Biathlet auf der Strecke. Im Hintergrund die Skischanze von Zhangjiakou, alles ist von einer dünnen Schneeschicht überzogen, auf den Bäumen liegt allerdings kein Schnee.
icture alliance/dpa | Angelika Warmuth

Olympische Winterspiele
"Die unnachhaltigsten Spiele aller Zeiten"

Zwischen Menschenrechten, Corona-Regeln und künstlichen Skigebieten: Die Winterspiele 2022 in China waren noch vor ihrem Beginn in der Diskussion.

Von Charlotte Pardey 17.02.2022

Die Olympischen Winterspiele in Peking 2022 sind fast vorbei. Am Sonntag findet die Abschlussfeier statt. Schon im Vorfeld der Spiele gab es an vielen Punkten Kritik: An der Situation der Menschenrechte in China, der Behandlung von Minderheiten, an dem Umgang mit der Corona-Pandemie und ihren Folgen für die Sportlerinnen und Sportler. Allen voran aber wurde die Nachhaltigkeit der Winterspiele in China kritisiert.

Hydrologie-Professorin Carmen de Jong von der Universität Straßburg kritisierte schon vor Beginn der Spiele die Wintersportstandorte, die aus dem Boden gestampft worden seien. Sie nannte die Winterspiele in Peking gegenüber dem "Deutschlandfunk" die "unnachhaltigsten aller Zeiten", weil sie zu 100 Prozent auf Kunstschnee stattfinden sollten. Gegenüber "Forschung & Lehre" sagte sie, dass der Umfang der Beschneiung durch künstlichen Schnee sogar größer sei als erwartet: "Es ist nicht nur so, dass die Zufahrtsstraßen zu den Skipisten beschneit werden, sondern flächendeckend das ganze Gebiet – in Zhangjiakou etwa ist zwischen der Skisprungschanze und der Halfpipe der Snowboarder alles mit Schnee bedeckt worden. Das ist eine extreme Wasserverschwendung."

Globaler Trend zu Kunstschnee im Wintersport

Die Olympischen Spiele von Peking seien zwar das schlimmste Beispiel, aber auch Teil eines Trends. Die Veranstaltungsorte Sotchi und Pyeongchang fanden bereits zu 80 beziehungsweise 90 Prozent auf Kunstschnee statt, so de Jong. Es sei eine Bedingung des Internationalen Olympischen Komitees, die alle Ausrichter verpflichte, Kunstschnee als Sicherheit herzustellen. Einerseits habe der Klimawandel bewirkt, dass auf natürlichen Schnee kein Verlass mehr sei. Im Fall der Pekinger Standorte sei der Schneemangel allerdings nicht auf den Klimawandel zurückzuführen, sondern auf die natürlich auftretenden, extrem trocknen Verhältnisse im Winter.

Auch der internationale Skiverein Fédération Internationale de Ski (FIS) verlangt von den Austragungsorten seiner Weltcups weltweit Kunstschnee, erläutert die Forscherin. Besonders problematisch sei das in den Alpen. Das Tourismusprotokoll der internationalen Alpenkonvention besagt, dass die jeweils innerstaatlichen Rechtsvorschriften "die Erzeugung von Schnee während der jeweiligen örtlichen Kälteperioden zulassen" können, "insbesondere um exponierte Zonen zu sichern". Man darf allerdings nur beschneien, wenn die "hydrologischen, klimatischen und ökologischen Bedingungen es erlauben". Das Problem ist laut de Jong, dass nicht mehr genug Wasser lokal vorhanden ist. Dies könne man so interpretieren, dass die hydrologischen und ökologischen Bedingungen die Beschneiung nicht erlaubten. "Außerdem ist die Temperatur ein Problem: Es ist teilweise einfach zu warm zum Beschneien und die Zeitfenster im Winter, die die Beschneiung zulassen, werden durch den Klimawandel immer kürzer und sporadischer", so die Hydrologin.

Die Winter seien viel kürzer geworden und man habe in den Alpen mehr als sechs Wochen Schneedauer seit den 1970er Jahren verloren. In den Alpen benötigt man zwischen 3.000 und 6.000 Kubikmeter Wasser pro Hektar für die Herstellung des künstlichen Schnees, so de Jong. Da die Einzugsgebiete der Speicherbecken zu klein seien, werde auch von weiter her Wasser zu den Skigebieten gepumpt.

"Es ist unklar, welche Auswirkungen das auf die Bodenfauna und die Vegetation hat, wenn Böden, die vorher nie gefroren waren, jetzt auf einmal dazu gezwungen werden."

