Publizieren
Die Bedeutung der Verlage wandelt sich
Wissenschaftsverlage halte ich für notwendig – auch in Zeiten der Digitalisierung. Wir müssen jedoch darüber nachdenken, was sie leisten sollen und zu welchen Konditionen.
Dabei geht es "in Zeiten der Digitalisierung" gar nicht um die Technik, die das Publizieren billiger und einfacher macht, sondern um die Etablierung von neuen Geschäftsmodellen, die die Ergebnisse aus der Wissenschaft vor der Geiselhaft der Verlage (in Form von Bezahlschranken) schützt. In den DEAL-Verhandlungen sitzt die Wissenschaft höchst profitablen Großkonzernen gegenüber, die sich mit der Frage konfrontiert sehen, ob und wie lange sie noch ihr obsoletes und unfaires – aber auch sehr profitables – Geschäftsmodell weiterverfolgen wollen.
Im Folgenden geht es mir hauptsächlich um wissenschaftliche Zeitschriften, weil dort der Streit um Zugang und Kosten zurzeit mit aller Härte ausgefochten wird. Bücher müssten separat betrachtet werden.
Publikationspraxis im Wandel
Ohne die Veröffentlichung und Verbreitung von Ergebnissen und Erkenntnissen hätte die Wissenschaft für unsere Gesellschaft keinen Wert, ohne Sicherung und langfristige Dokumentation ginge der Wert der Forschung irgendwann verloren. Das Veröffentlichen ist also wichtig. Nach erfolgter "Publikation" müssen Ergebnisse der Wissenschaft aber auch öffentlich zugänglich sein und bleiben!
Meinen ersten Aufsatz habe ich, im Frühjahr 1985 als Doktorand am M.I.T., noch handschriftlich mit einem Bleistift verfasst, bevor er mit einer Kugelkopf-Schreibmaschine getippt wurde. Der Text ging erst dann per Post an die Redaktion des Journal of Combinatorial Theory, Series A. Er wurde, wiederum postalisch, an zwei mir unbekannte Gutachterinnen oder Gutachter geschickt, die meine Arbeit kritisch gelesen und korrigiert haben. Nachdem ich den Aufsatz auf Grundlage der Rückmeldungen verbessert hatte, wurde er nach einer erneuten Begutachtung schließlich angenommen. Der Verlag (Academic Press) übernahm dann den Satz des Textes, ließ auch die Reinzeichnung der beiden Abbildungen anfertigen. Zum Schluss wurden die Fahnen verschickt und korrigiert, und endlich, im Sommer 1986, kam es zur Publikation. Das war ein aufwändiger Prozess.
"Dank der Digitalisierung ist die Arbeit der Verlage im Vergleich zu 1985 sehr viel einfacher und kostengünstiger geworden."
Wenn ich heute in der Mathematik Aufsätze publiziere, dann setze ich die Texte und erstelle auch die Abbildungen selbst. Der Verlag erhält gleich den fertigen Aufsatz in Druckqualität. Er wird per Email zur Begutachtung verschickt, und schließlich im Netz veröffentlicht. Dank der Digitalisierung ist die Arbeit der Verlage an wissenschaftlichen Zeitschriften im Vergleich zu 1985 sehr viel einfacher und kostengünstiger geworden, der Aufwand hat sich deutlich reduziert.
Verlegen heißt heute: Bereitstellung der dafür notwendigen technischen Infrastruktur und Editorial Boards organisieren, steuern, motivieren – die dann mit Autorinnen und Autoren kommunizieren, Gutachterinnen und Gutachter gewinnen und verantwortliche Entscheidungen treffen.
Digitalisierung heißt: Eigentlich können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Arbeit der Verlage weitgehend selbstständig und unabhängig übernehmen. Eine wissenschaftliche Zeitschrift herauszugeben braucht Engagement und Ausdauer, die Technik stellt nicht mehr das Hauptproblem dar. Ein Vorbild aus meinem Fach ist das bereits 1994 von Mathematikern gegründete Electronic Journal of Combinatorics. Es bietet seinen Service kostenlos für Autoren an – und für die Leserschaft gibt es keine Zugangs- oder Abonnementgebühren. Alles ganz ohne Verlag. Die impliziten Kosten tragen die Universitäten der Herausgeber.
Impact-Faktor entscheidet über Karrieren
Aber warum publizieren wir nicht einfach alles in von uns selbst betriebenen Zeitschriften, Open Access, ohne Verlage, ohne Gebühren?
Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass Zeitschriften Renommee-Maschinen sind, die nach ihren Impact-Faktoren bewertet werden – so dass in der Mathematik etwa schon für einzelne Publikationen in den Annals of Mathematics oder den Inventiones Mathematicae Professuren vergeben wurden. Ähnliches kann in den Naturwissenschaften beobachtet werden, hier entscheiden Science, Nature und Cell über Karrieren.
