Finger tippt auf einem mobilen Festnetztelefon
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Kommunikation
Die Angst vor dem Telefonieren wächst

Die Art, wie wir kommunizieren, wandelt sich. Viele tippen lieber statt zu reden. Immer häufiger führt die Abneigung zu Telefonphobien.

Von Susanne Kupke 22.02.2020

Per Anruf schnell eine Pizza bestellen oder den Friseurtermin ausmachen. Keine große Sache, könnte man meinen. Für manche aber doch. Für Stephanie Cao zum Beispiel. Die 23-jährige Berliner Studentin ist sprachgewandt und hat auf Youtube mehr als 3.000 Abonnenten. Sie hat keine Hemmungen, im Internet ein mehrminütiges Video von sich einzustellen. Aber sie hat Angst, einen Arzttermin telefonisch zu vereinbaren.

Wie andere auch tippt sie lieber ins Smartphone oder nimmt lange Wege zur Terminvereinbarung auf sich. Hauptsache nicht telefonieren. Telefonphobie nennt man das. Sie könnte zu einer neuen Ausprägung der Sozialphobie werden, meint Dr. Nadine D. Wolf, auf Phobien spezialisierte Oberärztin der psychiatrischen Klinik am Uni-Klinikum Heidelberg. Grund ist das veränderte Kommunikationsverhalten.

Philippe Wampfler, Medienpädagoge und Dozent an der Uni Zürich, beschreibt die Veränderung so: "Früher hatte man drei Möglichkeiten, wenn man sich den Rasenmäher des Nachbarn ausleihen wollte: telefonieren, einen Brief schreiben oder rübergehen. Heute schreibt man schnell eine WhatsApp. Das ist der Weg des geringsten Widerstands."

Vor allem junge Menschen telefonieren seltener

Laut der JIM-Studie 2018 – JIM steht für Jugend, Information Medien – tauschen sich 95 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland regelmäßig allein über diese Kommunikationsplattform aus – im Schnitt erhalten sie 36 Nachrichten pro Tag. Nur jeder Fünfte nutzte täglich noch das Smartphone zum Telefonieren.

"Ich denke, Menschen hatten auch früher Hemmungen, jemanden anzurufen", meint Medienpädagoge Wampfler. "Aber nach der Schulzeit oder dem Studium und im Job haben sie gelernt, zu telefonieren. Einfach, weil sie es mussten. Das geht heute angenehmer." Wenn Telefonphobie zunimmt, liegt das nach seiner Meinung an der sogenannten Affordanz, dem Angebotscharakter der Medien. Das muss nicht zum Problem werden. Aber es kann.

Das Internet ist voll von Berichten Betroffener, Blogs zum Thema und von guten Tipps gegen die Telefonangst. Stephanie Caos Video, in dem sie beschreibt, warum sie Telefonieren hasst, spricht offenbar vielen aus dem Herzen: "Ich bin so erleichtert", schreibt eine junge Frau. Sie dachte, sie sei die einzige mit dem Problem.

Für die Heidelberger Psychiaterin Wolf gibt es eine Reihe von Gründen, warum jemand Hemmungen vor dem Telefonieren hat: "Angst, abgelehnt zu werden, Angst davor, sich am Telefon peinlich oder erniedrigend zu verhalten, oder einfach auch davor, dass man am Telefon ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und mit unbekannten Personen spricht."

Sie sieht Telefonphobie als eine Art der Sozialphobien, die gerade bei jungen Menschen verbreitet sind: "Es gibt Hinweise, dass bis zu 17 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren darunter leiden." Junge Frauen mehr als Männer. Von Erröten, Zittern, Stottern bis hin zur Angst vor Erbrechen oder Einnässen – die Symptome vor gefürchteten Situationen können nach Erfahrung der Medizinerin für Betroffene gravierend sein.

Übung macht den Meister

Das neue Verhaltensmuster sollte aus Sicht der Medizinerin nicht grundsätzlich pathologisiert werden. Ärztlichen Rat sollte man suchen, wenn die Angst so groß ist, dass es den Alltag einschränkt. "Dann sollte man unter therapeutischer Anleitung Telefonieren wieder neu lernen", sagt sie. Helfen könnten niedergelassene Psychiater oder Psychotherapeuten – und ergänzend Selbsthilfegruppen, in denen man sich mit Gleichgesinnten austauschen kann.

Telefonphobie kommt nach Beobachtung von Medienpädagoge Wampfler vor allem im beruflichen und administrativen Bereich oder bei Fremden vor. Doch was macht Telefonieren so schwer? "Hemmungen und Ängste in Bezug auf Telefonieren werden größer, weil die Übung mit dem Umgang der Technik des Telefonierens verloren geht", vermutet er.

Hinzu kommt nach Angaben von Psychiaterin Wolf: "Bei der schriftlichen Kommunikation sind mehr als 90 Prozent der Kommunikationsmuster wie Mimik, Gestik oder Betonung von Aussagen ausgeblendet." Man ist nicht sichtbar – und so weniger angreifbar. Beim Telefonat muss dagegen flexibel und spontan reagiert werden. "Das ist eng geknüpft an Sozialkompetenz."

Ihr zufolge ist es zunächst wichtig, dass Betroffene den Teufelskreis durchbrechen, der durch eine ständige Vermeidungsstrategie entstehen kann. Sie empfiehlt, das Telefonieren bewusst zu üben. "Dazu kann man sich zum Beispiel Stichwörter notieren oder sich einen einleitenden Satz aufschreiben. Und ganz wichtig: Lächeln hilft!" Wer andere zum Telefonieren vorschickt, handelt nach Meinung der Experten nur auf kurze Sicht clever.

dpa