Problematischer noch ist die Lage in den olympischen Skigebieten in China: Dort sei es extrem trocken und windig, weshalb mehr künstlicher Schnee auf die Pisten aufgebracht und so mehr Wasser eingesetzt werden müsse, um das gleiche Endprodukt zu erzielen. Die Böden in den beiden Skigebieten Yanqing und Zhangjiakou seien derart trocken, dass sie natürlicherweise nicht gefrieren würden. Zunächst müssten sie bewässert werden, bevor die Kunstschneedecke aufgebracht werden könne. "Es ist unklar, welche Auswirkungen das auf die Bodenfauna und die Vegetation hat, wenn Böden, die vorher nie gefroren waren, jetzt auf einmal dazu gezwungen werden" erklärt De Jong. Nach der Beschneiung werde weiteres Wasser durch Bohrungen in den Kunstschnee auf den Pisten eingebracht, um ihn noch härter und resistenter zu machen. "Ich habe berechnet, dass der Wasserbedarf in China bei etwa 12.000 Kubikmeter Wasser pro Hektar liegen müsste, also etwa drei bis viermal so hoch, wie in den Alpen", so de Jong.

In der Gegend, in der die Skigebiete liegen, gebe es nur ein bis zwei Zentimeter Schnee pro Monat, fast das gesamte benötigte Wasser müsse von weiter entfernten Regionen hergepumpt werden. Für die alpine Abfahrt in Yanqing komme das Wasser aus zwei unterschiedlichen Reservoiren, die sieben beziehungsweise 30 Kilometer entfernt seien. Zusätzlich müsse das Wasser auch noch 1.700 Meter den Berg hochgepumpt werden. "Das ist das Unglaublichste, das Unnachhaltigste an der ganzen Sache", so de Jong. In Zhangjiakou sei es ähnlich, das Wasser wird hier von 30 Kilometer Entfernung immerhin noch 1.000 Meter hochgepumpt. Veranschlage man nun die Menge Wasser, die man für die Beschneiung der Spiele benötige, laut de Jongs Berechnungen ungefähr 2,5 Milliarden Liter Wasser, dann entfielen auf das Pumpen allein über zehn Gigawattstunden Energie. "Und das kommt alles nicht in den Nachhaltigkeitsberichten der Olympischen Spiele vor", so die Expertin. Der grüne Strom sei nur für die Schneekanonen und Sportanlagen vorgesehen, nicht aber für das Wasserpumpen.

Grüner Strom und Nachhaltigkeitsversprechen

Auch die vielzitierte Aussage, dass alle Fahrzeuge vor Ort mit grünem Strom fahren, hält die Hydrologin für falsch: Pistenraupen etwa, die den Schnee verteilen, liefen mit Diesel. Auch andere durch die Ausrichter kommunizierten Maßnahmen zweifelt de Jong an. Sie hat festgestellt, dass für die Einrichtung der Skigebiete die Grenzen des Naturschutzgebiets "Sonshang" neu gezogen wurden, so dass 25 Prozent des ursprünglichen Gebiets verloren gingen. Dadurch, dass das neue Gebiet eine größere Fläche habe, werde die Neuausrichtung als Naturschutzmaßnahme verkauft. Dies sei allerdings falsch: Das ursprüngliche Kerngebiet habe eine besonders hohe Biodiversität gehabt und mongolische Eichenwälder beinhaltet, die Heimat des goldenen Leoparden, von dem es nach letzten Zählungen nur noch weniger als 20 Individuen gebe. "Dieses Kerngebiet ist nun völlig durchschnitten von Skipisten und Zufahrtsstraßen, Hubschrauberlandeplätzen und Parkplätzen." Zu der Habitatzerstörung komme auch der Lärm der Pistenraupen und Schneekanonen und die Lichtverschmutzung durch die Beleuchtung der Maschinen. "Das neue Naturschutzgebiet nebenan bekommt die ganzen Auswirkungen natürlich auch ab", erläutert de Jong.

"Dieses Kerngebiet ist nun völlig durchschnitten von Skipisten und Zufahrtsstraßen, Hubschrauberlandeplätzen und Parkplätzen."

Als positive Maßnahme wird von chinesischer Seite etwa im "Pre-Games Sustainability Report" von Januar 2022 die Umsiedlung von über 20.000 Bäumen seit 2017 erwähnt. Bis Juni 2021 nennt der Report eine Erfolgsrate von 90,7 Prozent für die Umpflanzungen. Die Bäume seien an eine Lage von 2.000 Höhenmetern angepasst gewesen, weshalb de Jong daran zweifelt, dass sie unter anderen Boden- und Klimabedingungen langfristig gedeihen können.

Ein weiterer Punkt, der die Unnachhaltigkeit der Olympischen Spiele zeige, sei die Umsiedelung mehrerer Dörfer und die Zerstörung der betriebenen Terassenlandwirtschaft. Die Dörfer seien ersetzt worden durch das olympische Dorf, also Luxushotels, Parkplätze und Straßen und die landwirtschaftlichen Terrassen durch Skipisten oder geometrischen Plantagen mit nichtheimischen Koniferen. Die Organisatoren der Olympischen Spiele stellen dies als Infrastrukturmaßnahme und Entwicklung der Region dar.

Generell, so de Jong, habe Wintersport ein Nachhaltigkeitsproblem. Besonders groß seien die Eingriffe für Olympische Spiele, auch weil es dort um eine Menge Prestige gehe. "Für die richtige Fernsehoptik wird schon einiges geopfert." Allerdings sei in Peking der Maßstab ein ganz anderer: "Das ist eine extreme Kunstwelt, so wie ich es eben bis jetzt so nicht gesehen habe."