Smartphone und Hologramm eines Übersetzungssymbols mit zehn Sprachen
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Welttag des Übersetzens
Anforderungen an Übersetzer haben sich verändert

Für das gegenseitige Verständnis sind Übersetzungen unerlässlich. Das betrifft die Wissenschaft ebenso wie die Gesellschaft. Eine Übersicht.

Von Tinka Reichmann 30.09.2022

Übersetzungen dienen der Verständigung über Sprachen-, Landes- und Kulturgrenzen hinweg. Unter Übersetzungen und der zugehörigen Translationswissenschaft wird aber häufig weniger gefasst oder vermutet, als wirklich dazugehört. Wo sind Übersetzer im Einsatz und welche zusätzlichen Leistungen erbringen sie inzwischen? Der Welttag des Übersetzens, der zu Ehren seines Namenspatrons auch Hieronymustag genannt wird, soll zum Anlass genommen werden, um aktuelle Aspekte dieser Disziplin zu beleuchten: Die Translationswissenschaft (auch: Translatologie) beschäftigt sich aber nicht nur mit dem Übersetzen, sondern auch mit dem Dolmetschen, der mehrsprachigen Fachkommunikation, Terminologie und Terminographie, mit elektronischen Hilfsmitteln für die Translation, maschinellen Übersetzungssystemen, Softwarelokalisierung und vielem mehr.

Wer übersetzt was und für wen?

Die Übersetzung von Fachtexten stellt auf dem deutschen und europäischen Markt eindeutig den Löwenanteil dar, insbesondere auf den Gebieten Recht, Wirtschaft, Technologie/IT, Marketing und Medizin. Die Umsätze der Unternehmen, die Dienstleistungen im Bereich Übersetzen, Dolmetschen und Lokalisierung anbieten (sogenannte "Sprachendienstleister" oder "Sprachenindustrie") sind gigantisch. Auch institutionelle Sprachendienste öffentlicher Stellen, wie an Bundesministerien oder internationalen Institutionen, erbringen eine steigende Anzahl an Sprachdienstleistungen. Nicht zu übertreffen ist wahrscheinlich die Europäische Union (EU), bei welcher der größte institutionelle Übersetzungsdienst der Welt (Generaldirektion Übersetzung, kurz: DGT)  angesiedelt ist. Die EU beherbergt aber noch weitere institutionelle Übersetzungs- und Dolmetschdienste, die große Textmengen mündlich oder schriftlich in verschiedene Sprachen übertragen: Eigene Sprachendienste gibt es beim Europäischen Parlament, beim Rat der EU, beim Gerichtshof der EU, bei der Europäischen Zentralbank (EZB), beim Europäischen Rechnungshof, bei der Europäischen Investitionsbank und bei dem Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der Europäischen Union (CdT). Translationsleistungen, die zum Teil auch maschinelle Übersetzung mit vollständigem oder leichtem Posteditieren, Textrevision und -bearbeitung, Terminologie- und Projektmanagement, teilweise auch Audiovisuelle Übersetzung, Transkription und Sprachberatung umfassen, sind daher ohne jegliche Übertreibung ein erheblicher Wirtschaftsfaktor.

In diesem Kontext soll außerdem die kleinere, dennoch wachsende Sparte der Hochschulübersetzung genannt werden. So hat inzwischen jede große deutsche Hochschule angestellte Fachübersetzer für Englisch, deren Arbeit gegebenenfalls durch externe Dienstleister ergänzt wird. Diese tauschen sich in dem "Netzwerk der HochschulübersetzerInnen" regelmäßig auf Jahrestreffen und über eine Mailingliste aus. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls der wissenschaftsspezifische Übersetzungs- und Redaktionsservice des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) zu erwähnen, der nicht nur die Anfertigung von Übersetzungen, sondern auch die Überarbeitung von maschinell übersetzten (vorrangig englischsprachigen) Texten umfasst. Auf dessen Website ist auch eine "Stellungnahme zu maschinellen Übersetzungen" hinterlegt, in der mit verschiedenen anschaulichen Beispielen die Grenzen der maschinellen Übersetzungen aufgezeigt werden. Auch wenn es seit der Einführung der Neuronalen Maschinellen Übersetzung einen erheblichen Qualitätssprung gab und die Systeme stetig verbessert werden, sind deren Ergebnisse auf inhaltlicher Ebene nicht immer ausreichend gut für anspruchsvolle wissenschaftliche Texte.

Nicht zuletzt sind ehrenamtliche Netzwerke für Translation zu erwähnen, wie zum Beispiel bei sozialen Einrichtungen oder Veranstaltungen, aber durchaus auch unter Wissenschaftlern, wie die Initiative "Translate Science", die eher einen kollaborativen Ansatz verfolgen.

