Blick von oben auf einen Mann im Homeoffice am Schreibtisch.
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Ende der Homeoffice-Pflicht
"Die Zeiten von 'One-size-fits-all' sind vorbei"

Die Rückkehr ins Büro sollte durch Angestellte und Führungskräfte bewusst begangen werden. Wie, erklärt der Arbeitspsychologe Professor Hannes Zacher.

Von Charlotte Pardey 30.06.2021

Forschung & Lehre: Mit dem Ende der Homeoffice-Pflicht kommt die Rückkehr ins Büro. Was bedeutet diese Rückkehr psychologisch?

Hannes Zacher: Nach unseren Studien geht eine sehr gemischte Gefühlslage mit der Rückkehr ins Büro einher. Extravertierte Menschen haben während der Lockdowns mehr Stress erlebt. Für introvertierte Menschen waren die Einschränkungen und auch das isolierte Arbeiten im Homeoffice weniger stressig. Auf die Rückkehr ins Büro freuen sich eher extravertierte Menschen, auf den sozialen Kontakt, auf mehr Austausch, mehr Nähe. Introvertierte Menschen sehen den Veränderungen mit gemischten Gefühlen entgegen. Allgemein berichten viele Erwerbstätige, dass sie gut im Homeoffice arbeiten konnten und dieses Vorteile für sie hatte: Eine erhöhte Flexibilität, der Wegfall des Pendelns, das ungestörte, konzentrierte Arbeiten, beispielsweise. Außerdem berichten viele, dass sie eine gewisse Unsicherheit bei der Einhaltung von Hygieneregeln oder hinsichtlich der unsicheren weiteren Entwicklung der Pandemie spüren.

Hannes Zacher ist Universitätsprofessor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Institut für Psychologie – Wilhelm Wundt, Universität Leipzig. Universität Leipzig / Swen Reichhold

F&L: Wie sollen Unternehmen mit diesen unterschiedlichen Bedürfnissen umgehen?

Hannes Zacher: Eine ganz wichtige Rolle kommt da den Vorgesetzten zu, in Unternehmen, auch in Universitäten. Sie sollten ganz individuell vorgehen, möglichst persönliche Rückkehrgespräche führen. In diesen kann darüber gesprochen werden, wie man die Vorteile des Homeoffice im Büro nutzen könnte, beispielsweise indem vereinbart wird, dass es bestimmte Zeiten für das ungestörte Arbeiten gibt, oder, dass es weiterhin an ein bis zwei Tagen in der Woche die Möglichkeit gibt, im Homeoffice zu arbeiten. Es ist auch sehr wichtig, das Team wieder zusammenzubringen, zum Beispiel durch Präsenztreffen im Freien oder in größeren Räumen mit Abstand. Es ist eine ganz zentrale Führungsfunktion, individuell auf die Mitarbeitenden einzugehen, auf die Bedürfnisse zu achten und gleichzeitig aber auch darauf zu schauen, dass die Aufgaben erledigt werden. Diesen Spagat zu schaffen, das ist manchmal nicht so leicht. Eine dritte Funktion wäre es, die Veränderung zu begleiten, beziehungsweise darüber zu sprechen und sie gut zu managen.

F&L: Das Homeoffice begann mit der Corona-Pandemie sehr plötzlich und startete daher mit Anpassungsschwierigkeiten. Kann man daraus für die Rückkehr ins Büro etwas lernen?

Hannes Zacher: Nach unseren Langzeitstudien ging der Wechsel ins Homeoffice ziemlich schnell. Dann hat es aber gedauert, bis die Menschen sich angepasst hatten. Auch die Rückkehr erfolgt nicht sofort. Natürlich fällt jetzt die Homeoffice-Pflicht zum Ende des Monats, aber psychologisch dauert es, vom Online- wieder in den Präsenzmodus zu kommen. Ganz wichtig ist, dass Führungskräfte dies begleiten und die unterschiedlichen Gefühle der Mitarbeitenden auffangen. Da ist genauso viel Flexibilität notwendig, wie zu Beginn der Homeoffice-Zeit. Im Homeoffice wurden Routinen etabliert. Es ist sinnvoll, nun keinen harten Schnitt zu machen, sondern eine möglichst graduelle Rückkehr zu planen, so dass neue Routinen entwickelt werden können. Man braucht jetzt einen Übergang zu einer guten, hybriden Kultur.

F&L: Was sollten Arbeitnehmer bei der Rückkehr ins Büro beachten?

Hannes Zacher: Während der ganzen Pandemie empfehle ich als Psychologe, viel Achtsamkeit für sich selbst zu haben und die eigenen Bedürfnisse und Grenzen bei der Arbeit zu beachten. Dadurch wird gut klar, wo es womöglich auch Änderungsbedarf gibt. Es ist auch wichtig, sich zu überlegen, wie man mit der Bürosituation so umgehen kann, dass man genauso zufrieden ist, wie im Homeoffice. Welche Erfahrungen kann man mit in den Büroalltag übernehmen? Gleichzeitig muss man auch ein Gespür dafür haben, wie es den anderen im Team mit der Situation geht und dass es unterschiedliche Bedürfnisse nach Präsenz und Kontakten gibt. Viele sind vorsichtiger und wollen weiterhin große Abstände halten.

