Gastkommentar
Es geht nicht nur um die CEU
Wer die Central European University (CEU) in Budapest betritt, trifft unmittelbar auf ein Zitat ihres Gründers und eine Hommage an Karl Poppers Idee der Offenen Gesellschaft: "Denken kann nie vollständig mit der Realität mithalten. Die Realität ist immer komplexer als unser Verständnis."
Es ist eine Verneigung vor den Grundpfeilern der Popper‘schen Offenen Gesellschaft: der individuellen Freiheit, sowie der Verantwortung, die damit einhergeht, dem Streben nach fakten-basierter Falsifizierung von vermeintlichen Wahrheiten und der Absage an den historischen Determinismus, einer kausalen Vorbestimmtheit allen Geschehens.
Es ist ein Wissenschaftsverständnis, das die Annahme von alternativlosen Realitäten ablehnt und Universitäten zur politischen Neutralität verpflichtet. Es ist, letztendlich, dasselbe Wertefundament, auf das sich auch die Europäische Union beruft. Und doch befinden sich Universitäten momentan in einigen Ländern der EU ungewollt im Zentrum politischer Auseinandersetzungen.
Seit Anfang 2017 stellt die ungarische Regierung, unterstützt durch mediale und legislative Eingriffe, die Existenzberechtigung der CEU in Budapest in Frage. Während mehrere Artikel ungarischer, regierungsnaher Zeitungen – darunter die Wochenzeitung Figyelö ("Beobachter") – Anfang 2017 darauf abzielten, die Universität öffentlich zu diskreditieren, verabschiedete die Regierung zur gleichen Zeit im Eilverfahren, und ohne Konsultationen mit den betroffenen Parteien, ein Hochschulgesetz ("Lex CEU"), dass es der CEU unmöglich machen würde, den Betrieb ohne direkten Einfluss der Regierung aufrecht zu erhalten.
Kontrolle und Kalkulierbarkeit sind Pfeiler illiberaler Demokratien
Die CEU hat wiederholt versucht, den im Lex CEU festgelegten Vorgaben nachzukommen. Die Fristen dafür wurden zwar immer wieder von der Regierung verschoben. Auf die Angebote der Hochschule ist sie jedoch nicht eingegangen. Beobachter sehen in den Attacken vor allem eine Wahlkampfstrategie, die ihren Teil zur Wiederwahl der Regierung beitragen soll, verbunden mit der impliziten Hoffnung, dass sich nach dem Wahlsieg der Fidesz die Lage wieder normalisieren werde. Das Gegenteil ist letztendlich eingetreten.
Nach dem Wahlsieg veröffentlichte eine regierungsnahe Zeitschrift eine Liste mit vermeintlichen "Soros Söldnern", darunter viele Professorinnen und Professoren der Central European University. Diese Entwicklung kann nicht überraschen, ist sie doch in Einklang mit dem Wissenschaftsverständnis illiberaler Demokratien. Eine freie und autonome Wissenschaft kennt keine Grenzen – weder ideologisch noch thematisch. Die weltweite Zusammenarbeit von Forschern und der Glaube an faktenbasierte Erkenntnisgewinne bedeuten auch, dass der Ausgang wissenschaftlicher Studien nicht kalkuliert werden kann. Kontrolle und Kalkulierbarkeit jedoch sind entscheidende Pfeiler illiberaler Demokratien.
Diese Systeme beruhen nicht nur auf der Kontrolle der legislativen und judikativen Organe im Staat über Medien und die Zivilgesellschaft, sondern eben auch auf der Kontrolle wissenschaftlicher Forschung, um jegliche potenzielle Delegitimation der "Regierungslinie" zu verhindern.
Deren Legitimierung hat Vorrang vor den Unabwägbarkeiten individueller, autonomer Forschung. Daher kann es nicht überraschen, dass die legislativen Attacken gegen Universitäten auch von medialen Angriffen gegen einzelne Forschende begleitet werden; und es betrifft nicht nur die CEU.
Seit kurzem ist die Ungarische Akademie der Wissenschaften, insbesondere das Institut für Sozialwissenschaften, ins Zentrum gerückt. Die Akademie sieht sich ebenfalls einer politischen und medialen Attacke ausgesetzt. Politisch plant die Regierung, der Akademie der Wissenschaften die Entscheidungshoheit über ihr eigenes Budget zu nehmen. In Zukunft soll größtenteils ein neu geschaffenes Ministerium darüber entscheiden, welche Forschung Gelder erhält.
Liberale Wissenschaftler im Visier der Politik
Gleichzeitig veröffentlichte eine regierungsnahe Zeitschrift einen diffamierenden Artikel über einige namentlich genannte Wissenschaftler (teilweise mit Bild), die vermeintlich liberale oder linke Themenfelder erforschen – beispielweise Migration, Armut, Gleichberechtigung oder Rassismus. Da Forschungsergebnisse in diesen Themenbereichen das Potenzial besitzen, die momentane Regierungslinie zu delegitimieren, wird deren Erforschung logischerweise als ein Problem betrachtet.
Die Attacke auf die hochrenommierte Ungarische Akademie der Wissenschaften sollte jedem verdeutlichen, dass es nicht nur um die CEU geht. Das Ziel war von Anfang an die Beschränkung wissenschaftlicher Autonomie. Nur freie Forschung kann überraschende, neue Erkenntnisse liefern. Die Auswirkungen solcher Forschung sind von illiberalen Regierungen jedoch kaum kontrollierbar. Freie Forschung kann in einer illiberalen Demokratie daher nur als Bedrohung wahrgenommen werden.
Kurz nach der Verabschiedung der "Lex CEU" fand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Rede im Plenum des Europäischen Parlaments deutliche Worte: "Wenn wir dazu stehen; wenn wir ein Leuchtturm sein wollen für Rechtsstaat und Menschenrechte in der Welt, dann darf es uns nicht egal sein, wenn dieses Fundament im Inneren Europas wackelt. Und dann darf Europa nicht schweigen, wenn der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft – wie jetzt an der Central European University in Budapest – die Luft zum Atmen genommen werden soll." Mit dem momentanen Angriff auf die Ungarische Akademie der Wissenschaften wackelt nicht mehr nur das Fundament der CEU, sondern das Fundament exzellenter, unabhängiger Forschung in Ungarn insgesamt.
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