Zukunft der Universitäten
Gefährden Googles Abschlüsse die Hochschulen?
Auf einmal geht es schnell. Die Universitäten als jahrhundertealte Institution der höheren Bildung werden auf bisher nicht dagewesene Weise herausgefordert. Von einem einzigen Unternehmen: Google. Diese eher dystopische als utopische Disruption geht zurück auf einen Mix verschiedener Zutaten: Da wäre die notorische Beharrungstendenz der Institution Hochschule, die einhergeht mit einer sträflichen Unterschätzung der digitalen Transformation, insbesondere in der Lehre. Da wäre der Übergang von der debatten- und diskursfreudigen Hochschule der 68er Jahre hinein in eine durchökonomisierte und zugleich mit Titeln und Abschlüssen inflationierende Bildungslandschaft. Vorläufiger Höhepunkt dessen ist die Bologna-Reform und ihr europäisches Kredit-Score Punktesystem, das den dystopischen Feindbildern des chinesischen Social Credit Score zur Erfassung der Konformität auffällig nahekommt.
"Die Universitäten werden auf bisher nicht dagewesene Weise herausgefordert."
Und als Turboboost nun das Coronavirus, welches im wesentlichen drei hochschulrelevante Veränderungen mit sich bringt: Ad hoc Einzug digitaler Lehrformate; Notstandsgesetze, die enormen gestalterischen Spielraum öffnen, und zwar im Guten (Prävention) wie im Schlechten (Machtmissbrauch, Aushebelung demokratischer Prinzipien); und drittens eine Wirtschaftskrise, deren Ausmaße noch nicht absehbar sind, die aber jetzt schon tiefer und vor allem sektoriell umfassender ist als beispielsweise die Finanzkrise von 2008.
Als letzte, und für diese Betrachtung wichtigste Zutat schließlich wird die digitale Sphäre von einigen wenigen Großunternehmen angeführt, die derart umfassende Eroberungstendenzen an den Tag legen, die weit über das Ökonomische hinausgehen. In der stattfindenden "Digitalisierung der Gesellschaft" wird eine digitale Infrastruktur als zweite Schicht über die Infrastruktur aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Individuum gelegt, die das zuletzt gerade wieder erstarkende Konzept der Nationalstaaten empfindlich trifft durch digitale Plattformen und künstlich intelligente Algorithmen. Es ist durchaus möglich, dass die Welt eher nach Digital-Domänen von Plattform-Unternehmen organisiert wird, statt wie bisher durch Geographie oder zuletzt Nationalstaaten und harmonisierte Rechtsräume. Microsofts neuer Flugsimulator ist ein Beispiel für eine von einem Unternehmen geschaffene Simulation des Planeten, die mit realen Echtzeitdaten gefüttert wird.
Vorstoß ins Herz der klassischen Hochschule
In dieser Gemengelage unternimmt das Suchmaschinen-Unternehmen Google nun einen radikalen und gegenwärtig auf die USA beschränkten Vorstoß, der ins Herz der klassischen Hochschule trifft, da das Monopol staatlich anerkannter Abschlüsse geknackt wird – in einer Zeit, an der die physische Anwesenheit von Studierenden und Lehrenden ohnehin zur Disposition steht.
Der Angriff von Google entspricht dem, was das US-Militär "full spectrum dominance" nennt: Der Google Abschluss dauert sechs Monate statt vier Jahre, ist komplett online, kostet einen Bruchteil an Gebühren (wohlgemerkt im Vergleich zum US-System) und als Dolchstoß: Wird von Google als Arbeitgeber als äquivalent zu vierjährigen Universitätsabschlüssen bewertet. Google weist auch darauf hin, dass andere Arbeitgeber an den Absolventenpool angeschlossen werden. Darunter Schwergewichte wie Walmart, Best Buy, Intel, Bank of America und natürlich Google selber.
Rhetorisch poliert und ‚geframt‘ wird diese Eroberungsattacke von Google auf den zugegebenermaßen innovationsfeindlichen Bildungsmarkt mit heroischen Motiven, die Kent Walker von Google ausführt: 1. Patriotismus: Die rein nachfrageorientierten Google Zertifikate sollen laut Google helfen, Amerikas Wirtschaft wiederherzustellen und wieder aufzubauen. 2. Chancengleichheit: Die zurecht zu kritisierende Eintrittsschwelle in das teure US-Hochschulsystem wird aufgebrochen, da jeder an dem Kurs teilnehmen kann, der die Gebühren zahlt. Damit entfällt auch die hohe Verschuldung zum Beginn des Berufslebens. Und zuletzt 3: die Pandemie-Keule: "Wenn es irgendetwas gibt, was uns die Pandemie gelehrt ist, dann die Wichtigkeit der Rendite sowohl für Zeit und Geld", laut Justin Bariso ein langjähriges Defizit der traditionellen College-Ausbildung, mit dem Google nun aufräumt.