F&L: Haben Sie Einsichten, inwiefern das Homeoffice die Produktivität eingeschränkt hat?

Hannes Zacher: Grundsätzlich haben wir keinen Leistungsabfall oder Leistungsunterschiede zwischen Menschen im Homeoffice und Menschen, die nicht im Homeoffice arbeiten, gesehen. Was wir jedoch in unseren Studien gefunden haben, ist, dass es durchaus Lockdown-Effekte gibt. Starke Veränderungssituationen, wie der Wechsel ins Homeoffice während des ersten oder auch des zweiten Lockdowns, wirken sich auf das Arbeitserleben und das Arbeitsverhalten aus. Was wir aber auch sehen ist, dass es eine große Anpassungsfähigkeit und Resilienz gibt. Also, dass Menschen schnell wieder zu ihrem Ausgangsniveau zurückkehren können. Das Homeoffice an sich ist nicht der wesentliche Punkt, sondern eher, wie gut man sich an die veränderte Situation anpasst.

F&L: Sie hatten das Thema Flexibilität angesprochen. Wie fühlt es sich für Arbeitnehmer an, wenn Flexibilität eingebüßt wird? Sollte Arbeit diese Flexibilität überhaupt bereithalten oder ist Arbeit Pflicht und es gibt da gar keinen Raum für Flexibilität?

Hannes Zacher: Um zufrieden und produktiv zu arbeiten, sollten möglichst drei grundlegende Bedürfnisse von Arbeitnehmern erfüllt sein. Zunächst das Bedürfnis, autonom handeln zu können, also selbst Entscheidungen zu treffen. Zweitens möchten sich Erwerbstätige als kompetent erleben und wünschen sich Anerkennung für ihre Expertise. Das dritte Bedürfnis sind gute soziale Beziehungen bei der Arbeit. Mit der Rückkehr ins Büro werden die sozialen Beziehungen wieder gestärkt. Auf der anderen Seite kann diese Rückkehr auch so erlebt werden, dass die eigene Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird. Da spielt dann prozedurale Gerechtigkeit eine große Rolle, also dass klar ist, warum Entscheidungen getroffen werden. Es ist problematisch, wenn gesagt wird, alle müssten zurück ins Büro ohne, dass ein Sachgrund geliefert würde. Im schlimmsten Fall steht dies direkt neben dem Gefühl der Erwerbstätigen, dass sie sehr gut und produktiv im Homeoffice gearbeitet haben. Führungskräfte sollten sehr genau darauf achten, dass sie erklären, warum die Zusammenarbeit im Büro notwendig ist, wenn es auch im Homeoffice ging. In vielen Fällen ist sicher auch die Einigung auf ein Misch-Modell ratsam.

F&L: Wie ist das im universitären Kontext? Ist es da anders als in der freien Wirtschaft?

Hannes Zacher: In vielen Arbeitsgruppen wird der Arbeitsort sehr flexibel gehandhabt, solange die Ergebnisse stimmen. Die meisten Professorinnen und Professoren, ebenso wie ihre Mitarbeitenden, sind mit Homeoffice- Arbeit gut vertraut. Das ruhige, konzentrierte Arbeiten im Homeoffice kommt den Bedürfnissen von Menschen in der Wissenschaft sehr gelegen. Studien zeigen, dass für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Produktivität während der pandemiebedingten Zeit im Homeoffice angestiegen ist, mit Ausnahme von denen, die kleine Kinder haben, die zu Hause betreut werden. Allerdings herrscht auch in der Wissenschaft die Ansicht, dass es zu viele Videokonferenzen waren, sowohl in der Lehre, als auch in anderen Meetings. Viele wünschen sich allerdings, wieder in Präsenz zurückzukehren. An der Universität besteht die Gefahr, dass Menschen sich ungerecht behandelt fühlen, wenn zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler alle im Homeoffice sind und die Verwaltungsangestellten vor Ort arbeiten müssen. Da ist es ganz wichtig, sensibel zu kommunizieren, warum bestimmte Entscheidungen getroffen werden und warum sie notwendig sind. Letztlich spielt es gar nicht so eine große Rolle, dass manche das Privileg Homeoffice haben und andere nicht, solange es erklärt wird. Ich glaube, dass die Zeiten von "One-size-fits-all", also allgemeinen Lösungen, vorbei sind und man dann tatsächlich individuelle Absprachen treffen muss.

Studien zur Befindlichkeit während der Corona-Pandemie

Professor Hannes Zacher und sein Team führen seit Dezember 2019 eine Langzeitstudie durch, die inzwischen von der VolkswagenStiftung im Rahmen eines Corona-Moduls finanziert wird. Noch immer befragen die Forschenden monatlich über 1.000 Erwerbstätige. Veröffentlicht wurden bereits Studien zum Stressempfingen während der Corona-Pandemie und zu Veränderungen im persönlichen Wohlempfinden während der Pandemie. In der neuesten Veröffentlichung im Rahmen des Projekts, die aktuell in Druck ist, beschäftigen sich Zacher und seine Mitautoren Professor Cort W. Rudolph und Melina Posch mit der Frage nach veränderter Produktivität durch die Pandemie.