Ein aufgeschlagenes Buch
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Rezension
Das Zahlen-Glücksrezept

Die Mathematik ist keineswegs eine realitätsferne und verstaubte Wissenschaft. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zu existenziellen Fragen.

Von Friederike Invernizzi 29.09.2018

Mathematik – allein das Wort reicht meist schon aus, um ungute Erinnerungen an die eigene Schulzeit wach werden zu lassen. Wie war das noch? Ach ja, man saß in muffigen Klassenräumen auf altem Holzinventar und versuchte den Zahlenfolgen an der Tafel einen Sinn abzugewinnen, die Mathematiklehrer in abgewetzten Cordhosen – oder seltener: Mathematiklehrerinnen in Wollröcken – hingeschrieben hatten.

Hat sich daran etwas Wesentliches geändert? Auch heute ist die Mathematik für Gymnasiasten in der Oberstufe Pflicht und kann bis zum Abitur nicht abgewählt werden. So sorgt das Fach vermutlich wie immer schon für durchgelernte qualvolle Nächte, Frust, Sitzenbleiben, und am Ende ist man noch dank der Mathematik durchs Abitur gefallen.

Über allem die immerwährenden und verzweifelten Fragen: "Wozu muss ich das denn alles lernen? Das brauche ich doch im Leben später nie wieder!" Stimmt das denn? Ist Mathematik wirklich eine verstaubte und realitätsfremde Wissenschaft, für die technischen Aspekte unseres Lebens bestimmt wichtig, aber ansonsten komplett unbrauchbar? Eine Wissenschaft, die sich um Zahlen dreht, deren Inhalte aber immer durch die Unerklärbarkeit sich wie fremde Magie dem Verständnis des Normalsterblichen entziehen?

Mathematik: "Gewachsene Ressource der menschlichen Kultur"

"Wir haben von Natur aus einen Mathematik-Sinn" postuliert dagegen der bekannte Mathematikprofessor und Buchautor Christian Hesse in seinem neuen Buch "Leben² –  Wie Sie mit Mathematik Ihre Ehe verbessern, länger leben und glücklich werden".

Gleich drei Verheißungen auf einen Schlag also blitzten dem Leser auf dem Cover entgegen. Die Mathematik ermöglicht, dass die Heizung heizt, der Flieger fliegt und die Brücke nicht einbricht und soll noch Hilfe bei Alltagsproblemen leisten? Das verspricht, interessant zu werden. Glaubt man Hesse, hat Mathematik die Gabe, Menschen glücklich zu machen.

Mit ihr könne man optimale Entscheidungen treffen, unter vielen Möglichkeiten das Beste finden, gute Kompromisse schließen und sogar die Existenz Gottes beweisen! Für Hesse ist die Mathematik nicht nur ein "grandioses Abenteuer" im Kopf, sondern eine über lange Zeit "gewachsene Ressource der menschlichen Kultur".

Das wird in den 31 unterhaltsamen und sehr lehrreichen Kapiteln seines Buches mehr als deutlich. Kurzweilig und witzig behandelt Hesse hier interessante Fragen, die mitten aus dem Leben gegriffen sind, so zum Beispiel wie man Scheidungsscharmützel vermeiden kann, wie eine neidfreie Aufteilung lästiger Pflichten gelingen kann, wie man ärztliche Diagnosen realistisch einschätzen kann und wie trotz oder besser gesagt mit Streit und Konflikt am besten den Zustand erreicht, den alle Menschen erträumen: in Glück und Zufriedenheit leben!

Buchcover

Eins ist klar: Natürlich gibt es für das gelungene Leben keine Patentrezepte, Philosophielehrstühle wären sonst arbeitslos. Aber um eigene Standpunkte zu überdenken und eingefahrene Verhaltensmuster und Lösungsstrategien zu überprüfen, dazu leistet Hesses Band einen wertvollen Beitrag – in formelfreier Sprache, als Lektüre für Minuten gedacht: "Vor dem Einschlafen. Oder nach dem Aufwachen am Wochenende. Oder einfach mal für zwischendurch".

Christian Hesse: Leben², Wie Sie mit Mathematik Ihre Ehe verbessern, länger leben und glücklich werden, Gütersloher Verlagshaus, 205 Seiten, 18 Euro.