Die Defizite der Begutachtungs- und Publikationspraxis solcher Zeitschriften sind allgemein bekannt, auch dass die Impact-Faktoren nichts über die Qualität einer einzelnen Publikation aussagen. Aber trotzdem: Journale machen Karrieren! Und daher kann eine etablierte Zeitschrift nicht so einfach durch einen neuen, verlagsunabhängigen Titel ersetzt werden, das Renommee wandert nicht automatisch mit. Leider gibt es bisher nur wenige Erfolgsbeispiele für das "Flippen" von Zeitschriften, entweder zu weniger renditegesteuerten Verlagen oder gleich aus der kommerziellen Verlagswelt heraus.
Und ein weiterer Grund: Das Verlegen und das Betreiben von Zeitschriften, verbunden mit der zugehörigen administrativen Last und Verantwortung, aber auch der enormen zeitlichen Bindung, sind keine Kernaufgaben von uns Forschenden.
Alte Geschäftsmodelle müssen aufgebrochen werden
Zurzeit lassen sich die meisten Verlage nicht für das Verlegen bezahlen, sondern für das Bereitstellen zum Lesen, nach dem "Subskriptionsmodell". Sie bekommen die Ergebnisse der mit Steuern finanzierten Forschung von der Wissenschaft geschenkt – in Form von druckfertigen Aufsätzen. Der Verlag leistet relativ wenig, nimmt den fertigen Aufsatz dann aber in Geiselhaft: der publizierte Aufsatz verschwindet hinter einer Bezahlschranke, das Geschenkte wird den interessierten und steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürgern, der Wissenschaft und selbst den Autorinnen und Autoren also teuer zurückverkauft.
Parallel zum Prozess der Digitalisierung verlief zudem eine Konzentration im Verlagswesen, die dazu geführt hat, dass "die drei Großen", Elsevier, Springer-Nature und Wiley, inzwischen einen großen Teil des wissenschaftlichen Publizierens betreiben. Das führt zu "Economy of Scale" – denn eine Software-Plattform zu bauen und zu pflegen, die den Publikationsprozess unterstützt, lohnt sich für eine einzelne wissenschaftliche Zeitschrift kaum, für tausend Zeitschriften im Portfolio aber sehr wohl.
Im Rahmen des Konzentrationsprozesses entstand auch eine immer größere Marktmacht. Weil der Zugang zu Ergebnissen der Forschung für die Wissenschaft essenziell ist und Aufsätze keine substituierbare Ware sind, können Verlage die Preise diktieren – und haben das über viele Jahre hemmungslos getan. Das führte für die Bibliotheken zu unerträglichen Kostensteigerungen und für die Verlage zu weit über 30 Prozent return on investment.
Der grundlegende Fehler liegt im Geschäftsmodell: Wenn die Verlage für die Wissenschaft verlegen, dann dürfen sie auch nur für das Verlegen bezahlt werden – und der verlegte und "veröffentlichte" Aufsatz muss dann öffentlich zugänglich sein, ohne weitere Bezahlschranken: Open Access.
Weil diese Vision lange nicht vorankam und gleichzeitig Preissteigerungen im Subskriptionsmodell der Verlage den Zugang zu den Ergebnissen der Wissenschaft zunehmend gefährdeten, mussten wir Vertreter aus der Wissenschaft aktiv werden. So wird im Rahmen des Projekts DEAL das Ziel verfolgt, bundesweite Lizenzverträge mit großen Wissenschaftsverlagen für deren gesamtes Portfolio elektronischer Zeitschriften abzuschließen – und dabei den Systemwechsel in ein faires Open-Access-Modell zu schaffen. Der DEAL-Ansatz verlangt eine transparente "Publish & Read-Fee": Für jeden Aufsatz wird nur einmal bezahlt, und zwar beim Publizieren. Bezahlen sollen auch nicht die Erstautorinnen und -autoren selbst, sondern deren Institutionen.
Mit Wiley konnte nach langen Verhandlungen im Januar eine Vereinbarung getroffen werden. Ein analoger Vertrag mit Springer-Nature war bisher noch nicht realisierbar, und Elsevier verweigert sich nach wie vor einem konstruktiven Gespräch. Versuchen die Verlage etwa das bisherige Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten, solange es nur geht? Wir müssen darauf bauen, dass ein Systemwechsel, und sei es zunächst nur mit einem Verlag in einem einzelnen Land, was mit dem Wiley-Vertrag nun angestoßen wurde, zu einem unaufhaltsamen Dominoeffekt führt.
Elsevier ist der größte, wohl der profitabelste, aber auch der rücksichtsloseste Verlag seiner Art – daher wurde er zur Zielscheibe von "Cost of Knowledge". Ob sich daran etwas ändert, entscheidet sich nun in harten und langwierigen Verhandlungen, die hoffentlich bald zu fairen Verträgen für Wissenschaft und Gesellschaft führen. Ich bin zuversichtlich, dass Verlage, die ihre Geschäftsmodelle aus dem 20. Jahrhundert fortführen möchten, überflüssig werden.