Ermessen jedes einzelnen Staates liege.

Angesichts dieser Unsicherheiten kann es auf Dauer keine Lösung sein, es bei Dienstreisen einfach darauf ankommen zu lassen, ob der Dienstreisende im Ausland kontrolliert wird oder nicht.

Reformabsichten?

Als Fazit wird man festhalten können: Die EU-Entsendeverordnung stellt sich im Hochschulkontext als bürokratisches Hemmnis dar und wird den Besonderheiten wissenschaftlicher Auslandsdienstreisen nicht gerecht. Die Intention, Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug zu unterbinden, mag in bestimmten Branchen – etwa dem Bau- und Transportgewerbe – nachvollziehbar und notwendig sein. Insbesondere bei Forschungsdienstreisen sind die engen Vorgaben jedoch verfehlt, denn ein Sozialversicherungsbetrug ist im grenzüberschreitenden Wissenschaftsverkehr kaum denkbar. Es werden stattdessen Rechtsunsicherheiten hervorgerufen und unnötige Behinderungen generiert, die einen grenzüberschreitenden Wissensaustausch erschweren und in die Wissenschaftsfreiheit eingreifen.

"Der Hochschulbereich sollte gänzlich aus dem Anwendungsbereich der EU-Verordnung herausgenommen werden."

Auch auf politischer Ebene ist inzwischen die Erkenntnis gereift, dass die EU-Verordnung problematisch ist. Die Bundesregierung stimmt sich derzeit mit der Europäischen Kommission im Hinblick auf Änderungen ab. Im Europaparlament haben sich bereits Stimmen dafür ausgesprochen, zum Beispiel für kurze Dienstreisen eine drei Monate gültige Generalbescheinigung zu vergeben, die für mehrere Länder gilt. Auch wird in Erwägung gezogen, die Notwendigkeit der A1-Bescheinigung etwa für Tagungs-, Vortrags- und Messereisen abzuschaffen.

Diese Überlegungen gehen aber nicht weit genug. Als sachgerecht erscheint es vielmehr, den Hochschulbereich gänzlich aus dem Anwendungsbereich der EU-Verordnung herauszunehmen. Diese Forderung wird auch von der Hochschulrektorenkonferenz und der Allianz der Wissenschaftsorganisationen erwogen. Bis zu einer Änderung der Rechtslage bleiben die dargestellten Probleme allerdings bestehen. Eine Vereinfachung des Verfahrens wurde von den Europäischen Institutionen noch im Laufe dieses Jahres in Aussicht gestellt.