Internationaler Tag des Übersetzens

Der Welttag des Übersetzens wird auch Hieronymustag genannt nach Hieronymus, dem Schutzheiligen der Übersetzer, der die Bibel aus dem Hebräischen beziehungsweise Griechischen ins Lateinische übersetzt hat. Seine Übersetzung, die Vulgata, war lange Zeit gültig. Zu seinem Todestag begehen die Vereinten Nationen jährlich am 30. September den Internationalen Tag des Übersetzens, um den Beruf des Übersetzers zu fördern und seine vielfältige Bedeutung für Wissenschaft, Kultur und Sprachen zu betonen.

Um die große Bandbreite zu dokumentieren, soll hier die gesellschaftliche Komponente der Translation erwähnt werden. So ist Translation zunehmend im Bereich der Integration und Inklusion präsent (Audiodeskription für blinde und sehbehinderte Menschen, Übersetzen und Dolmetschen in Leichte Sprache, Schriftdolmetschen für hörgeschädigte Menschen). Das sogenannte "Community Interpreting", also Dolmetschen im Gemeinwesen, Kommunaldolmetschen oder Gemeindedolmetschen ist ein nicht oder nur teilweise regulierter Markt und umfasst das Dolmetschen bei Behörden (zum Beispiel bei Asylverfahren), Schulen, Gesundheitseinrichtungen, bei Polizei, Gericht und in Justizvollzugsanstalten. Hier wird teilweise Telefon- und Videodolmetschen praktiziert. In dem Bereich des "Community Interpreting" sind häufig ehrenamtliche Sprachmittler oder Laiendolmetscher tätig.

Übersetzer trotz Digitalisierung weiterhin gefordert

Aus der Komplexität an Themen und Fachgebieten sowie dem Einsatz von Übersetzungstechnologien ergibt sich ein überraschendes Paradoxon: Obwohl zu erwarten wäre, dass die Nachfrage nach professionellen Übersetzungen durch die Verbesserung der Übersetzungstechnologien sinkt, ist das Gegenteil zu verzeichnen. Richtig ist jedoch, dass sich die Anforderungen an heutige Übersetzungsabsolventen verschoben haben. Da ihre Tätigkeit zunehmend in den Bereichen Postedition von maschinellen Vorübersetzungen, Datenkuratierung, Projekt-, Terminologie- und Qualitätsmanagement liegen, sind hier spezielle Kenntnisse gefragt. In den meisten Bereichen sind zusätzliche Fachkenntnisse (Wirtschaft, Finanzen, Recht) erforderlich, in anderen werden inzwischen sprachkundige Experten eingesetzt, so zum Beispiel die Sprachjuristen, die am Europäischen Parlament arbeiten. Diese verstehen sich allerdings nicht als Übersetzer, sondern sehen ihre Aufgabe eher darin, den Gesetzgebungsprozess mit ihrer rechtlichen (und gegebenenfalls sprachlichen) Expertise zu unterstützen. Die am Dienst der Juristischen Übersetzung tätigen Sprachjuristen (beziehungsweise "Rechts- und Sprachsachverständigen"), die für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und das Gericht der Europäischen Union (EuG) arbeiten, fertigen aber vor allem juristische Übersetzungen an.

In Forschung und Praxis geht es zunehmend um die Qualität von Übersetzungen. Die DGT hat hierfür das Konzept der zweckgebundenen Angemessenheit ("fitness for purpose") eingeführt, welches Qualität mit dem jeweils beabsichtigten kommunikativen Zweck und den Erwartungen des Kunden ins Verhältnis setzt. Hier wird einerseits ein Qualitäts-, andererseits ein Risikomanagement praktiziert. Für rechtsverbindliche Texte oder "Hochrisikotexte" (zum Beispiel streng vertrauliche Texte) gilt der oberste Qualitätsanspruch, je nach Zweck kann aber für allgemeine Informationstexte auch ein maschinell übersetzter Text ohne Postedition ausreichen.

Nicht zuletzt kann in Krisenzeiten auf die große Relevanz der Sprach- und Kulturmittlung im Bereich der Diplomatie hingewiesen werden, in der versucht wird, kriegerische Auseinandersetzungen abzuwenden oder zu beenden. Hier wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und von Dolmetschern und Übersetzern absolute Verschwiegenheit und höchste Qualität verlangt.

So wie das Tätigkeitsfeld der Translation in den letzten Jahrzehnten immer breiter aufgestellt wurde, haben sich auch Lehre und Forschung entsprechend weiterentwickelt. Studiengänge im Fachübersetzen enthalten heutzutage viele technologiebezogene Fächer, in denen zum Beispiel Projekt-, Terminologie- und Qualitätsmanagement eine große Rolle spielen. Sie können außerdem ihrem hohen Standard durch Qualitätssiegel wie dem der DGT ("European Masters' of Translation") europaweit Sichtbarkeit verleihen. Die Kenntnisse im Studium können in Praktika noch vertieft werden, damit der Einstieg in die sehr vielfältige Berufswelt erleichtert wird. Trotz aller Technologiedominanz sind meiner Einschätzung nach weiterhin kreative Köpfe, kritisch denkende und engagierte Menschen auf dem Markt gesucht.