Konzentration auf "Mainstream-Studiengänge"
Welche Berufe und Studiengänge stehen also auf Googles Liste? Die geplanten Zertifikatskurse sind demnach nicht nach Fächern strukturiert, sondern nach Berufsgruppen. Google stellt drei Berufe vor, sowie dazu das durchschnittlich zu erzielende Jahreseinkommen: Projektmanager (93.000 Dollar), Datenanalyst (66.000 Dollar) sowie Nutzererlebnis-Designer (UX Designer: 75.000 Dollar). Diese drei Berufe fallen in die Fächer Betriebswirtschaftslehre, Psychologie und Informatik, also klassische Mainstream Studiengänge und Disziplinen, die alle Colleges und Universitäten anbieten.
Der Angriff auf das US Collegesystem wird dadurch noch verstärkt, dass Google 100.000 bedarfsabhängige Stipendien für die Zertifikatskurse vergibt. Man kann sich vorstellen, was für ein Loch Google in die Kassen der durch die Pandemie und den Wegfall der zahlungskräftigen Studierenden aus dem Ausland ohnehin schon gebeutelten US Colleges und Universitäten reißen wird.
Was bedeutet diese Aussicht auf ein disruptives Umkrempeln und einen heftigen Verdrängungswettbewerb nun für Hochschulen hierzulande? Und für Bildung im allgemeinen?
Die wichtigste Stärke des kontinentaleuropäischen Hochschulsystems, diese oder ähnliche Attacken besser zu parieren, ist die deutlich tiefere Kostenstruktur für Studierende. Auch wenn es Studiengebühren gibt, sind diese eher symbolisch zu nennen – verglichen mit den Preisen, die Universitäten in UK oder USA aufrufen. Das Zeitargument jedoch, gerade auf Lebenseinkommen gerechnet, schlägt auch hierzulande voll ins Kontor. Ein weiteres Qualitätsmerkmal und Schutzschild ist die hochwertige duale Ausbildung, wie man sie in Deutschland und der Schweiz kennt. Die drei von Google angeführten Berufe machen sich zunutze, dass es in den USA kein starkes System praktischer Berufsausbildungen gibt, die direkt berufsqualifizierend sind. Zudem kennt man in der DACH Region zwischen praktischer Berufslehre und Universitätsstudium auch das stärker praxisbezogene Erfolgsmodell des Fachhochschulstudiums. Mit anderen Worten: Google hätte deutlich weniger Angriffsfläche. Ob dies jedoch dazu führt, dass die Welle nicht nach Europa schwappt, darf jedoch angezweifelt werden, zu stark ist die Dominanz der algorithmenbasierten Plattformen. In Dave Eggers Roman "The Circle" wird diese Dominanz in der allegorischen Schlussszene überdeutlich, wenn die Haie (die digitalen Plattformunternehmen) alle anderen Tiere im Aquarium verschlingen. Google war übrigens das Vorbild für Dave Eggers satirischen Roman.
Ende der Persönlichkeitsbildung an der Hochschule
Sollten sich Googles Berufszertifikat allerdings wie zu erwarten durchsetzen, hätte diese "skills only" basierte Grundüberzeugung eine verheerende Auswirkung auf all jenes, was von Wilhelm von Humboldts geistigem Erbe übrig geblieben ist: Die Einheit von Forschung und Lehre: Vorbei. Chris Andersons Prophezeiung vom Ende der Theorie und der wissenschaftlichen Methode durch Big Data von 2008 würde Wirklichkeit werden. Persönlichkeitsbildung an der Hochschule durch Orientierungswissen (Wer sich fragt ob es das tatsächlich gegeben habe? Ja: man sollte es annehmen): Kaum vorstellbar. Sozialer Austausch, studentisches Leben und tragfähige Netzwerke für das Berufsleben: Wie soll das gehen, wenn man mit Googles Algorithmen vor dem Laptop sitzt? Kurse über Verantwortung, kritisches Denken, Nachhaltigkeit und Ethik, die mittlerweile integraler Bestandteil universitärer Ausbildung sind: Wer weiß? Vielleicht baut Google ja in das sechsmonatige Programm ein paar Stunden ein?
Aktuelles Buch
Vom Autor ist kürzlich erschienen: Künstliche Intelligenz und die Maschinisierung des Menschen (2020), Köln: Von Halem Verlag.
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